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Eine wird gewinnen

Kämpfen kann sie, die frühere Leichtathletin. Ausdauer hat sie.
24.03.2017, 00:00 Uhr
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Eine wird gewinnen
Von Bernhard Honnigfort

Kämpfen kann sie, die frühere Leichtathletin. Ausdauer hat sie. Zum richtigen Zeitpunkt in Form ist sie sowieso, keine Frage. Montag wandert sie mit einem Korb durch das Dorf Freisen und verteilt Blumen: „Hallo, ich bin die Anke!“ Dienstagabend steht sie in der Congresshalle von Saarbrücken vor 1500 begeisterten Anhängern und ruft: „Ich bin motiviert bis in die Haarspitzen.“

Die Sozialdemokratin Anke Rehlinger hat gute Gründe für gute Laune. Seit 1996 hält sie mit 16,03 Metern den saarländischen Rekord im Kugelstoßen der Damen. Am Sonntag könnte sie noch ein paar Meter weiterkommen, aber dann bei der Landtagswahl im kleinen Südwestland. „Die Chance ist da“, sagt die 40-jährige Wirtschaftsministerin. „Definitiv.“

Wer hätte das gedacht. Noch vor wenigen Wochen war das Wahldatum so spannend wie der Abholtermin der grauen Tonne. Alles schien klar: Die 54-jährige CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer wird weiter regieren, höchstwahrscheinlich mit der SPD als erprobtem Partner an der Seite. Alles andere wäre Träumerei. „AKK“, wie man Annegret Kramp-Karrenbauer in Saarbrücken der Einfachheit halber auch nennt, ist Profi, man schätzt ihre zugleich umgängliche und sachliche Art. Aber dann geschah es. Plötzlich hatte „AKK“ ein Problem: Die Bundes-SPD erkor Martin Schulz zum neuen Helden und versetzte sich in einen bis dato unbekannten Rauschzustand, ein Gemütsdoping, das sofort auch die saarländische SPD erfasste (220 SPD-Eintritte) und bei Anke Rehlinger letzte Reserven aktiviert. Nun weiß keiner mehr, was an diesem Sonntag passiert, auch, weil Rehlinger sich alles für die Zeit danach offenhält.

Seit 18 Jahren regiert die CDU an der Saar, seit 2012 mit der SPD. Zuvor war „Jamaika“ gescheitert: CDU, Grüne, FDP, nach nur einem Jahr. Oskar Lafontaine war der letzte SPD-Ministerpräsident, der „Napoleon von der Saar“, 13 Jahre lang bis 1998. Im Jahr darauf hatte er spektakulär mit Kanzler Gerhard Schröder und der SPD gebrochen. „Der Oskar“, so heißt er seit damals. Gefühlt jeder zweite der rund 990 000 Saarländer dürfte ein Selfie mit ihm gemacht haben. 73 Jahre alt, Linkspartei, Oppositionsführer im 51-köpfigen Saarbrücker Landtag, grau geworden. Heute träumt er von Rot-Rot.

Wie zuvor in Rheinland-Pfalz: Es ist eine Damenwahl im Saarland, CDU oder SPD deutlich vorne, es folgt mit einigem Abstand die Linke, der Rest ist Komparserie und darf eventuell beim Regieren aufstocken. Die Piraten, 2012 furios ins Parlament gewählt, sind heute völlig bedeutungslos, ein surrealer Hype, an den man sich kaum noch erinnert. Grüne (noch drin) und FDP (nicht mehr drin) müssen ernsthaft befürchten, an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern. Der CDU werden 34 bis 36 , der SPD 32 bis 34 vorhergesagt, den Linken zwölf bis 13, der AfD sechs bis sieben. Mit der Alternative für Deutschland will aber niemand etwas zu schaffen haben.

