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Beschäftigung Die Arbeitswelt braucht neue Ideen

Die geburtenstarken Jahrgänge gehen der Rente entgegen. Als Gegenmaßnahme soll mehr und länger gearbeitet werden. Unter den aktuellen Bedingungen werden viele dazu aber keine Lust haben, meint Katia Backhaus.
19.08.2022, 05:00 Uhr
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Die Arbeitswelt braucht neue Ideen
Von Katia Backhaus

Steife Brise auf dem Arbeitsmarkt: Bis 2036, meldete jüngst das Statistische Bundesamt, wird fast ein Drittel der aktuell verfügbaren Arbeitskräfte in Rente gehen. Bye, bye Babyboomer, heißt es also, willkommen Fachkräftemangel hoch zehn. Denn schon jetzt fehlt Personal und die nachfolgenden Generationen sind zahlenmäßig zu klein, um zusätzlich die Arbeitslast der Älteren zu schultern.

Prompt kamen allzu erwartbare Vorschläge, um dieses Problem zu lösen. Für die Rente mit 70 warb unter anderem Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall. Eine 42-Stunden-Woche brachte Industrie-Präsident Siegfried Russwurm ins Gespräch, unter Beifall von Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel. 

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Aber auch, wenn es sich kaum jemand leisten kann, freiwillig auf Erwerbsarbeit zu verzichten: Haben Menschen überhaupt Lust, mehr und länger zu arbeiten? Es gibt Gründe, weshalb die Arbeitswelt in ihrer aktuellen Form als eher unattraktiver Ort gelten kann. Nicht für alle, nicht unter allen Umständen. Weiterhin gibt es genug Leute, die ihre Arbeit lieben. Doch so manche Umfrage, manche Aussage lässt aufhorchen. Es ist an der Zeit, ein Ohr für die Bedürfnisse derer zu haben, die jetzt und in Zukunft arbeiten wollen sollen.

Viele lässt die Arbeit kaum noch los. Studien zeigen, dass Stress am Arbeitsplatz zunehmend in die Freizeit ausstrahlt. Sechs von zehn Beschäftigten gaben in einer Gewerkschaftsumfrage an, nach Feierabend nicht oder nur teilweise abschalten zu können. Selbst im Urlaub haben sieben von zehn Menschen den Eindruck, für den Chef oder die Chefin erreichbar sein zu müssen, meldet das "Börsenblatt". Die Ursachen für diese Entwicklung sind Digitalisierung, Arbeitsverdichtung und die Erwartungshaltung der Arbeitgeber.

Junge Menschen, die aufwachsen in Dauerkrisenstimmung und dem Bewusstsein, das Wohlstandslevel ihrer Eltern ohnehin nicht erreichen zu können, kontern diese Zustände: Jede und jeder Zweite im Alter zwischen 18 und 34 wäre lieber arbeitslos als unglücklich im Job. Das ist das Ergebnis einer Studie des Personaldienstleisters Randstad mit 35.000 Befragten.

Diese jungen Leute suchen das Glück und gehen nicht davon aus, dass es in einem Personalbüro auf sie wartet. Sie achten auf Werte und durchschauen, dass die im Gratis-Obstkorb oder beim Team-Kickerturnier eher nicht zu finden sind. Das kann man je nach Finanzlage der Eltern idealistisch oder privilegiert-snobistisch finden, aber entscheidend ist die Aussage: So wie ihr wollen wir nicht leben! Auch wenn wir dafür bis ans Ende unserer Tage zur Miete wohnen müssen.

Auch die Grundvoraussetzungen, die Müttern für das Arbeitsleben geboten werden, können Anlass zur Kritik geben. Wer komplizierte Sätze wie „eine größere Arbeitsmarktpartizipation von Frauen könnte zur Aktivierung eines insgesamt größeren Erwerbspersonenpotenzials beitragen“ formuliert, sollte einfach mal kurz nachschauen, welche Betreuungszeiten die örtlichen Kitas haben. In diese Zeiten lässt sich zumeist keine 40-Stunden-Arbeitswoche quetschen, und erst recht keine 42-Stunden-Woche. Schichtdienste, Wochenendarbeit oder auch nur ein 18-Uhr-Feierabend fallen aus den angebotenen Betreuungsstunden von vornherein heraus.

Es gibt noch genug Beispiele für die dunklen Ecken der Arbeitswelt. Bürokratische Hürden bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse und Arbeitsleistungen. Löhne, die trotz Vollzeitbeschäftigung für Sozialleistungen qualifizieren. Fehlende Tarifbindung. Outsourcing.

In dieser Situation hilft es nicht, den Menschen mit Anreizen wie Homeoffice-Regelungen, Dienstwagen oder Fitnessangeboten die Arbeitswelt schmackhaft zu machen. Was es für Schönwetter auf dem Arbeitsmarkt mindestens braucht, ist ein massiver Ausbau der Kinderbetreuung, Verständnis für die Zeit- und Lebensgestaltungsbedürfnisse der Beschäftigten und faire Löhne. Außerdem den Abbau von Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, die Erleichterung von Zuwanderung und ein besonderes Augenmerk auf die Arbeitsbedingungen in systemrelevanten Branchen. Dann können wir sagen: Bye, bye Babyboomer, willkommen Zukunft der Arbeit.

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