Herr Weil, haben Sie schon von Ihren Kolleginnen und Kollegen in den anderen Bundesländern Reaktionen auf die Weihnachtsruhe in Niedersachsen mit strengen Kontaktbeschränkungen, Disko-Schließungen und Tanzverboten erhalten?
Stephan Weil: Nein, das habe ich nicht. Umgekehrt würde ich mich aber auch nicht gemeldet haben.
Niedersachsen könnte doch Vorbild für die anderen Länder werden?
Am Ende des Tages muss das jedes Land für sich selbst entscheiden. In Niedersachsen sind wir überzeugt davon, dass es für das Land und die Menschen absolut richtig ist.
Niedersachsen steht bei den Corona-Zahlen im Bundesvergleich recht gut da. Trotzdem haben Sie mittlerweile die schärfsten Vorschriften. Wieso?
Wir wollen dazu beitragen, dass Niedersachsen bei den Infektionszahlen weiterhin vergleichsweise gut dasteht. Wir wissen aus Erfahrung, dass Festtage ein Risiko sind. Das sind Gelegenheiten, bei denen sich Menschen sehr nahe kommen, wo sie miteinander feiern. Und leider gilt dann: Das Virus feiert mit. Das war im letzten Jahr ganz genauso. In diesem Jahr kommt noch etwas anderes hinzu. Wir starten in diese Festtage auf einem hohen Niveau; wir sind noch immer mitten in der vierten Welle. Und nach der vierten Welle droht sich die fünfte Welle unmittelbar anzuschließen, getrieben von der Omikron-Variante. Deswegen müssen wir jetzt vorausschauend handeln. Wir müssen den Deich erhöhen, bevor das Wasser da ist.
Fahren dann aber nicht junge Niedersachsen über Silvester zum Feiern nach Bremen oder Hamburg und schleppen von dort das Virus hier ein?
Die Landesregierung macht die Regeln für Niedersachsen. Wir wollen in dem Bereich, für den wir verantwortlich sind, dazu beitragen, dass die Risiken begrenzt bleiben. Ich sehe dem Jahresanfang mit einiger Sorge entgegen. Wir wissen noch nicht alles über die Omikron-Variante. Aber das, was wir wissen, klingt nicht gut. Im Übrigen appelliere ich auch an das Verantwortungsbewusstsein der jungen Menschen.
Keine Angst vor einem Party-Tourismus?
Nicht wirklich. Natürlich sind Bremen und Hamburg Oberzentren mit einer entsprechenden Attraktivität. Ich bin aber auch sicher, dass die Verantwortlichen in unseren Nachbarländern das Notwendige tun werden, um auch dort Risiken zu vermeiden.
Weihnachten ist noch fast zwei Wochen hin. Warum fahren Sie angesichts von Omikron das Leben nicht jetzt sofort runter?
Es gelten ja vielerorts bereits strenge Vorsichtsmaßnahmen. Vor den Festtagen besteht kein besonders gesteigertes Risiko. Weihnachten wird es dann aber unzählige Familientreffen mit ganz vielen Kontakten geben. Zu Silvester haben wir überall viele, viele Tausend Feierlichkeiten öffentlich und privat. Bei diesen Gelegenheiten ist dann typischerweise auch jede Menge Alkohol im Spiel. Das sind dann gerade die Anlässe, die nach Aussagen der Wissenschaft mit einem deutlich gesteigerten Ansteckungsrisiko verbunden sind. Davor können wir die Augen nicht verschließen.
Reichen Appelle an die Vernunft? Ohne Kontrollen der Kontaktverbote dürfte es kaum gehen.
Die Basis der Pandemiebekämpfung sind und bleiben Einsicht und Umsicht. Der eigentliche Grund dafür, warum es Niedersachsen von der ersten Welle an im Ländervergleich immer ganz gut hingekriegt hat, ist die Vorsicht und Rücksichtnahme der großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger. Das ist das Fundament des Infektionsschutzes; das kann keine staatliche Regelung ersetzen. Natürlich wird es vor allem in der Silvesternacht immer wieder auch Kontrollen geben müssen. Das liegt auf der Hand. Dabei wissen wir auch, dass flächendeckende Kontrollen nicht möglich sein werden. Die Bekämpfung der Pandemie muss vor allem von den Menschen mitgetragen werden.
Wie rechtfertigen Sie, dass trotz Weihnachtsruhe Gottesdienste stattfinden dürfen?
Dabei geht es um die Ausübung der Religionsfreiheit. Die Organisatoren selbst lassen große Vorsicht walten. Wir wissen aus zahlreichen Gesprächen insbesondere mit den großen christlichen Volkskirchen, dass dort ein großes Problembewusstsein herrscht. Es gibt klare Regeln; die Durchführung wird nicht großzügiger als im letzten Jahr sein. Wir sind sehr zuversichtlich, dass die Kirchen das Vertrauen, das wir in sie setzen, allemal rechtfertigen.
Was kommt jetzt noch? Müssen die Menschen auch mit Ausgangssperren rechnen?