Die ehemalige Leichtathletin Rehlinger kann am Sonntag entspannt das Finale abwarten: Entweder weiter neben „AKK“, oder „Oskars Traum“ wird wahr: Es reicht für das erste rot-rote Bündnis in einem westdeutschen Land. Allerdings nicht mit ihm, sondern mit Rehlinger als Regierungschefin. Dass ihr dann Partner Lafontaine als einstiger Superstar der SPD und Lieblingsenkel Willy Brandts täglich die Welt erklären und die Geschäfte aus der Hand nehmen könnte, fürchtet sie keine Sekunde lang. Dazu ist Rehlinger zu selbstbewusst und direkt. Ihr fährt man nicht leicht über den Mund. Außerdem stammen beide aus verschiedenen Zeiten: „Er hat mich weder verhindert noch gefördert“, sagt sie. Und: Lafonatine will gar kein Regierungsamt.

Es war bislang ein merkwürdiger Wahlkampf, kein großer Streit, keine großen Themen. Von allem etwas, aber nicht wirklich aufregend. Ein bisschen Bildung: Die SPD will die neunjährige Gymnasialzeit zurückhaben. Ein bisschen Kita: Die SPD will Gebühren abschaffen, die CDU ein Bildungskonto mit 2000 Euro pro Baby. Alle wollen sozial gerecht sein, die Grünen machen sich Sorgen um den Anstieg des Grubenwassers aus dem stillgelegten Bergbau, eine mögliche Gefahr für das Trinkwasser der Saarländer, was die Saarländer aber offensichtlich nicht um den Schlaf bringt. Ach ja: Und ein bisschen Ärger über vergeigte Fördermillionen für eine Seefischzuchtanlage in Völklingen.

Ansonsten sind die führenden Politiker des Landes tief in ihrem Herzen froh, dass es das Saarland weiterhin geben darf: Das Land ist als Folge des jahrzehntelangen Niedergangs im Bergbau und in der Stahlindustrie hoch verschuldet (18 Milliarden Euro). Aber es gibt eine Zukunft – dank der mit Bund und Ländern neu ausgehandelten Finanzierungsspielregeln: 500 Millionen Euro bekommt das Sarland ab 2020 pro Jahr dazu. „Die Eigenständigkeit des Saarlandes ist gesichert“, freute sich CDU-Fraktionschef Tobias Hans diese Woche, als er gefragt wurde, was die größte Leistung der „AKK“-Regierung gewesen sei. Man habe nun „Zukunftssicherheit für viele Generationen“, pflichtete ihm SPD-Fraktionschef Stefan Pauluhn bei.

Offensichtlich sehen das viele der 800 000 Wahlberechtigten genau so. Auch wenn Oskar Lafontaine Wechselstimmung entdeckt hat, die meisten Saarländer (68 Prozent) sind nach eine Umfrage von infratest dimap für die ARD mit Arbeit der schwarz-roten Koalition einverstanden. In der Gunst der Leute liegt die Ministerpräsidentin mit 51 Prozent klar vor der SPD-Kontrahentin (32 Prozent). 61 Prozent hätten gerne weiter eine Regierung aus CDU und SPD, nur 36 Prozent eine rot-rote Koalition. Entsprechend verhalten sich die beiden hart arbeitenden Konkurrentinen auch: kein böses Wort übereinander, sachlich bleiben, wer weiß, was am Sonntag passiert, und was man womöglich am Montag bereuen müsste.

Kramp-Karrenbauer, seit 2011 Regierungschefin, hat schon angekündet, was passiert, wenn es am Sonntag nicht mehr für ihr Ministerpräsidentenamt reichen sollte: Dann ist Schluss mit Politik im Saarland. Danach, heißt es in Saarbrücken, ist erst mal nichts, dann kommt der Herbst, dann die Bundestagswahl, und dann mal sehen. Wer weiß, welche Neuen Angela Merkel dann zum Regieren braucht.

„Er hat mich weder verhindert noch gefördert.“ Anke Rehlinger über Oskar Lafontaine
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