Weiße Wände, trockene Luft und ein spiegelnd sauberer grauer Fußboden. Wer den Gang betritt, wähnt sich in einem Labor, wäre da nicht dieser unverkennbare Geruch: scharf würzig und etwas grasig. Beim zweiten Blick fallen auch die zahlreichen Kameras an den Wänden auf. Und hinter der nächsten Tür stehen sie sattgrün im grellen Licht der Pflanzlampen: mannshohe Cannabis-Pflanzen voller üppiger Blüten, reif zur Ernte. Willkommen im hoch technisierten Anbau der Zukunft.
Von außen deutet nichts darauf hin, dass hier, gut 20 Kilometer nördlich von Dresden, Medizinalcannabis mit 20 Prozent THC-Wirkstoff wächst: ein etwas in die Jahre gekommener Gewerbebau aus den Neunzigern, drumherum Acker und Wald. Davor ein großes Schild: Demecan. Das Berliner Unternehmen besitzt neben den Kanadiern Aurora und Tilray eine Lizenz für Anbau in Deutschland. Im ersten Stock sitzen Constantin von der Groeben, Jurist, Adrian Fischer, Arzt, und Cornelius Maurer, Ökonom, die Demecan (Deutsche Medizinal Cannabis) gegründet haben, im Konferenzraum und strahlen.
Kürzlich haben sie zum ersten Mal geerntet, selbst ein bisschen überrascht, wie gut es lief. Jetzt wird die Produktion hochgefahren. Vorgesehen sind etwa 20 Ernten pro Jahr, die Blüten gehen über die Cannabisagentur des Bundes an Ärzte und Apotheker. Es geht darum, auf einem neuen Markt mitzumischen, der 2021 eine Größe von geschätzt 12,5 Tonnen hatte. Die meiste Ware wird bisher importiert. Demecan darf rund eine Tonne ernten.
Demecan startete 2017, kurz nachdem die Bundesregierung Cannabis zu medizinischen Zwecken freigegeben hat. Inzwischen beschäftigt die Firma gut 70 Mitarbeiter, rund 50 hier in der Anlage. Die Gründer halten etwa ein Drittel der Anteile, der Rest gehört den Geldgebern, finanzstarken Industriellenfamilien und Finanzinvestoren.
Schlachthöfe sind ideal für Cannabisanbau
„Wir wollten nicht auf der grünen Wiese bauen“, sagt von der Groeben. Also haben sie in immer größeren Kreisen um Berlin, dem Sitz der Firma, nach einem geeigneten Standort gesucht. Und fanden den ehemaligen Schlachthof, den sie kurzerhand kauften –„Schlachthöfe sind ideal für Cannabisanbau, weil nicht nur Böden und Wände dick sind, sondern auch die Decken“, sagt von der Groeben. Weil dort die Transportbänder für die Kühe und Schweine hingen, wurde entsprechend stabil gebaut. Das Gebäude muss den Anforderungen des Betäubungsmittelgesetzes entsprechen, praktisch zum Tresor taugen. 24 Zentimeter Stahlbeton rundum sind Pflicht. Insgesamt haben sie rund 20 Millionen Euro in die 5000 Quadratmeter gesteckt, knapp 30 Prozent davon aus einem Strukturfonds der EU.

Demecan-Gründer Adrian Fischer, Constantin von der Groeben, Cornelius Maurer (v.l.)
Überall sind Kameras montiert, der Baukörper ist gespickt mit Sensoren, die Erschütterungen erkennen, sollte jemand versuchen, mit Gewalt einzudringen. Und rein geht es nur durch die gut 15 Zentimeter dicke Stahltür und das dahinter liegende Gitter. Zunächst geht es durch zwei Schleusen, desinfizieren, Schutzanzug anziehen, Haube und Maske aufsetzen. Dann der helle Gang und rechts in den Raum für die Mutterpflanzen. „Wir haben etwa ein Jahr gesucht, bis wir aus 50 verschiedenen die optimale Pflanze gefunden haben“, sagt Adrian Fischer, zuständig für den Anbau. Er streicht über die Blätter. „Perfekt.“ Setzlinge der Mutterpflanze werden dann im nächsten Raum angezogen und wandern nach 20 Tagen über den Gang in einen der vier Blühräume. „Das sind praktisch Klone. So garantieren wir die immer gleich bleibende Qualität.“
Kanülen ragen aus der Steinwolle
Die Anlage hat mit dem klassischen Acker so viel gemein wie ein Tretroller mit einem Tesla. Und das hat mit den Anforderungen an das Produkt zu tun. Demecan verkauft mit den Blüten ein Medikament. Und das Naturprodukt muss bei jeder Ernte dieselbe Qualität und denselben Wirkstoffgehalt aufweisen. Demecan versucht deshalb, möglichst viel zu kontrollieren. Die Luft in den Räumen ist gefiltert und mit UV-Licht behandelt, damit keine Schädlinge eindringen können. „Wir haben hier ja eine Monokultur, da wäre ein Virus das Ende“, sagt Fischer.
Die Feuchtigkeit ist konstant, der CO2-Gehalt, ebenso die Temperatur, hier im Blühraum 3 beträgt sie 24 Grad. Die Luft streicht von unten her an den Pflanzen entlang und wird unter der Decke wieder abgesaugt. „Wir tauschen sie mehrfach in der Stunde aus“, sagt der Arzt. Die Pflanzen wachsen auf Steinwolle, aus der Kanülen mit Klarsichtschläuchen ragen wie bei einer Infusion. Das Wasser wird entsalzt, die Nährstoffe dann nach einem bestimmten Mix wieder hinzugefügt.

Eine Tresortür dient als Eingang zum Anbaubereich
3200 Pflanzen wachsen in den Blühräumen den lichttemperatur-optimierten künstlichen Sonnen unter der Decke entgegen. Für den Menschen ist das vielleicht zu grell-gelb, manch Mitarbeiter trägt Sonnenbrille. Die Pflanzen lieben es. Bis zu 40 Zentimeter stehen die Blüten hoch, das wirkstoffreiche Harz schimmert weißlich – das sei nur unter den Laborbedingungen möglich, wie Fischer erklärt. „Im Gewächshaus würde das alles schimmeln.“
Und dann wieder draußen, zurück im Hier und Jetzt, leichtes Kopfweh. Tief einatmen, es riecht nach Wald, Regen, ein Hauch von Abgasen der nahen Straße. Bleibt noch die Frage, was Demecan mit dem riesigen Gelände noch vorhat. „Zunächst bauen wir eine Extraktionsanlage auf“, sagt Maurer. „Das ist nötig, um perspektivisch eigene Fertigarzneimittel anzubieten.“ Und eine Voraussetzung, um nach der geplanten Freigabe von Cannabis für den Freizeitgenuss dabei sein zu können. Die drei von Demecan rechnen sich gute Geschäftschancen aus. Platz haben sie: Der Schlachthof bietet weitere 25.000 Quadratmeter. Für eine Menge von mehr als zehn Tonnen.