Nein. Was Niedersachsen und die Regeln für dieses Jahr anbelangt, soll es das gerne gewesen sein. Danach müssen wir auf ergänzende Forschungsergebnisse zur Omikron-Variante warten. Anfang des nächsten Jahres wird man sich Gedanken machen müssen, welches die richtige Strategie ist, um der bis hierhin vielleicht größten Herausforderung zu begegnen.
Kann man Ihre Worte so interpretieren, dass die angedachte 2G-Regel auch für Jugendliche nicht mehr in diesem Jahr kommen soll?
Das ist ein durchaus umstrittenes Thema. In der Generation der Heranwachsenden ist die Impfquote noch deutlich unterdurchschnittlich. Für junge Menschen bestand erst zu einem sehr späten Zeitpunkt die Möglichkeit zum Impfen. Deswegen haben wir über etliche Monate hinweg die Heranwachsenden ein Stück weit bessergestellt als die Erwachsenen. Wir werden im Januar, wenn wir über unsere nächsten Schritte beraten, dann auch abschließend zu klären haben, ob das so bleiben kann. Oder ob man den Zugang zu Geschäften und Veranstaltungen doch vom Impfstatus abhängig macht. Dann haben wir hoffentlich auch Forschungsergebnisse, inwiefern Kinder und Jugendliche von der Omikron-Variante betroffen sein könnten. Da wollen wir nicht vorgreifen.
Hat Sie der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Lüneburg, die 2G-Regel bei körpernahen Dienstleistungen zu kippen, in Ihrem Kampf gegen Corona zurückgeworfen?
Nein. Erstens bin ich ein überzeugter Anhänger des Rechtsstaats, dazu gehört der Respekt vor gerichtlichen Entscheidungen. Zweitens kann man bei den körpernahen Dienstleistungen das Risiko der diversen Zweierkontakte durchaus unterschiedlich sehen. Und drittens hat das OVG zeitgleich 2G plus in mehreren anderen Bereichen wie Kinos und Veranstaltungen anerkannt.
Ein Sprung nach Berlin: Was bringt die neue Ampel-Regierung für den Norden und Niedersachsen?
Ich hoffe vor allem einen Durchbruch für die erneuerbaren Energien. Klimaschutz ist das vielleicht wichtigste Thema, das sich die neue Bundesregierung aufgegeben hat. Es ist völlig klar, erneuerbare Energien sind das Fundament des Klimaschutzes. Ohne sie geht nichts. Wir haben da eine Menge aufzuholen. In den vergangenen Jahren ist da leider so manches liegengeblieben. Wenn sich die neue Bundesregierung an den Aufholprozess macht, kann der Norden davon massiv profitieren. Wir sind in Deutschland die Region des Windes. Wir werden onshore und offshore große Teile der deutschen Energieversorgung nach und nach sicherzustellen haben. Niedersachsen will das Energieland Nummer eins in ganz Deutschland werden. Das ist eine ausgesprochen gute Perspektive – nicht nur für den Klimaschutz, sondern auch für Niedersachsen.
Muss man mit Investitionen oder den Regeln anfangen? Die Genehmigungsverfahren dauern derzeit ja ewig.
Zuerst muss alles leichter werden. Es ist ja teilweise nicht zum Hinschauen, wenn man bedenkt, wie viele Hürden beim Bau einer Stromleitung oder eines Windrads zu überwinden sind. Wir sind wirklich ein gutes Stück überreguliert in Deutschland. Das kommt gerade beim Klimaschutz drastisch zum Ausdruck. Die neue Bundesregierung hat sich vorgenommen, das zu ändern. Dabei werden wir sie sehr tatkräftig unterstützen.
Täuscht der Eindruck, dass die neue Farbenlehre im Bund das Verhältnis zu Ihrem CDU-Koalitionspartner hier in Niedersachsen belastet?
In der internen Zusammenarbeit ist das nicht der Fall. Nach außen mag es in bundespolitischen Fragen künftig mehr unterschiedliche Bewertungen geben. Intern sind wir uns der gemeinsamen Verantwortung für das Land sehr bewusst, insbesondere in diesen pandemischen Zeiten. Dass im Bund die einen jetzt in der Opposition und die anderen weiter Regierungspartei sind, wird natürlich auch zu der einen oder anderen Diskussion mehr führen. Für mich ist aber entscheidend, dass darunter die Landespolitik nicht leiden darf. Und da bin ich guten Mutes.
In zehn Monaten ist die Landtagswahl. Welche großen Projekte können die Niedersachsen noch erwarten?
Umweltminister Olaf Lies hat beispielsweise die Absicht, einen Entwurf für das Klimagesetz auf den Weg zu bringen, in dem noch einmal das Niveau der Maßnahmen deutlich nach oben geschraubt wird. Und auch sonst haben wir noch einiges auf dem Zettel.
Ist die Ampel auch ein denkbares Modell für Niedersachsen?
Es ist bekanntlich so, dass ich mich eigentlich mein ganzes politisches Leben lang in rot-grünen Konstellationen wohlgefühlt habe. Aber es ist auch eine gute Entwicklung, wenn jetzt auf Bundesebene früher schier unverrückbare Grenzen aufgebrochen worden sind.
Das Gespräch führte Peter Mlodoch.