Ein Scherz, der einen wahren Kern enthält: 91 Prozent der Befürworter von Verhandlungen mit der Union unter den SPD-Delegierten hätten Angst vor Andrea Nahles als Grund für ihre Entscheidung angegeben, hieß es in einer frei erfundenen Meldung der Satire-Seite „Der Postillon“ nach dem Sonderparteitag in Bonn vor drei Monaten.
Richtig ist: Während der damalige Parteichef Martin Schulz in Bonn eher blass wirkte, legte Nahles einen kraftvollen Auftritt hin. „Wir werden verhandeln, bis es quietscht“, rief, ja brüllte die SPD-Fraktionschefin ins Mikrofon. Das jagte den Mitgliedern keine Angst ein, aber rüttelte doch manchen auf. Bereits in Bonn munkelten einige in der Partei: Nahles werde die nächste SPD-Vorsitzende sein.
Am Sonntag ist es aller Voraussicht nach so weit: Schulz, vor rund einem Jahr noch mit unglaublichen 100 Prozent zum Parteichef gewählt, ist Geschichte. Hundertprozentig sicher ist: Die SPD wird auf dem außerordentlichen Parteitag in Wiesbaden zum ersten Mal in ihrer mehr als 150-jährigen Geschichte eine Frau in den Vorsitz wählen. So gut wie sicher ist: Diese Frau wird Andrea Nahles sein.
Die Fraktionsvorsitzende hat mit der Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange zwar eine Gegenkandidatin. Aber Nahles ist vom Parteivorstand einstimmig für den Job an der Parteispitze nominiert worden. Sie soll eine wichtige Mission übernehmen: Als Fraktions- und Parteichefin ist Nahles diejenige, die für ein erkennbares Profil der SPD in Zeiten der großen Koalition sorgen soll.
Mindestlohn durchgeboxt
Und: Die 47-Jährige aus der Vulkaneifel bringt als ehemalige Generalsekretärin und Ex-Ministerin die notwendige Erfahrung für den Job mit. Sie boxte in der vergangenen Legislaturperiode als Arbeitsministerin den Mindestlohn durch. Jetzt soll sie für den regelmäßigen Schlagabtausch mit der Union bereitstehen.
Die Gegenkandidatin von Andrea Nahles, Simone Lange (41), dürfte auf dem Delegierten-Parteitag keine realistische Siegchance haben – aber sie hat eine Botschaft, die ein Teil der Partei gern hören möchte. Vor allem jene, die immer noch enttäuscht sind, dass sich die SPD im Mitgliederentscheid für das Regieren mit CDU und CSU entschieden hat.
Lange kritisiert ausdrücklich die Ansage der Parteispitze, Nahles solle mit der Doppelrolle in Partei und Fraktion künftig „das Kraftzentrum“ der SPD sein. Das Kraftzentrum der SPD müssten ihre Mitglieder sein, sagt Lange. Nicht wenige in der Partei nervt es, dass wichtige Personalien in den vergangenen Jahren immer wieder im kleinen Kreis entschieden wurden. Gerade manchem Linken in der Partei dürfte es auch gefallen, dass Lange verspricht, sie wolle sich als Parteichefin für Hartz IV entschuldigen.
Eine Spaß- oder gar Witzkandidatur ist ihre Bewerbung nicht. Lange hat keine bundespolitische Erfahrung, aber sie ist Oberbürgermeisterin und saß schon mal im Landtag. Auf ihrer Tour durch Ortsverbände in der SPD hat sie gezeigt, dass sie einen guten Auftritt auf dem Bundesparteitag hinlegen könnte. Niemand weiß, wie viele Delegierte der Führung dann vielleicht einen Denkzettel verpassen wollen. Oder ob eventuell sogar auch mancher Nahles-Kritiker aus der Parteirechten heimlich sein Kreuz bei Lange macht.
Die letzten Details für das Duell Nahles gegen Lange werden erst an diesem Sonnabend in den Parteigremien geklärt, also vor allem die Frage der Redezeit. „Ich glaube, dass sich beide 30 Minuten vorstellen können“, sagte Generalsekretär Lars Klingbeil in dieser Woche in Berlin.
Die Reihenfolge des Auftritts wird wohl nach dem Alphabet erfolgen: erst L wie Lange, dann N wie Nahles. Es soll Zeit für Fragen sein, aber doch halbwegs zügig vorangehen. Denn nach der Vorsitzenden-Wahl soll noch Zeit sein, um über geplante Schritte im Erneuerungsprozess der SPD zu diskutieren. Für diesen sollen nach dem Willen des Parteivorstandes vier Arbeitsgruppen bis Ende 2019 an Antworten zu vier zentralen Themen arbeiten: Wachstum im 21. Jahrhundert, die Zukunft der Arbeit, ein bürgerfreundlicher Staat für Sicherheit und Teilhabe sowie Deutschlands Rolle in der Welt.