Kröten will keiner der beiden Vertragspartner geschluckt haben. „Wir sind Grüne, wir schlucken keine Kröten“, wies Niedersachsens künftige Kultusministerin Julia Willie Hamburg das Bild aus der Tierwelt lächelnd als unpassend zurück. Der alte und neue Ministerpräsident Stephan Weil ging am Dienstag in Hannover einen Schritt weiter und drehte den Spieß um. „Diese Verhandlungen standen sogar im Zeichen des aktiven Krötenschutzes“, berichtete der SPD-Landeschef launig von einer Amphibie, die sich in die Verhandlungsräume verirrt habe. „Die ist unter Wahrung des Artenschutzes wieder herausgetragen worden.“ Das sei doch ein schönes Sinnbild für den stets fairen Umgang beiden Delegationen, erklärte Weil.
Im Lotto-Toto-Saal des Landessportbundes präsentierten der Regierungschef und seine designierte Stellvertreterin gut gelaunt den 140 Seiten starken Entwurf ihres Koalitionsvertrages und ihre neue Ministerriege. „Sicher in Zeiten des Wandels. Niedersachsen zukunftsfest und solidarisch gestalten“, lautet der Titel des Papiers. Im rekordverdächtigen Tempo von fünf Tagen hatten SPD und Grüne dieses ausformuliert und dazu das passende Personalpaket geschnürt. Als sicher gilt, dass das gemeinsame Werk am Wochenende den Segen der jeweiligen Parteitage erhalten wird und am nächsten Montag endgültig unterzeichnet werden kann.
„Schwer erträgliche Zugeständnisse“ habe man nicht machen müssen, meinte Hamburg. Dabei hatte sie selbst mehr oder weniger offen mit dem Wirtschaftsressort liebäugelt, musste aber SPD-Mann Olaf Lies weichen. Dieser wechselt vom Umwelt- in das von ihm geliebte und schon mal zwischen 2013 und 2017 besetzte Wirtschaftsressort. Einen Trost für die Grünen gibt es in diesem Punkt immerhin: Hamburg erhält neben Ministerpräsident Weil den zweiten Aufsichtsratsposten beim Autokonzern Volkswagen, an dem das Land rund 20 Prozent Anteile hält. Man wolle schließlich die Dinge gemeinsam angehen, bekundeten die beiden Regierungspartner in spe einmütig. Und das gelte dann auch für die Kontrollposten bei VW.
Die notwendigen Kompromisse hätten bei den Genossen „in keinem Fall für höheren Blutdruck gesorgt“, erklärte Weil zum Gesamtpaket. Ein Beispiel für den immer wieder betonten Pragmatismus hatte er auch parat. Die Grünen wollten gerne 2,5 Prozent der Landesfläche für Windanlagen verbindlich festschreiben, die SPD mochte allerdings nur 2,2 Prozent mitmachen. Die Genossen setzten sich zwar durch, billigten aber eine Prüfklausel: Wenn das Ausbauziel für erneuerbare Energien in Gefahr gerate, werde man das Flächenziel auf 2,5 Prozent angeben, heißt es in dem Vertrag.
Energiewende und Klimaschutz
Bis 2040 soll alle Energie im Land klimaneutral erzeugt werden. Um die Menschen mitzunehmen, sollen die Betreiber von Windanlagen künftig Kommunen und Bürger an ihren Gewinnen beteiligen. Im Gegenzug will die rot-grüne Koalition die Genehmigungsverfahren vereinfachen und beschleunigen. Der Landeshaushalt unterliegt künftig einem „Klimacheck“: Alle relevanten Maßnahmen werden auf ihre Auswirkungen überprüft.
Hilfspaket
Noch im November will Rot-Grün einen eigenen Rettungsschirm für Unternehmen und Bürger spannen. Dazu soll der Landtag einen Nachtragshaushalt von rund einer Milliarde Euro verabschieden. Das Geld soll die sozialen und wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs abmildern und die Bundeshilfen ergänzen. Der Kreis der Empfänger wird weit gefasst; dazu gehören auch soziale Einrichtungen, Kommunen, Kultur und der ehrenamtliche Sport.
Finanzen
Die neuen Partner wollen eine deutlich offensivere Investitionspolitik betreiben. Unter der Dachmarke „Niedersachsen-Fonds“ sollen diverse milliardenschwere Töpfe für die Transformation der Wirtschaft, für Gebäudesanierung und für Wohnungsbau in Form einer landeseigenen Gesellschaft aufgelegt werden. Diese war in der bisherigen SPD/CDU-Regierung am Widerstand der Union gescheitert. Kein Tabu bleibt auch die Schuldenbremse selbst. SPD und Grüne wollen die zulässige Ausnahme für neue Kredite, nämlich die sogenannte außergewöhnliche Notsituation, auch auf die Klimakrise ausdehnen.
Weitere Schwerpunkte
Um den Lehrermangel zu lindern, sollen Grund-, Haupt- und Realschullehrer künftig mehr Geld erhalten, nämlich statt nach A 12 nach A 13 besoldet werden. Der öffentliche Nahverkehr soll unter anderem mit einem landesweit gültigen 29-Euro-Monatsticket für Schüler und Auszubildende attraktiver werden. Hier konnten sich die Grünen nicht mit ihrer Forderung durchsetzen, das Modell auch auf sozial schwache Familien auszudehnen.