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NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst: "Wir brauchen Fachkräfte aus dem Ausland"

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst spricht sich im Interview mit dem WESER-KURIER für eine qualifizierte Zuwanderung aus. Unter anderem fordert der 47-Jährige eine Beschleunigung der Visaverfahren.
09.12.2022, 05:00 Uhr
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Hendrik Wüst:
Von Markus Peters

Nordrhein-Westfalen und Bremen haben etwas gemeinsam: nämlich die Art und Weise, wie beide Landesregierungen auf den Krieg in der Ukraine und die daraus resultierende Energiekrise und Inflation reagiert haben. Nordrhein-Westfalen hat wie Bremen und Sachsen-Anhalt eine Notlage festgestellt, um den vielfältigen Herausforderungen ­finanziell begegnen zu können. Fürchten Sie nicht, dass die vereinbarte Schuldenbremse unter die Räder kommen könnte?

Hendrik Wüst: Wir haben eine außergewöhnliche Situation. Auf der einen Seite beteiligen sich die Länder mit enormen Summen an den Entlastungen, die der Bund auf den Weg gebracht hat. Stichwort: Doppel-Wumms. Das sind allein für Nordrhein-Westfalen vier Milliarden Euro pro Jahr. Zum Zweiten erfordert die Aufrechterhaltung der sozialen Infrastruktur aufgrund anhaltend hoher Energiepreise in weiten Teilen eine Unterstützung des Landes.

Das erklärt aber noch nicht die Aussetzung der Schuldenbremse.

Diese Krise verursacht enorme Kosten, auch jenseits der Einnahmeausfälle durch die im Kern richtigen Entlastungen. Wir sind in Nordrhein-Westfalen absolut solidarisch mit den Menschen aus der Ukraine, die zu uns kommen. Es sind bis jetzt schon eine Viertelmillion Menschen, darunter viele Frauen mit kleinen Kindern. Und Russland hat offensichtlich die Kriegsführung geändert und setzt darauf, die Versorgungsinfrastruktur in der Ukraine zu zerstören. Es werden dadurch noch mehr Flüchtlinge kommen. Diesen Menschen wollen wir gerecht werden. Das kostet Geld. Zum Beispiel für zusätzliche Lehrer und Kitaplätze. Das ist durch einen normalen Landeshaushalt im Regelbetrieb nicht abzufedern. Dazu sind unsere Haushalte durch die hohen Personalkosten nicht variabel genug. Und schließlich hat die Energiekrise wirtschaftliche Auswirkungen, gerade in einem energieintensiven Industrieland wie Nordrhein-Westfalen. Deshalb halten wir die Notfallregelung der Schuldenbremse für einschlägig, die im Grundgesetz vorgesehen ist. Wann, wenn nicht jetzt, wenn Krieg in Europa ist?

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Sie halten dieses Mittel in der gegenwärtigen Situation also für gerechtfertigt?

Ich halte es vor allem für notwendig. Niemand macht gerne Schulden. Wir werden deshalb schneller tilgen als bei den großen Rettungsfonds aus der Pandemie. Damals waren es 50 Jahre, jetzt wollen wir das Geld in 25 Jahren zurückzahlen. Das ist auch wichtig, weil ich der Überzeugung bin, dass es jede Generation hinkriegen muss, ihre Krisen aus eigener Kraft zu bewältigen und nicht der nachfolgenden Generation die Lasten zu vererben.

Es gibt diverse Dinge, die Sie aus dem Sondervermögen finanzieren, einen Teil des Geldes wollen Sie auch in erneuerbare Energien stecken. Wird davon unter Umständen auch der klimaneutrale Umbau von Europas größtem Stahlwerk, Thyssen-Krupp in Duisburg, finanziert, der bekanntlich mit einer mittleren dreistelligen Millionenhöhe vom Land gefördert wird?

Nein. Die Unterstützung von Thyssen-Krupp, um mit Wasserstoff Stahl zu kochen, wird nicht aus diesem Sondervermögen bezahlt.

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Aber die Unterstützung gibt es trotzdem. Fürchten Sie künftig keinen Subventionswettbewerb der konkurrierenden deutschen Stahlstandorte?

Allein dadurch, dass der Rahmen ein europäischer ist und der Bund sich beteiligen wird, halte ich das Risiko für gering. Wir sehen in Nordeuropa, wo grüne Energie in größeren Mengen als bei uns verfügbar ist, eine hohe Attraktivität der Stahlproduktion, insbesondere auch für unsere Automobilindustrie. Wir müssen in der Lage sein, diese Innovation auch bei uns umzusetzen, um auch in Zukunft bei uns gute Arbeitsplätze und soziale Sicherheit zu gewährleisten.

Woher soll denn der Wasserstoff für das große Industrieland Nordrhein-Westfalen künftig kommen?

Neben den Norddeutschen Häfen spielen für Nordrhein-Westfalen die Häfen im Westen eine große Rolle, um zunächst Flüssiggas (LNG) und später Wasserstoff zu beziehen. Auch die eigene Produktion werden wir durch den Ausbau der Erneuerbaren hochfahren.

