Gesichter des Bösen hat jeder Krieg: Saddam Hussein, Slobodan Milosevic und Radovan Karadzic, Osama bin Laden, nun Wladimir Putin. Auf sie konzentriert sich alle Abscheu, die man beim Anblick der Opfer und der Zerstörungen empfindet. Gleichzeitig wirkt diese Personalisierung als Bremse der eigenen Empörung: Nein, das sind nicht "die" Russen/Serben/Iraker, die da kleinere Nachbarländer überfallen und verwüsten, Flüchtlingswellen auslösen, Kriegsverbrechen begehen. Natürlich nicht. Aber es sind eben auch nicht nur die Despoten allein, die die Verantwortung dafür tragen – und die sich im Idealfall später dafür auch verantworten sollten, möglichst vor einem internationalen Gericht.
Kein diktatorisches Regime funktioniert ohne den Kadavergehorsam Zehntausender Sicherheitskräfte, ohne eine willfährige Justiz, ohne Medien, die zu jeder Lüge bereit sind. Und es sind eben nicht bloß drei Dutzend milliardenschwere Oligarchen, die sich korrumpieren lassen. Es sind auch unzählige Spitzel, Wachleute, Lehrer, Journalisten, selbst Geistliche. Das läuft nicht nur rein materiell ab: "Um Menschen für Massengewalt zu mobilisieren, braucht es einen großen heiligen Grund, der kleinliche individuelle Sogen über das Töten trivial erscheinen lässt", schreibt der slowenische Philosoph Slavoj Zizek.
Putins "heiliger Grund" ist die Restauration des sowjetrussischen Machtbereichs, und offenbar akzeptieren ihn immer noch sehr viele seiner Landsleute. Diplomatisch ist daran nichts verhandelbar, deshalb bleibt dem demokratischen Europa nur, mit Sanktionen und militärischer Stärke gegenzuhalten. Das ist keineswegs "russenfeindlich", denn Putin selbst verstößt gegen die nationalen Interessen Russlands, wie die russisch-amerikanische Politologin Nina Chruschtschowa analysiert. Zizek sieht die wahren Patrioten in jenen, die sich für den Angriffskrieg schämen. Sie muss "der Westen" nach Kräften unterstützen und mit offenen Armen empfangen. Viele haben sich bereits auf den Weg gemacht. Putin verliert nicht nur den Krieg in der Ukraine, er verliert auch die Besten seines Landes.