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Standpunkt: Der Osten nach der Wahl Das Ost-West-Schema hat ausgedient

Die Bundestagswahl hat kurz vor dem Tag der Einheit verdeutlicht, dass von einer politischen Einheitlichkeit nicht die Rede sein kann. Das Ost-West-Schema ist überholt, meint Anja Meier.
30.09.2021, 20:26 Uhr
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Das Ost-West-Schema hat ausgedient
Von Anja Maier

An diesem Sonntag jährt sich der Tag der deutschen Wiedervereinigung zum 31. Mal. Beim Blick auf das Ergebnis der Bundestagswahl vom vergangenen Wochenende aber kann von Einheitlichkeit wirklich nicht die Rede sein. Ein kurzer Blick auf die Grafiken mit den Ergebnissen zeigt es: Im Jahr 2021 kann man die Bundesrepublik grob in drei Fragmente einteilen: schwarzes Unions-Gebiet in Bayern, Baden-Württemberg, den ländlichen Teilen von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Vom Saarland im Südwesten bis nach Rügen im Nordosten erstreckt sich rotes SPD-Land. Und in der Mitte und im Südosten liegen Sachsen und Thüringen, tief in AfD-Blau gefärbt.

Spaltet sich dieses Land also weiter? Werden wir in, sagen wir, zehn Jahren eine Teilung haben – in Schwarz, Rot, Blau und noch mehr Grün in den Großstädten? Einiges spricht dafür, nicht länger in Ost und West zu unterscheiden, sondern in Regionen. Eine Studie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung hat kurz vor der Wahl herausgearbeitet, was die Bürgerinnen und Bürger von der Politik und ihren Institutionen erwarten. 61 Prozent aller Wahlberechtigten wünschen sich demnach von einer Partei, dass sie kompromisslos ihre Anliegen verfolgt. Kompromisslos, das heißt letztlich, auf eigenen Positionen zu beharren und andere Perspektiven nicht zu respektieren zu können. Besonders hoch ist dieser Anteil unter den Wählerinnen und Wählern der AfD mit 81 Prozent.

Mit diesem gefühlten "Wir gegen die" holt die blaue Partei seit Jahren ihre Erfolge im Südosten. Dort, das zeigt der Blick auf die Karte, grenzt man sich auf diese Weise deutlich vom Rest der Republik ab. In Thüringen und Sachsen holt die AfD die meisten Direktmandate und ist nun stärkste Kraft. In Brandenburg und Sachsen-Anhalt hingegen wurden die Erfolge von 2017 gedämpft. Wohlgemerkt: In allen vier Ländern wird die Partei vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft. Einzig in Mecklenburg Vorpommern hat es SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig geschafft, trotz der für die heimische Wirtschaft bedrohlichen Pandemie ein Wir-Gefühl zu erzeugen. Die Politik als Kümmerin – das zieht überall.

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Es ist weder wünschenswert, noch sinnvoll, dass das Deutschland einen einheitlichen Farbton annehmen würde. Und wohlgemerkt: 75 Prozent der Sachsen und Thüringer haben die AfD nicht gewählt. Doch dass eine antidemokratische Partei vom Südosten aus Kurs auf das ganze Land nimmt, kann nicht länger als alleiniges Problem der Ostdeutschen verstanden werden. Nicht nachdem sie nun bundesweit zum zweiten Mal zweistellig ins Parlament gewählt worden ist.

In der ersten Woche nach der Wahl war gut zu beobachten, wie versucht wird, das Problem auf einzelne Personen zu verlagern. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer lässt seinen Verdruss über die Schwäche seiner CDU am Ostbeauftragten der Bundesregierung aus. Der Abgeordnete Marco Wanderwitz darf nicht länger der sächsischen CDU-Landesgruppe vorstehen. Wanderwitz habe, hat Kretschmer der "Leipziger Volkszeitung" gesagt, Menschen stigmatisiert und angegriffen. Tatsächlich hat der Chemnitzer wiederholt auf die Sozialisierung der Ostdeutschen in der DDR-Diktatur verwiesen und damit versucht, eine Anfälligkeit für Rechtsextremismus zu erklären.

In seiner Pauschalität stimmt dieses Urteil ganz sicher nicht. Aber so zu tun, als könnte  man zunehmende antidemokratische Strukturen quasi intern klären, weil sie gefühlt an der Landesgrenze enden, ist ein Trugschluss. Kretschmer, der 2017 seinen Bundestagswahlkreis an den heutigen AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla verloren geben musste, sollte das wissen. Die gesamte CDU wäre gut beraten, den anhaltenden Rechtsdrall von einem Teil ihrer einstigen Wähler endlich als Aufgabe für die Bundespartei zu verstehen.

Egal ob Union oder SPD am Ende ins Kanzleramt einzieht, könnte als eine der ersten  Maßnahmen das Amt des Ostbeauftragten der Bundesregierung abschaffen. Einen Grüßonkel für die ganz und gar nicht mehr „neuen Länder“ braucht drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung wirklich niemand mehr.

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