EU-Staaten dürfen Asylbewerber erst in das EU-Land zurückschicken, in dem sie zuvor internationalen Schutz beantragt haben, wenn dieses sich dazu bereit erklärt. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg entschieden (Rechtssache C-647/16). Aus den geltenden Dublin-Regeln gehe hervor, dass das Land zuvor dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben haben muss, urteilten die Richter am Donnerstag.
Aus „dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte und dem Ziel“ der Dublin-Verordnung ergebe sich eindeutig, dass „eine Überstellungsentscheidung erst erlassen und dem Betroffenen zugestellt werden darf, nachdem der ersuchte Mitgliedstaat seiner Wiederaufnahme stillschweigend oder ausdrücklich zugestimmt hat“, heißt es im Urteil.
In dem Fall, über den die Luxemburger Richter entschieden, ging es um einen Iraker, der 2015 in Deutschland Asyl beantragt hatte, daraufhin aber nach Frankreich reiste, wo er wegen fehlenden Aufenthaltsrechts vorläufig festgenommen wurde. Die französischen Behörden hielten Deutschland nach geltenden Dublin-Regeln für das Asylverfahren zuständig und ersuchten das Land um Wiederaufnahme des Mannes. Noch am gleichen Tag beschloss Frankreich, den Iraker nach Deutschland zurückzuschicken. Dem Mann wurde die Entscheidung unmittelbar mitgeteilt.
Klage in Frankreich
Der Iraker klagte dagegen vor dem Verwaltungsgericht in Lille. Er argumentierte, dass die Entscheidung der französischen Behörden gegen die Dublin-Regeln verstoße und er nicht nach Deutschland überstellt werden dürfe, bevor das Land das Wiederaufnahmegesuch beantwortet habe.
Das französische Gericht bat daraufhin den Gerichtshof der Europäischen Union um eine Auslegung des EU-Rechts. Der bestätigte nun die Einwände des Irakers. Die Luxemburger Richter wiesen zudem darauf hin, dass Asylbewerbern Nachteile entstehen könnten, wenn eine Zustimmung nicht abgewartet würde. Ihr Recht, sich gegen den Beschluss zu wehren, könne aus mehreren Gründen eingeschränkt sein, argumentieren sie.
So müsse der Betroffene eine Entscheidung anfechten, noch bevor der Aufnahmestaat diese bestätigt habe. Außerdem ist nach Meinung der Richter problematisch, dass sich die Entscheidung so nur auf die Beweise und Indizien des abschiebenden EU-Staates stützen würde. Das Verwaltungsgericht in Lille muss den Entscheid aus Luxemburg nun in seinem Urteil berücksichtigen.
Viele Flüchtlinge reisen weiter
Die Dublin-Verordnung ist einer der Grundpfeiler der Asylregelungen innerhalb der Europäischen Union. Sie sieht vor, dass das Land für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, in dem der Asylsuchende zum ersten Mal europäischen Boden betreten hat. So soll sichergestellt werden, dass ein Antrag innerhalb der EU nur einmal geprüft werden muss. Tatsächlich reisen viele Geflüchtete auch bei einem positiven Asylbescheid in ihrem Ankunftsland weiter in ihr Wunschland, um dort erneut Asyl zu beantragen – etwa weil dort bereits Angehörige leben oder weil die humanitären Standards oder staatlichen Leistungen besser sind als im Erstankunftsland.
Im vergangenen Jahr gab es in Deutschland 8210 solcher Fälle, mehr als doppelt so viele wie 2016. Die erneuten Anträge werden dann zwar für unzulässig erklärt und abgelehnt, rückgeführt in das EU-Ankunftsland werden aber trotz Dublin-Verordnung nur wenige Geflüchtete; auch, weil Staaten wie Italien oder Griechenland, aber auch das an den Balkan grenzende Ungarn sich ohnehin überlastet fühlen.
Wie unterdessen eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Fraktion ergab, nehmen die EU-Länder nur wenige der Migranten aus Deutschland zurück, für die sie laut Dublin-Regelung eigentlich zuständig wären. So stellte der Bund zwischen Anfang 2016 und Ende März 2017 Übernahmeersuche für 72 321 Migranten in andere EU-Länder; zurückgeführt wurden mit etwas mehr als 5300 Personen nur 7,3 Prozent. Umgekehrt stellten andere EU-Staaten für rund 39 250 Migranten Übernahmeersuchen an deutsche Behörden, von denen die Bundesrepublik mit 14 566 rund 37 Prozent aufnahm, wie aus der Antwort hervorgeht.