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Gesundheitspolitik Lauterbach stellt Reformpläne für Kliniken vor

Der Bundesgesundheitsminister und Mediziner Karl Lauterbach will, dass die deutschen Krankenhäuser sich möglichst schnell verabschieden vom Prinzip „billig und viel“.
06.12.2022, 18:57 Uhr
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Von Cornelie Barthelme

Ziemlich genau zur Hälfte der gut eineinhalb Stunden, die er sich am Ende Zeit genommen haben wird, hört Karl Lauterbach das Wort „Vertrauensverlust“. Der Bundesgesundheitsminister sitzt vor der versammelten Hauptstadtpresse, sein Thema ist eine „Grundlegende Reform der Krankenhausvergütung“. So nüchtern hat es die „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ auf das Titelblatt ihrer dritten „Stellungnahme und Empfehlung“ drucken lassen. Lauterbach ist das hörbar zu leidenschaftslos. „Das ist“, sagt er gleich zu Beginn, „aus meiner Sicht eine Revolution.“

„Das“ ist die Abkehr vom System der „Fallpauschalen“. Die wurden 2004 verpflichtend eingeführt für die Bezahlung von Krankenhausleistungen durch die Krankenkassen. Stark vereinfacht wird seitdem jeder Klinikpatient zu einem durch seine Diagnose definierten Fall; und jeder dieser Diagnosen ist eine pauschale Bezahlung zugeordnet. Die Fallpauschalen waren der Bruch mit den bis dahin geltenden „Pflegesätzen“, die pro Aufenthaltstag in Rechnung gestellt wurden. Beim alten System behielten die Kliniken ihre Patienten auch mal etwas länger als für die Genesung unabdingbar. Beim neuen war der Anreiz, die Zeit im Krankenhaus so knapp wie möglich zu halten. Oder, in Lauterbachs Worten: „Wenn ich immer das gleiche Geld bekomme, dann mach’ ich Gewinn, wenn ich billig behandle.“

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Und auch das sagt Lauterbach:  Deutschland habe es – anders als seine geografischen Nachbarn – mit dem Fallpauschalensystem übertrieben. Die Patienten würden oft zu früh entlassen, Ärzten und Pflegenden werde abverlangt, die Rendite wichtiger zu nehmen als die Therapie. Lauterbach hält das für eine der Ursachen des Personalproblems, das alle Kliniken plagt: „Viele verlassen die Krankenhäuser, weil sie den ökonomischen Druck nicht mehr ertragen.“

Tom Bschor, Professor und Facharzt für Psychiatrie, ist seit Mai Leiter und Koordinator der Regierungskommission. Jetzt sitzt er neben Lauterbach und stellt dem Krankenhaussystem eine katastrophale Diagnose: Es sei knapp vor dem Kollaps. Christian Karagiannidis, ebenfalls Professor und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin, berichtet, „normal“ sei inzwischen, dass „ein Drittel aller Betten auf Normalstationen nicht betreibbar sind“ – weil das Personal fehle. Auf den Intensivstationen sei deswegen in den zurückliegenden zwei Jahren ein Viertel aller sogenannten High-Care-Betten verloren gegangen. Auch die wirtschaftliche Lage der Kliniken sei „sehr angespannt“: „Bis zu 40 Prozent sind insolvenzgefährdet, bis zu 60 Prozent werden in diesem Jahr rote Zahlen schreiben.“ Und das, sagt Bschor, obwohl „Deutschland mit 13,1 Prozent des Bruttoinlandprodukts viel Geld für Gesundheitsversorgung ausgibt“. Damit steht es an der Spitze der EU-Länder, am Ende rangiert Luxemburg mit 5,8, der EU-Durchschnitt beträgt 10,9 Prozent.

Und doch sagt Bschor, „dass es lichterloh brennt“. Und dass die Krankenhausversorgung ein „Tanker in extremer Schieflage“ sei und jetzt „der allerletzte Zeitpunkt, das Ruder herumzureißen – sonst kentert das Schiff noch in den Zwanzigerjahren“. Weshalb es, sagt Lauterbach, eben „die Revolution“ brauche, „unbedingt“.

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Sie soll so funktionieren: Bundesweit sollen endlich einheitliche und klar definierte Einstufungskriterien für Krankenhäuser gelten. Von „Level I“ bis „Level III“ mit weiteren Unterteilungen, sodass am Ende fünf Stufen herauskommen – vom Landkrankenhaus mit Grundversorgung ohne Notfallstation bis zum Uniklinikum. Ihnen sollen „zielgenau Aufgaben zugewiesen“ werden. Und 40 Prozent der Vergütung soll künftig behandlungsunabhängig allein für deren „Vorhaltung“ bezahlt werden, bei Intensiv- und Notfallmedizin, Geburtshilfe und Neonatologie, also den Stationen für die Neugeborenen, sind 60 Prozent geplant. Die Kommission rechnet mit einer Übergangszeit von fünf Jahren.

Den Patienten soll das System die bestmögliche Behandlung garantieren – weil etwa für die Krebstherapie nur noch die Klinik bezahlt wird, die auch entsprechend eingestuft ist. Und Operationen aus reiner Gewinnabsicht soll es vermeiden. Geht es nach Lauterbach, soll sich die Frage „Wie viele Knie kann man noch mehr machen?“ nicht mehr rentieren. Ja, sagt der Minister, davon hätten alle immer gewusst, er auch.

Womit man beim „Vertrauensverlust“ ist. „Sehr wichtige Frage“, sagt Lauterbach. Und das ist dann auch schon seine ganze Antwort.

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