Vor wenigen Tagen wurden in der Schweiz die Richtlinien zur intensivmedizinischen Behandlung erweitert, durch einen „Anhang zu Triageentscheidungen“ vor dem Hintergrund der Verbreitung des Coronavirus. Diese Richtlinien dienen als Basis für schwerwiegende Entscheidungen des medizinischen Personals.
Sie regeln detailliert, wie bei der stationären Aufnahme von Patienten vorgegangen werden soll, wenn die Kapazitäten in den Kliniken knapp sind. Erarbeitet wurden sie von der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften (SAMW) und der Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI). Schon früh, sagt Michelle Salathé, Vize-Generalsekretärin und Leiterin des Ressorts Ethik bei der SAMW, hätten sich die Mitglieder dieser beiden Institutionen und weitere Fachleute mit einer „spezifischen Covid-19-Triage“ befasst.
Ausgehend von einer „Notstandssituation mit einer großen Anzahl schwerstkranker Patienten“ seien zwangsläufig Rationierungsentscheide nötig, heißt es in dem Papier. Wichtig sei, „dass gesamtschweizerisch vergleichbare Kriterien für die Aufnahme und den Verbleib auf der Intensivstation zur Anwendung kommen“. Zu den entscheidenden Grundsätzen der Schweizer Richtlinien gehören „die vier weitgehend anerkannten medizin-ethischen Prinzipien", aufgezählt als: Gutes tun, Nichtschaden, Respekt vor der Autonomie und Gerechtigkeit.
Die „Vorzugsregeln“ müssten nach mehreren Gesichtspunkten angewandt werden. Dazu gehört zum einen Gerechtigkeit, das bedeute in diesem Zusammenhang: keine Ungleichbehandlung nach Alter, Geschlecht, Wohnort, Nationalität, religiöser Zugehörigkeit, sozialer Stellung, Versicherungsstatus oder chronischer Behinderung. Zudem sollen Entscheidungen so getroffen werden, dass möglichst wenig Menschen schwer erkranken oder sterben. Drittens wird der Schutz des Fachpersonals angeführt. Mit folgender Begründung: Es sei einem besonderen Risiko ausgesetzt, sich mit dem Coronavirus zu infizieren. Fiele es aus, stürben bei akuter Knappheit noch mehr Menschen.
Medizinisch ist in der Schweiz die „kurzfristige Prognose“ entscheidend. Das heißt, dass die Patienten die höchste Priorität bekommen, die am meisten von der Intensivbehandlung profitieren, deren Prognose mit ihr gut, ohne sie aber ungünstig ist. Das Alter der Kranken, heißt es ausdrücklich, sei an sich kein Kriterium zur Auswahl. „Es misst älteren Menschen weniger Wert bei als jüngeren und verletzt in diesem Sinne das verfassungsrechtlich verankerte Diskriminierungsverbot.“
Andere Auswahlverfahren wie Losverfahren, „first come, first served“ (wer zuerst kommt, wird zuerst behandelt) oder eine Einordnung nach dem gesellschaftlichen Wert der Menschen dürfen ausdrücklich nicht zur Anwendung gelangen. In Italien hat die Gesellschaft für Anästhesie, Analgesie, Reanimations- und Intensivmedizin vor wenigen Tagen ebenfalls Triage-Richtlinien zur Intensivtherapie von Covid-19-Patienten veröffentlicht, so auch ihre österreichische Schwesterorganisation.
Die SAMW hat sich in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie nicht nur mit dem Thema Triage befasst, sondern auch mit der Palliativmedizin und der Patientenverfügung. Mehr dazu gibt es (allerdings unter schweizerischen Rahmenbedingungen) unter https://tinyurl.com/samsuog
und https://tinyurl.com/v2wewd2
Der Duden fasst das Fremdwort Triage (französisch für auslesen) als „Einteilung der Verletzten (bei einer Katastrophe) nach der Schwere der Verletzungen“. Der Begriff und das System stammen aus der Militärmedizin. Im Krieg mussten Feldärzte eine Regelung finden, um eine Vielzahl von Verletzten mit knappen Ressourcen zu versorgen. Laut der Internet-Enzyklopädie Wikipedia verdankt das Auswahlsystem seinen Namen dem französische Sanitätsdienst.
Er habe das Prinzip „Triage – Transport – Traitement“ (Auswahl – Transport – Behandlung) eingeführt. Zuvor hat laut Wikipedia der russische Chirurg Nikolai Iwanowitsch Pirogow (1810–1881) eine Abstufung bei der Behandlung von Kriegsverwundeten erdacht, die aus seiner Arbeit im Kaukasischen Krieg und im Krimkrieg resultierte. Die Verletzten wurden nach dem sogenannten Pirogowschen Sichtungsprinzip in fünf Kategorien eingeteilt, je nach Schwere der Verletzung.