Am Morgen danach ließen die Forderungen an eine künftige Koalition nicht lange auf sich warten. Ob Gewerkschaft Verdi, Metallarbeitgeber oder Landvolk: Sie alle hielten sich nicht lange mit Kommentaren zum Ergebnis der Landtagswahl am Sonntag auf, sondern formulierten teils knallharte Wünsche an die neue, höchstwahrscheinlich von SPD und Grünen gebildete Landesregierung. „Es kommt jetzt mehr denn je auf starke Führung an, auf ein Höchstmaß an Kompetenz und Erfahrung“, erklärte Niedersachsenmetall-Chef Volker Schmidt. „Wir erwarten, dass die personelle Besetzung des Kabinetts diesem Anspruch Rechnung trägt.“
Das klang wie eine unverhohlene Warnung an den alten und neuen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD), insbesondere das Wirtschaftsministerium bloß nicht den angeblich autofeindlichen Grünen zu überlassen. Deren Spitzenkandidatin Julia Hamburg hatte im Wahlkampf offen ihren Anspruch auf wichtige Schlüsselressorts wie Finanzen, Innen und eben auch Wirtschaft angemeldet. Am Montag wollten sich allerdings weder SPD-Vizechef Olaf Lies noch die beiden Grünen-Vorsitzenden Anne Kura und Hans-Joachim Janßen auf Personalspekulationen einlassen. „Erst klären wir die Inhalte“, meinte der noch amtierende Umweltminister. Die Verteilung der Ressortposten stehe ganz hinten an.
Rot-grüne Neuauflage
Nach fünf Jahren ungeliebter Groko von SPD und CDU gilt eine Wiederauflage des rot-grünen Bündnisses von 2013 als ausgemachte Sache. Beide Seiten haben immer wieder mehr oder weniger offen für diese Kombination die Werbetrommel gerührt. Die SPD ging Sonntag trotz Stimmverlusten mit 33,4 Prozent als stärkste Kraft durchs Ziel und holte 57 Mandate. Die Grünen legten kräftig auf 14,5 Prozent zu; dies bringt ihnen 24 Sitze, darunter erstmalig drei Direktmandate, nämlich in Göttingen, Lüneburg und Hannover-Mitte, dem Wahlkreis von Spitzenkandidatin Hamburg. Zusammen bedeutet das bei den auf 146 angewachsenen Parlamentssitzen eine recht komfortable Mehrheit. Weil und Hamburg kündigten eine rasche Regierungsbildung binnen eines Monats an. So könnte der neue Landtag bereits in seiner konstituierenden Sitzung Anfang November ein gemeinsames Hilfspaket für die Bürger beschließen.
Mögliche Knackpunkte
Bei der SPD steht ein klares Bekenntnis zur Küstenautobahn A 20 und der A 39 zwischen Lüneburg und Wolfsburg im Wahlprogramm. Die Grünen lehnen diese Neubau-Projekte strikt ab. Co-Landeschef Janßen brachte einen denkbaren Kompromiss ins Spiel: Die potenziellen Koalitionäre vereinbaren eine Neubewertung der Autobahnen unter dem Blick des Klimaschutzes. Selbst die oft aufmüpfige Grüne Jugend könnte wohl damit leben. Weitere Fallstricke drohen bei Art um Umfang der Agrarwende. Landvolk-Präsident Holger Hennies bot schon mal vorsorglich „eine konstruktive Zusammenarbeit als Mahner und Partner“ an.
Die schwarzen Verlierer
Mit 28,1 Prozent, dem schlechtesten Ergebnis seit mehr als 60 Jahren, kommt die CDU im neuen Landtag auf 47 Sitze. Spitzenkandidat Bernd Althusmann und Fraktionschef Dirk Toepffer hatten bereits nach den ersten Hochrechnungen ihren Rückzug angekündigt. Für den Vorsitz der Abgeordneten-Truppe will an diesem Dienstag Generalsekretär Sebastian Lechner kandidieren. Sein Ziel sei keine „Blockade-Opposition“, sondern eine konstruktive Zusammenarbeit. Nicht wenige Parteifreunde sehen seine Bewerbung allerdings mit gemischten Gefühlen, gilt der 41-jährige Wahlkampfmanager als mitschuldig an der deftigen Schlappe. Kampfkandidaturen wie vom bisherigen Finanzminister Reinhold Hilbers sind daher denkbar. Eine Nachfolge für Althusmann als Parteichef steht noch nicht fest. Er selbst hält auch eine weibliche Vorsitzende für möglich. Schwacher Trost für ihn: Er gewann das Direktmandat in seinem Wahlkreis Seevetal.
Die liberalen Verlierer
Noch schlimmer als die CDU traf es die FDP. Sie sind mit 4,7 Prozent nach 19 Jahren aus dem Landtag geflogen. „Das reißt eine Lücke in die niedersächsische Landespolitik, die man schnell bemerken wird“, erklärte Generalsekretär Konstantin Kuhle. Er kündigte an, dass Spitzenkandidat Stefan Birkner zunächst Parteichef bleiben werde, um einen ordentlichen Übergang zu gewährleisten. Bei SPD, CDU und Grünen löste das Ausscheiden der Liberalen Bedauern und Mitgefühl aus.
Die anderen Sieger
Die AfD konnte ihren Stimmenanteil auf 10,9 Prozent ausbauen und stellt künftig 18 Abgeordnete im Leineschloss. Ihre Hochburgen lagen in Salzgitter mit 18,4 Prozent sowie mit 16,8 Prozent in Gifhorn/Wolfsburg, dem Wahlkreis von Spitzenkandidat Stefan Marzischewski. Dieser soll nun Fraktionschef werden. AfD-Landeschef Frank Rinck kündigte an, die Einstufung seiner Partei als rechtsextremer Beobachtungsfall des Verfassungsschutzes gerichtlich überprüfen zu lassen.
Geringer Frauenanteil
Entgegen den Bekenntnissen der Parteien für mehr Geschlechtergerechtigkeit liegt der Anteil weiblicher Abgeordneter mit 34 Prozent geringfügig höher als bisher. Allein für die Grünen sitzen mehr Frauen (14) als Männer (10) im Parlament. SPD und CDU hatten zwar paritätisch besetzte Landeslisten, doch die zogen bei den Genossen wegen der direkt gewonnenen Mandate gar nicht, bei der Union nur zum Teil. So sind es bei der SPD 18 und bei der CDU 15 Frauen. „Das ist kein Schub für die Geschlechterdemokratie“, kritisierte der Landesfrauenrat.