- Gleichwertige Berufsabschlüsse
- Fachkräfteinwanderungsgesetz
- Besonderheit Referendariat
- Reha Gedizsener, 35
- David Quinn, 27
- Ammar Alabd, 29
Ob und wie schnell eine Person hier Arbeit findet, hängt oftmals davon ab, aus welchem Land sie stammt. "In der Europäischen Union braucht man den Berufsabschluss nicht so dringend für ein Visum", sagt Torsten Grünwald, stellvertretender Leiter bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Bremen, wo er sich um den Bereich Internationales kümmert. Für Menschen aus den sogenannten Drittstaaten können die Hürden oftmals größer sein, da ihr Aufenthalt bisher an strengere Bedingungen geknüpft ist.
In Deutschland herrscht Fachkräftemangel. Laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bräuchte es eine jährliche Zuwanderung von 500.000 Menschen, um das Defizit in Zukunft auszugleichen. In Bremen fehlen gemäß Arbeitssenatorin Kristina Vogt (Linke) 36.000 Fachkräfte. Soziale Absicherung, hoher Bildungsstandard und allgemeiner Wohlstand – Deutschland gilt weiterhin als ein attraktives Einwanderungsland. Doch wie leicht lässt sich der ausländische Berufs- oder Bildungsabschluss hier anerkennen?
Gleichwertige Berufsabschlüsse
"Es gibt weltweit sehr unterschiedliche Berufsbildungssysteme mit vielen unterschiedlichen Abschlüssen auf allen möglichen Niveaustufen", sagt Christoph Sonnenberg, Sprecher des Wirtschaftsressorts, dem die Anerkennungsberatung Bremen und Bremerhaven unterstellt ist. Insgesamt 17 Berufskammern und Behördenstellen sind in Bremen für die Beratung und das Anerkennungsverfahren verantwortlich. Ein Tischler aus Ägypten muss beispielsweise einen Antrag bei der Handwerkskammer stellen. Eine spanische Ärztin muss das Gesundheitsressort kontaktieren. Entscheidend ist: "Mit welchem deutschen Abschluss ist der ausländische Abschluss gleichwertig?", sagt Björn Reichenbach, der bei der IHK für Aus- und Weiterbildung zuständig ist.
Besonders viele Anträge erhält die Handelskammer Bremen. Denn das in Deutschland gängige duale Ausbildungsmodell umfasst sehr viele freie Berufe. "Im Ausland kennt man entweder Studium oder Hilfsjob", sagt Reichenbach. Wenn eine Person im Ausland beispielsweise eine zweijährige schulische Ausbildung als Elektriker absolviert und Berufserfahrung gesammelt habe, könne sie in Deutschland den praktischen Teil der hier erforderlichen Berufsausbildung problemlos nachholen. Möglich mache dies das zehn Jahre alte Anerkennungsgesetz.
Fachkräfteinwanderungsgesetz
Die Bundesregierung diskutiert aktuell ein neues Gesetz, dass die Zuwanderung von Fachkräften erleichtern soll. Für bestimmte Fähigkeiten wie Sprache, Berufserfahrung und Deutschlandbezug könnten bald Punkte gesammelt werden, wodurch eine Einreise auch ohne Arbeitsvertrag oder Berufsabschluss möglich wird. "Das ist sicherlich eine gute Maßnahme, um transparent zu sagen, ob sich jemand für den Markt eignet oder nicht", sagt IHK-Co-Chef Grünwald.
Er sieht jedoch noch mehr Reformbedarf. "Es gibt in Bremen und Bremerhaven in diesem Jahr 5700 unbesetzte Ausbildungsstellen, diese Lücke muss geschlossen werden." Deswegen sollten die Hürden für Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung erleichtert werden. Eine Rolle spiele da auch das Ausbildungsgehalt, da ein Auszubildender, der noch bei seinen Eltern lebe weniger koste als jemand, der den Lebensunterhalt alleine stemmen müsse. "Ein Auszubildender kann dann sehr teuer werden und da müssen Unternehmen finanziell entlastet werden." Das sei wichtig, damit Deutschland ein attraktiver Standort bleibe.
Besonderheit Referendariat
Etwas anders gestaltet sich das Anerkennungsverfahren für Lehrerinnen und Lehrer. In Bremen gehen zurzeit besonders viele Anerkennungsanträge aus der Türkei und aus der Ukraine ein, sagt Aydin Gürlevik, Leiter des staatlichen Prüfungsamts beim Bildungsressort. Zunächst müsse die ausländische Qualifikation als Lehrkraft für gleichwertig befunden werden. Fast nur in Deutschland müssen neben der wissenschaftlichen Ausbildung noch 18 Monate Schulpraxis – das Referendariat – absolviert werden. "Am Landesinstitut für Schule können Lehrer aus dem Ausland das Referendariat nachholen", sagt Gürlevik. Dafür brauche es dann aber bereits exzellente Deutschkenntnisse.
Den größten Druck gebe es bei den reglementierten Berufen, sagt Reichenberg. Dazu gehören etwa Ärzte, Apotheker und Rechtsanwälte, die nur mit den entsprechenden Fachabschlüssen arbeiten dürfen. Die Anerkennung eines gleichwertigen Abschlusses sei hier sehr kompliziert und durchlaufe mehrere Verfahren.
