Eine klare Mehrheit der Wählerinnen und Wähler hat Parteien rechts von der imaginären Mitte gewählt, also entweder CDU/CSU, AfD oder FDP. Wenn sich die Prognosen verfestigen, bleiben die Liberalen jedoch womöglich vor den Türen des nächsten Bundestages. Das hätte zwei Folgen: Eine sogenannte Deutschland-Koalition aus Union, SPD und FDP, die Christian Lindner auf den letzten Metern des Wahlkampfes propagierte, ist dann keine Option mehr. Andererseits könnte es durchaus für ein Zweierbündnis reichen, wenn neben den Liberalen auch das BSW unter der Fünf-Prozent-Hürde bliebe. Ein Bundestag mit lediglich fünf Fraktionen wäre somit gut für die Stabilität der nächsten Regierung, aber auch des ganzen Landes.
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Wahlsieger Friedrich Merz hätte dann die Wahl zwischen einem roten oder einem grünen Juniorpartner. Beide wären etwa gleich schwach, nämlich nur halb so stark wie die Unionsfraktion. Da müsste über das Koch-Kellner-Rollenverständnis nicht lange diskutiert werden. Aber Markus Söder hat doch ein Bündnis mit den Grünen strikt ausgeschlossen, werden manche einwenden. Stimmt, aber erstens ist der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef strategisch recht flexibel, wenn es um Macht – zumal auf Bundesebene – geht. Zweitens erscheint Merz nicht als jene Sorte Chef, die sich von der Nummer zwei in ihren Möglichkeiten beschränken lässt.
Schwer verwundet und gedemütigt ist die SPD: noch einmal fünf Prozentpunkte weniger als bei der verheerenden Wahl 2017, ihr schlechtestes Ergebnis seit Bestehen dieser Republik. Und selbst Platz 3 ist noch keineswegs sicher. Auch wenn Söders CSU Schwarz-Rot bevorzugt – wer sagt denn, dass die SPD dazu noch bereit ist? „Große Koalitionen“ mit der Union haben Deutschlands ältester Partei selten gutgetan. In einer "Deutschland-Koalition" würde sie geradezu an die Wand gedrückt.
Manches Mitglied wird die Gewissheit von Urgestein Franz Müntefering – "Opposition ist Mist, lasst das die anderen machen“ – inzwischen infrage stellen. Zumal der dominierende Regierungspartner nicht mehr die sozialdemokratisierte Merkel-CDU wäre, sondern unter Merz eine knackig-konservative, betont wirtschaftsfreundliche Truppe. Hinzu kommt, dass die SPD in der Außen- und Sicherheitspolitik tief gespalten ist – da wäre eine Auszeit zur Selbstfindung gar nicht schlecht. Viele Partner Deutschlands werden das womöglich ähnlich sehen.
Die Grünen wiederum sind inhaltlich weitgehend geschlossen und auch längst keine ausdrücklich linke Partei mehr. Abgesehen von der Asylpolitik stehen sie bei internationalen Themen der Union inzwischen näher als jeder anderen Partei. Die Scheu vor „den Schwarzen“ hat man auch in mehreren Bundesländern abgelegt. Abgesehen vom überraschenden Koalitionsaus in Hessen ist man damit nicht schlecht gefahren.
Und wenn es doch nicht fürs Regieren zu zweit reicht? „Kenia“, also Schwarz-Rot-Grün, ist rechnerisch eine sichere Nummer. Politisch würde solch ein Bündnis jedoch eine Minderheit der Wähler überrepräsentieren, siehe oben. Es wäre eine Not-Regierung, kaum stabiler als die gescheiterte Ampel. Die Union müsste weitere Abwanderungen zur AfD befürchten. Schwarz-Blau schließlich verbietet sich nicht nur wegen vieler eindeutiger Ansagen von Merz. Auf nahezu allen Politikfeldern sind die Differenzen zwischen Union und AfD unüberbrückbar – und das ist auch gut so.