Sie haben als Partner also eher die Häfen in den Niederlanden und Belgien im Blick als die norddeutschen Häfen?

Auch die norddeutschen Häfen sind für uns von großer Bedeutung. Dass relevante Verkehre über die Häfen im Westen laufen, ist schlicht der Geografie geschuldet. Es ist wichtig, dass wir viele Güter insbesondere aus dem Norden und dem Osten Nordrhein-Westfalens über die norddeutschen Häfen abwickeln. Ansonsten würde dieser Verkehr über die jetzt schon überlasteten Ost-Westachsen im Land gehen.

Anderes Thema: Der Bundestag hat mit den Stimmen der Ampelkoalition und gegen die Stimmen von großen Teilen der Union beschlossen, die Einwanderung ausländischer Fachkräfte zu erleichtern. Wie stehen Sie zu den Plänen der Bundesregierung?

Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass die Debatte an der akuten Herausforderung vorbeigeht. Wir haben ein Riesenthema, was Unterbringung von Menschen auf der Flucht angeht, auf das die Bundesregierung sehr spät und sehr zurückhaltend reagiert hat. Wir haben ein großes Integrationsthema. Wir sind bei den letzten Verhandlungen, die wir mit dem Bundeskanzler geführt haben, einen zu kleinen Schritt vorangekommen, was die dauerhafte Finanzierung dieser Aufgabe durch den Bund angeht. Integration ist ein dauerhaftes Thema. Aber ein Thema, wo jeder Euro, den wir am Anfang investieren, gut eingesetztes Geld ist.

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Zweifellos, aber in dem Gesetz geht es nicht um die Finanzierung der Flüchtlingsunterbringung, sondern um die Erleichterung der Einwanderung ausländischer Fachkräfte. Damit geht auch die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse einher. Wie stehen Sie dazu?

Das ist ein wichtiger Punkt. Wir brauchen Fachkräfte aus dem Ausland. Dazu ist die Anerkennung der Abschlüsse wichtig, das läuft noch zu langsam. Und wir haben das Thema Visaverfahren. Die deutschen Vertretungen im Ausland sind viel zu langsam. Wer also bei der Fachkräftezuwanderung etwas tun will, kann da schon eine Menge machen.

Kernpunkt des neuen Gesetzes ist ja eher ein Punktesystem, mit dem Fachkräften, die bestimmte Qualifikationen und Kenntnisse mitbringen, die Einwanderung erleichtert werden soll. Was halten Sie davon?

Klar ist: Wir brauchen qualifizierte Zuwanderung. In unserem Koalitionsvertrag in Nordrhein-Westfalen haben wir verabredet, eine Arbeits- und Fachkräfteoffensive einzuleiten und dafür auch verstärkt ausländische Fachkräfte zu gewinnen. Das bedeutet: Wir wollen eine unbürokratische und schnelle Anerkennung von ausländischen Berufs- und Bildungsabschlüssen.

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Einige sehr prominente Abgeordnete Ihrer Partei, unter anderem Ihr Vorgänger Armin Laschet sowie prominente Abgeordnete aus Ihrem Landesverband wie Hermann Gröhe, Norbert Röttgen oder Serap Güler, haben sich bei der Abstimmung über das Gesetz enthalten. Ist das ein Zeichen für die Unstimmigkeiten in der Unionsfraktion im Bundestag?

Die genannten Abgeordneten haben differenziert deutlich gemacht, welche Stellen des Ampelgesetzes sie gut finden, welche sie aber auch schlecht finden. Sie haben nämlich auch nicht zugestimmt.

Neulich hat ein Mitglied Ihrer Landesregierung in den Kommentarspalten des WESER-KURIER ausdrücklich Zustimmung bekommen. Können Sie sich vorstellen, wer es war?

Ich bin gespannt.

Ihr Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann war es, weil Nordrhein-Westfalen als einziges CDU-regiertes Land im Westen den Vorstoß von Schleswig-Holstein, Bayern, Baden-Württemberg und Hessen nicht mitgetragen hat, die Isolationspflicht und die Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr aufzuheben. Was war der Grund dafür?

Ich vertraue auf Karl-Josef Laumanns Expertise, Erfahrung und auf seinen gesunden Menschenverstand. Er empfiehlt, sich ans Robert Koch-Institut (RKI) zu halten. Das RKI empfiehlt weiter die Isolationspflicht für Infizierte.

Was die vier Bundesländer gefordert haben, waren aber mehr oder weniger bundeseinheitliche Regelungen zu ihren Bedingungen. Sollte man in dieser Weise mit den anderen Ländern und dem Bund umgehen?

Ich glaube, die Zeiten, in denen das zu großen politischen Debatten geführt hat, sind vorbei.

Das Gespräch führte Markus Peters.

Zur Person

Hendrik Wüst (47) ist seit Oktober 2021 Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen. Seit Sommer dieses Jahres führt der studierte Jurist eine schwarz-grüne Koalition. Zuvor war der aus Rhede bei Bocholt stammende Wüst Verkehrsminister im Kabinett Armin Laschet (2017-2021) und Generalsekretär der NRW-CDU (2006-2010). Wüst ist verheiratet und hat eine Tochter.

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