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Ampel oder Jamaika? Die bequeme Rolle der Königsmacher

Grüne und FDP sind nach der Wahl in der Rolle des Königsmachers. Machen sie Olaf Scholz oder Armin Laschet zum Kanzler? Wo die Parteien stehen, analysiert Norbert Holst.
27.09.2021, 18:38 Uhr
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Die bequeme Rolle der Königsmacher
Von Norbert Holst

Es ist schon ein beachtliches Tempo, dass die möglichen Neu-Koalitionäre bereits am Wahlabend vorlegt haben. Grünen-Chef Robert Habeck brachte Vorab-Sondierungen mit den Liberalen ins Spiel, der FDP-Vorsitzende Christian Lindner nahm diesen Ball dankbar auf. Und auch am Tag nach der Wahl wurde munter weitergemacht. Etwa, als FDP-Präsidiumsmitglied Marco Buschmann erklärte, die beiden Parteien sollten sich jetzt nicht auseinanderdividieren lassen. Fraktionsvize Michael Theurer sieht seine Liberalen und die Grünen bereits als möglicher „Veränderungsmotor der deutschen Politik“. Das sind ganz neue Töne im Umgang miteinander, der zwischen Grünen und FDP auch schon mal von Nickeligkeiten geprägt war.

Beide Parteien scheinen es ernst damit zu meinen, dass Sondierungsgespräche und spätere Koalitionsverhandlungen nicht wie vor vier Jahren schnell in Gekrampfe abrutschen. Und dafür gibt es auch gute Gründe. Zum Beispiel den, dass beide Parteien zusammen fast die Hälfte aller Erstwählerstimmen bekommen haben. Gerade die jungen Wähler würden es beiden Parteien richtig verübeln, wenn ein Dreierbündnis an Politgeschacher scheitern würde.

Offen bleibt zunächst, ob die SPD oder CDU/CSU die Führungsrolle in solch einem Bündnis übernehmen kann. Teile der Union zeigten am Montag etwas mehr Demut vor dem Wählervotum und rückten vom klaren Regierungsanspruch ab, den Kanzlerkandidat Armin Laschet am Wahlabend formuliert hatte. Klar ist aber: Der Ton hat sich geändert, nicht das Ziel, im Kanzleramt das Sagen zu behalten.

Dabei ist Laschet in einer etwas misslichen Lage. Nach dem Wahldesaster gab es im CSU-Vorstand heftige Kritik an seinem Wahlkampf. CSU-Chef Markus Söder warnte davor, das Ergebnis schönzureden. Ärger erwartet den Kanzlerkandidaten auch in der eigenen Fraktion. Ralph Brinkhaus, Chef der Unionfraktion, will sich an diesem Dienstag wiederwählen lassen. Obwohl darüber spekuliert wurde, ob auch Laschet für das Amt kandidieren könnte, um in dieser Rolle Koalitionsgespräche zu führen.

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Komfortabel ist die Situation für Olaf Scholz. Die Sozialdemokraten waren bereits totgesagt. Die Reanimation haben sie vor allem ihrem Kanzlerkandidaten zu verdanken. Querschüsse aus der linken Parteiführung um Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans drohen zunächst nicht. Das könnte aber schon ganz anders aussehen, wenn es in späteren Koalitionsverhandlungen um Themen wie Mindestlohn oder Klimaschutz gehen sollte.

Unterstützung bekommt Scholz von Niedersachsens Ministerpräsident Stefan Weil und Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte. Beide SPD-Politiker haben sich für die Bildung einer Ampel ausgesprochen. Bovenschulte räumt allerdings auch ein, dass es wohl schwierige Verhandlungen werden. In der Tat. Zudem kann Scholz im Notfall nicht mehr auf den Ausweg eines Linksbündnisses setzen. SPD, Grüne und Linke haben nach dem desolaten Abschneiden der Dunkelroten keine Mehrheit.

Grüne wie Liberale sind in der bequemen Rolle des Königsmachers. Dabei blinken beide Parteien sowohl in Richtung SPD als auch in Richtung CDU. Der grüne Landesverband in Nordrhein-Westfalen lehnt eine Wahl Laschets offen ab, die Grünen-Spitze in Niedersachsen hingegen sieht „keinen Automatismus“ in Richtung Ampel. Auch Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident in Baden-Württemberg und einflussreich in der Partei, ist dafür, sich beide Optionen offenzuhalten.

Scholz sieht „genügend Schnittmengen“ und wirbt für eine Koalition des gegenseitigen Vertrauens. Die entscheidende Frage wird sein, ob ihm ein Angebot an die FDP gelingt, das sie nicht ablehnen kann. Denn mehrheitlich tendiert die FDP-Spitze zu einer Koalition mit der Union. Doch Parteivize Johannes Vogel zum Beispiel will sich noch nicht festlegen. Und schließlich muss eine Dreier-Koalition unter Laschets Führung für die FDP nicht automatisch die bessere Wahl sein. Eher ein abschreckendes Beispiel war die schwarz-gelbe Koalition in den Jahren 2009 bis 2013. Damals fielen zwischen CSU und FDP Schimpfwörter wie „Wildsau“ und „Gurkentruppe“.

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