Reha Gedizsener, 35
Im Rahmen einer Familienzusammenführung kam Reha Gedizsener vor zweieinhalb Jahren aus der Türkei nach Deutschland. „In Istanbul habe ich Jura studiert, war 2010 fertig und habe dann acht Jahre als Rechtsanwalt gearbeitet“, sagt der 35-Jährige. Dass er seinen bisherigen Beruf nicht mehr ausüben kann, sei für ihn nachvollziehbar, da die Unterschiede in den Rechtssystemen zu groß seien. Das vierjährige Studium sei zwar schnell anerkannt worden, jedoch als Bachelor of Arts, ohne Bezug zur Juristerei. In Deutschland erneut Jura zu studieren, sei für ihn keine Option – wegen seiner eigenen Erfahrungen in der Türkei und der Entwicklung des dortigen Rechtsstaates.
Für die Unterstützung bei der Anerkennung ist Gedizsener seiner Ehefrau sehr dankbar: „Meine Frau hat mir sehr geholfen, ohne sie hätte ich wahrscheinlich viel größere Probleme. Den Stress von Bürokratie und Behörden hat sie wahrscheinlich am meisten abbekommen.“

In der Türkei war Reha Gediz?ener Rechtsanwalt. Nun beginnt seine Umschulung zum Pädagogen.
Kurz nach seiner Einreise kam das gemeinsame Kind auf die Welt, um das sich Gedizsener nach der Geburt viel gekümmert hat. Gerade absolviert er ein Weiterbildungsprogramm in Gröpelingen, mit dem er ein Studium an der Universität Oldenburg antreten möchte – „Pädagogisches Handeln in der Migrationsgesellschaft“, ein Fach speziell für Menschen, die bereits im Ausland studiert haben.
Mittlerweile hat der Familienvater das Sprachzertifikat C1 erhalten, die fünfte von sechs Stufen der Kompetenzskala. Dennoch blickt er sorgenvoll auf den Universitätsalltag: „Es macht mir schon Stress, auf Deutsch zu studieren und eine wissenschaftliche Arbeit zu schreiben, das wird bestimmt richtig schwierig.“
David Quinn, 27
Seit vier Jahren, also bereits vor dem Brexit, lebt David Quinn in Bremen – „zum Glück“, wie er sagt. Nach einem Aufenthalt in Australien kam er nach Deutschland, weil er ein weiteres neues Land kennenlernen wollte. An der Universität in Nottingham hat er Chemie studiert, nach der Arbeit bei einem Logistikunternehmen in der Projektplanung absolviert der 27-Jährige aktuell noch ein Onlinestudium im Bereich Projektmanagement, bevor er einen neuen Job antreten möchte. Er zeigt sich zuversichtlich, wieder eine Stelle in Bremen zu finden. Wieso er ausgerechnet in der Seestadt bleiben möchte? „Ich mag das Land und die Stadt. Vielleicht klingt das komisch, aber ich mag das Leben hier“, sagt Quinn.
Als er dann nach Deutschland kam, gab es zwar viele behördliche Aufgaben, aber keine starken Widerstände. Gerade die Hilfe von Kolleginnen und Freunden habe ihm viel Arbeit erspart, zum Beispiel beim Ausfüllen von Formularen für den Aufenthaltstitel: „Wenn selbst Deutsche Probleme mit der Bürokratie haben, dann weißt du, wie schwierig es für Menschen sein muss, die kein Deutsch sprechen“, sagt Quinn. Hilfe seitens des Landes oder einer Behörde habe er dadurch also nicht in Anspruch nehmen müssen. Nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU sei die Einreise und die Jobsuche für nicht in Deutschland lebende Briten komplizierter: „Durch den Brexit gibt es keine Anreize mehr und ohne Förderung oder festen Wohnsitz ist es deutlich schwieriger“, so Quinn, „ich bin froh, dass ich davor hergekommen bin.“
Ammar Alabd, 29
Ammar Alabd kam vor sechs Jahren aus Syrien nach Deutschland. Bereits vor seiner Anreise hat er eine Ausbildung zum Anästhesietechnischen Assistenten absolviert und im Anschluss auch sechs Monate in dem Beruf gearbeitet. Die Anerkennung seiner Qualifikation war jedoch schwierig – 18 Monate hätte er warten müssen, dazu kämen noch die langen Wartezeiten auf Rückmeldungen: „Ich wollte nicht so lange auf die Anerkennung warten, daher habe ich nochmal die Ausbildung zum Anästhesieassistenten gemacht, das ging schneller“, sagte der 29-Jährige, der eigener Aussage zufolge ein Jahr auf eine Antwort hätte warten müssen. Alabd bedauert auch, dass es kein Anerkennungsbüro speziell für seinen Bereich gegeben habe und die Arbeit mit den Behörden sehr mühselig sei. Dass er zusätzlich zur praktischen Erfahrung in der Ausbildung die deutsche Sprache lernen konnte, sei ein kleiner Trost für den Anästhesieassistenten.

Ammar Ablabd ist Anästhesietechnischer Assistent am Klinikum Bremen-Mitte.
Während seiner Ausbildung und auch aktuell bei der Arbeit seien seine Kolleginnen und Kollegen sehr hilfsbereit und nett, seine Vorgesetzten hätten ihn zudem stark unterstützt, weshalb er den Gedanken an einen Ausbildungsabbruch wieder verworfen habe: „Der Prozess der Anerkennung hat mich richtig genervt, weil ich dann nochmal die Ausbildung gemacht habe und Lebenszeit in etwas investiert habe, was ich schon kenne“, zudem sei die Bezahlung in der Ausbildung nicht mit der von Fachkräften zu vergleichen. Ein loser Plan besteht, Medizin zu studieren, auch wenn es schwierig sei, einen Studienplatz zu bekommen – sein Abitur wurde nämlich problemlos anerkannt.