Er ist stets ruhig, sachlich, wirkt aufgeräumt, manchmal aber auch holzschnittartig, gar langweilig. Doch die Art von Frank-Walter Steinmeier ist in diesen Krisen-Zeiten beinahe eine perfekte Mischung. Nun hat er sich, wie so oft, wieder zu Wort gemeldet: in eigener Sache. Der Bundespräsident will in die zweite Runde gehen, kandidiert erneut für das höchste Staatsamt. Die Sache als solche ist nicht überraschend, in Berlin wurde schon seit Wochen darüber gemunkelt. Überraschender ist der Zeitpunkt, zu Beginn des Bundestagswahlkampfs.
Das erste Echo auf die Ankündigung dürfte aus der Sicht Steinmeiers erfreulich sein. Wie zu erwarten, zeigt sich die Sozialdemokratie über die Kandidatur des SPD-Mannes hocherfreut. Doch auch FDP-Chef Christian Lindner fand lobende Worte über den Präsidenten. Sogar Bodo Ramelow, Ministerpräsident in Thüringen für die Linke, begrüßte die Entscheidung. Der CSU-Vorsitzende Markus Söder hob die „gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit“ hervor.
Solch ein Echo aus ganz unterschiedlichen Lagern muss man sich erst einmal erarbeiten. Zumal Steinmeier dem Amt einen stärkeren politischen Anstrich gegeben hat, als manche seiner Vorgänger. Er wolle nicht „der Chefkommentator oder Oberbegutachter von täglichen Regierungsentscheidungen“ sein, hat er einmal gesagt. Doch wenn er die Fundamente von Zusammenhalt, Gesellschaft und Demokratie bedroht sieht, mischt sich der Präsident gern ein.
Chef des Kanzleramtes
Als langjähriger Chef des Kanzleramtes unter Gerhard Schröder, später als Bundesaußenminister und Vizekanzler schielte er nicht auf Schlagzeilen, trat selten wortgewaltig auf. Der 68-Jährige stand auch nicht in Verdacht, ein großer Visionär oder Ideologe zu sein. Doch schon in all den Jahren als Regierungsmitglied war Steinmeier stets mehr als ein biederer Amtsverwalter. So zeigte er sich etwa 2013 unmittelbar nach den Verhandlungsrunden zur Bildung der Großen Koalition tief enttäuscht: Es fehle der Groko ein „gemeinsamer Überbau“, die zündende Leitidee, das große vereinende Ziel. Dafür machte der Sozialdemokrat vor allem Kanzlerin Angela Merkel verantwortlich.
Nun versucht er, einer Leitidee in seinem Amt zu folgen. Steinmeier sieht die Gesellschaft durch Hass, Polarisierung und Egomanie ernstlich in Gefahr. So hat er jüngst die anti-israelischen Demonstrationen und antisemitischen Übergriffe kritisiert. „Wir dulden keinen Antisemitismus, ganz gleich von wem, in unserem Land“, betonte er.
2018 mahnte der Bundespräsident CDU und CSU, auf dem Höhepunkt des Streits um die Migrationspolitik, zur Mäßigung. Der Präsident befürchtete eine Zunahme der Fremdenfeindlichkeit. Auch in der Corona-Krise meldete sich das Staatsoberhaupt immer wieder zu Wort – und erteilte Bundesregierung und Ministerpräsidenten einen Rüffel: Nach dem Corona-Chaos rund um Ostern forderte er die politisch Verantwortlichen auf, sich zusammenzuraufen.
Er schreibt Verantwortung groß
Steinmeier will die Rolle des Stabilitätsankers in bewegten Zeiten über 2022 hinaus ausfüllen. Er begründet die Kandidatur damit, dass er Deutschland nicht gespalten zurücklassen wolle. Das darf man ihm getrost glauben. Steinmeier ist nicht der Typ, der sich an ein Amt klammern würde. Er ist jemand, der Verantwortung großschreibt. So auch vor drei Jahren, als er die zaudernde SPD in Richtung Große Koalition drängte – was ihm manche Genossen bis heute verübeln.
Ob Steinmeier tatsächlich in Schloss Bellevue bleiben kann, ist natürlich unklar. Es gilt, den Ausgang der Bundestagswahl abzuwarten. Die Besetzung des Amtes wird dann Verhandlungsmasse sein. Mögliche Konkurrenten: Immer mal wieder fällt der Name Winfried Kretschmann, der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Oder endlich mal eine Frau im höchsten Amt? Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt werden Ambitionen nachgesagt. Auf CDU-Seite wäre Staatsministerin Monika Grütters eine Kandidatin. Alle drei erfüllen durchaus das Bewerberprofil. Andererseits: Frank-Walter Steinmeier hat bewiesen, dass er der richtige Mann ist, am richtigen Platz und zur rechten Zeit.