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Reformstaatsvertrag Wettbewerb ist gut, nur fair muss er sein

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll reformiert werden. ARD und ZDF sehen ihre Arbeit gefährdet, aber eine Reform ist bitter nötig, um die Medienvielfalt zu erhalten, meint Gastkommentator David Koopmann.
20.10.2024, 18:33 Uhr
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Von David Koopmann

Seit einigen Tagen wird über den Entwurf zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) diskutiert. Die Länder haben eine Reihe von Reformideen vorgelegt. Sie sind die Grundlage für die Konferenz der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten, die an diesem Mittwoch beginnt. Sie haben sich vorgenommen, den Reformstaatsvertrag zu beschließen, der im nächsten Jahr in Kraft treten soll.

Über das Papier und die Reform gibt es nicht nur unterschiedliche Haltungen, zudem kursieren wilde Gerüchte über die Ziele. ARD und ZDF geht die Reform zu weit, sie behaupten, dass sie unter diesen Auflagen ihren Auftrag nicht mehr erfüllen können. Verlage wie die Bremer Tageszeitungen AG halten die Reformen für einen Anfang, aber auch nicht mehr. Das gilt vor allem auch für Auflagen für die Onlinepräsenz.

Aus gutem Grund: ARD, ZDF und der Deutschlandfunk werden durch staatlich festgelegte Beiträge von den Haushalten finanziert, einerlei ob, wie und wann die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks überhaupt genutzt werden. Im Wettbewerb haben es privatwirtschaftliche Medienunternehmen ungleich schwerer: Sie finanzieren sich über Werbeeinnahmen und/oder über Abonnentinnen und Abonnenten. Dennoch haben sich die beiden Angebote – ÖRR hier und private Verlage und Sender da – Jahrzehnte lang gut ergänzt.

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Durch die Digitalisierung hat sich dieses Gleichgewicht fundamental verändert. Das Verhältnis ist aus dem Lot geraten: Radio Bremen (RB) und die anderen Landesrundfunkanstalten sowie ARD und ZDF berichten nicht mehr vornehmlich in Video und Audio, sondern auch durch umfangreiche und presseähnliche Texte.

In Bremen zeigt sich das überdeutlich, weil sich keine andere Landesrundfunkanstalt in seiner Berichterstattung auf einen derart kleinen Raum konzentriert wie RB. Die Folge: Mit täglich bis zu 2 0 Nachrichten aus Bremen und der Region gleicht der Inhalt von butenunbinnen.de und der dazugehörigen App dem einer Tageszeitung. Wenn man das Textangebot von tagesschau.de und sportschau.de einbezieht, werden online pro Tag Texte (genauer: Artikel) veröffentlicht, die rund 21 WESER-KURIER-Seiten füllen würden, ohne Rätselseite, ohne Kinderseite und ohne Werbung.

Das soll fairer Wettbewerb sein? Jeder bremische Haushalt finanziert automatisch diese digitale Bremen-Ausgabe, ob die Bremerinnen und Bremer sie wollen oder nicht, nutzten oder nicht, ob sie ihren Ansprüchen genügt oder nicht. Die Frage ist, warum sich der ÖRR im Internet überhaupt derart entfalten und ausbreiten muss. Er bekommt dafür nicht einen Cent mehr, kann aber so viel Personal einsetzen, wie es ihm gefällt.

Wenn sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk um seine auskömmliche Finanzierung sorgt und fürchtet, den Bildungsauftrag nicht mehr erfüllen zu können, warum konzentriert er sich nicht auf seine Stärken, auf Rundfunk und Fernsehen, auf Video und Audio, und verschlankt sein Digital-Angebot? Weil es – auch – um Macht geht, um Einfluss, um Eitelkeiten.

„In all den Jahren, in denen um einen fairen Wettbewerb zwischen Presse und ÖRR gerungen wurde, haben die Verleger von den Intendanten zwar freundliche Worte gehört, sind in Wahrheit aber bekämpft worden“, kommentiert Michael Hanfeld in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Vielsagender Titel: „Seifenoper“. Es gibt bundesweit wohl keine Verlegerin und keinen Verleger, keine Geschäftsführerin und Geschäftsführer, die den ÖRR grundsätzlich ablehnen. Er hat seine Berechtigung, um die Grundversorgung der Bevölkerung aufrechtzuerhalten, um hochwertige Inhalte zu produzieren, die anders niemals zu finanzieren wären. Das heißt aber nicht, dass man sich nicht fragen darf, ob es nicht auch eine Nummer kleiner ginge: weniger Hörfunk- und Fernsehkanäle, weniger exorbitante Gehälter – und weniger unnötige Konkurrenz mit privaten Medien.

Privatwirtschaftliche Medien wissen, was es heißt, sich zu schmerzlichen Einschnitten durchzuringen, sich effizient aufzustellen und um jeden Kunden zu ringen. Der ÖRR hatte das bislang nicht nötig. Im Gegenteil: Er hat sein Angebot vergrößert und vergrößert. Warum? Weil er es (finanziell) kann. Wenn das digitale Angebot bleibt, wie es ist, womöglich noch weiter wächst, werden die Tageszeitungen nicht mehr lange mithalten können. Sie können ein konkurrenzfähiges Angebot nicht mehr finanzieren.

Wer meint, dass das kein großes Unglück wäre, weil der ÖRR ja die Grundversorgung gewährt, der lässt ungeachtet, dass der Staatsferne Grenzen gesetzt sind. Dafür kann der ÖRR nichts, die Grenzen sind durch die Organisationsstruktur bedingt. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird staatlich reguliert, er wird nach staatlichen Regeln finanziert. Sein Auftrag wird durch Gesetze geregelt, die Zusammensetzung der Rundfunk- und Verwaltungsräte kann mit einfacher Mehrheit in den Parlamenten geändert werden.

Was das bedeutet, kann man in Polen, Ungarn oder Tschechien sehen, wo der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Unabhängigkeit verloren hat, weil die Regierungen es so wollten. Davon kann hierzulande (noch) keine Rede sein, aber der Wettbewerb wird nicht fairer, wenn ein Wettbewerber unter besonderem staatlichem Schutz steht und der andere zusehen muss, wie er allein seine Zukunft sichert.

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Man muss kein Kulturpessimist sein, um festzustellen, dass eine vielfältige freie Medienlandschaft wichtiger ist denn je. Soziale Netzwerke sind keine Alternative, sie tragen durch Echokammern und Filterblasen zur (gezielten) Desinformation bei. Das Geschäftsmodell der Suchmaschinen und Webportale sieht sich nicht der Meinungsbildung und Demokratiestärkung verpflichtet, das ist offensichtlich. Eine lebendige Demokratie braucht Medien- und Meinungsvielfalt.

Diese Vielfalt erhält sich nicht automatisch, sie erweitert sich nicht durch private Blogs, auch nicht durch Nachrichtenangebote von Gmx oder T-online. Sie muss verteidigt werden, indem man den übermächtigen ÖRR reguliert und privaten Medienunternehmen durch fairen Wettbewerb die Chance lässt, auf Dauer zu überleben. Eine „Selbstverpflichtung“, das Online-Textangebot zu begrenzen, wie sie ARD-Chef Kai Gniffke, angeboten hat, reicht nicht. Eine belastbare und langfristige Reform ist überfällig.

Zur Person

David Koopmann

ist Vorsitzender des Zeitungsverleger- und Digitalpublisherverbands Bremen und Vorstand der Bremer Tageszeitungen AG.

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