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Tagung des Verkehrsgerichtstages Mautdesaster, Tempolimit und aggressive Autofahrer

Auf dem Verkehrsgerichtstag wurde Andreas Scheuers Handeln beim Thema Automaut stark kritisiert. Außerdem warnte Gastredner Cem Özdemir davor, das Auto zu verteufeln.
30.01.2020, 21:14 Uhr
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Mautdesaster, Tempolimit und aggressive Autofahrer
Von Peter Mlodoch

Das gewählte Bild passte ebenso gut zum Gescholtenen wie zu einem der Hauptthemen des Verkehrsgerichtstages (VGT). „Wer mit dem E-Scooter bei Gelb-Rot in den Kreuzungsbereich einfährt und einen Unfall verursacht, der muss dafür auch die Verantwortung tragen“, sagte VGT-Präsident Ansgar Staudinger am Donnerstag zur Eröffnung des Expertentreffens in Goslar. Gemeint waren damit Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und das von ihm verursachte Mautdesaster. „Wenn man alle europarechtlichen Warnlampen ignoriert, dann provoziert man den Crash vor dem Europäischen Gerichtshof“, meinte der Bielefelder Jura-Professor. Damit brachte Staudinger indirekt auch einen möglichen Regress beim Ressortchef und bekennenden Fan der Elektro-Roller wegen der noch vor dem EuGH-Urteil abgeschlossenen Verträge mit den Betreibern ins Spiel. Scheuer müsse sich doch die Frage stellen: „Hätte ich mit meinem eigenen Geld in dieser Situation dieses Geschäft getätigt?“

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In einem anderen Fall sei es noch nicht zu spät, hier könne ein genauer Blick ins Europarecht die verantwortlichen Politiker noch vor finanziellem Schaden bewahren, warnte Staudinger. Der Reiserechtler riet der schwarz-
roten Bundesregierung, sich die Forderungen der Kunden des insolventen Reiseveranstalters Thomas Cook abtreten zu lassen und sich diese bei der Zurich-Versicherung zurückzuholen – über die von dort bislang lediglich zugestandenen 110 Millionen Euro hinaus. Die Regierung hatte angekündigt, die geprellten deutschen Urlauber voll zu entschädigen, die Rede ist von insgesamt 300 bis 400 Millionen Euro.

„Es geht hier um Steuergelder“, betonte Staudinger. „Da sollte keiner Angst haben, diesen Strauß auszufechten, auch bis hin zum Europäischen Gerichtshof.“ Offen sei bereits, ob die Rückführungskosten von allein 80 Millionen Euro nicht neben den 110 Millionen Euro zu berappen seien. „Und ob diese 110 Millionen Euro überhaupt europarechtlich einen Deckel bedeuten, ist ebenfalls offen“, meinte der Professor. Diese Chancen eines Rechtsstreits gelte es zu nutzen. „Am Ende ist es Ihr und mein Geld.“

Premiere in Goslar

Der VGT, der sich bis Freitag mit Aggressionen auf den Straßen, flexibleren Bußgeldern, der Unfallregulierung im Ausland und eben auch mit den Auswüchsen der E-Scooter in den Innenstädten beschäftigt, feierte eine doppelte Premiere. Zum ersten Mal in der 58-jährigen Geschichte des Expertengremiums durfte ein Berliner Oppositionspolitiker zu den Juristen, Polizisten, Medizinern, Psychologen und Vertretern aus Versicherungswirtschaft und Automobilclubs sprechen. Und dann war es auch noch ein Grüner: Der Abgeordnete Cem Özdemir, Vorsitzender des Verkehrsausschusses des Bundestages, nutzte seinen Auftritt, für eine Gleichberechtigung aller Verkehrsmittel zu werben.

„Das Radeln zur Schule muss genauso sicher sein wie das Elterntaxi im SUV“, forderte Özdemir. „Warum sperrt sich die Bundesregierung dagegen, Tempo 30 in den Kommunen zur Regel zu machen und überall dort, wo es keine Gefahr darstellt, Tempo 50 weiter zu ermöglichen?“ Es sei außerdem absurd, dass Städte und Gemeinden Zebrastreifen und Fahrradstraßen nur dann einrichten könnten, wenn sie vorher den Bedarf durch besonders hohe Zahlen von Fußgängern oder Radfahrern nachgewiesen hätten. „Natürlich sind die noch nicht da.“ Dazu brauche es ja erst die Radwege. „Ich baue ja auch nicht Schienen nur da, wo bereits Züge fahren.“ Und im Kampf gegen tödliche Abbiegeunfälle mit Lastwagen brachte Özdemir noch eine Idee ein: Kommunen sollten selbstständig Sicherheitszonen bestimmen dürfen, in die nur Lkw mit automatischen Warnsystemen einfahren dürften. Großer Applaus der Experten war dem Ehrengast aus Berlin da sicher.

Anreize schaffen

Gleichzeitig warnte der Grüne davor, das Auto zu verteufeln. „Die Verkehrswende ist kein Kulturkampf.“ Man dürfe nicht Stadt gegen Land ausspielen, gerade außerhalb der Metropole würden die Menschen noch lange auf Personenwagen angewiesen ein. „Wir dürfen nicht von oben herab diktieren, wie sich die Bürger zu bewegen haben“, sagte Özdemir und plädierte für Anreize zum Umstieg wie engere Fahrplantakte und günstigere Ticketpreise für den ÖPNV. Moderate Töne ließ er auch beim Reizthema Tempolimit vernehmen. Özdemir zeigte wie VGT-Chef Staudinger Sympathie für den Vorstoß des ADAC, die Folgen einer allgemeinen Geschwindigkeitsbegrenzung für Sicherheit und Umwelt detailliert untersuchen zu lassen. „Vielleicht hilft es ja, die Wissenschaft da ranzulassen.“

Gemischt reagierte der ADAC auf die grünen Vorschläge. „Von einem generellen Tempo 30 in den Städten halten wir nichts“, erklärte Gerhard Hillebrand, der für Verkehr zuständige Vizepräsident des Automobilclubs. Recht habe Özdemir dagegen mit seiner Forderung, die immer enger werdenden Verkehrsräume neu und gerechter aufzuteilen. Allerdings setze dies „gewaltige Investitionen in den Städten“ voraus. Eines freute den Rechtsanwalt an der Spitze des Autolobby-Vereins freilich ganz besonders nach der Özdemir-Rede. „Sein Bekenntnis zum Auto begrüßen wir sehr.“

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