Nein, es ist noch nicht so weit wie auf Mallorca, in Barcelona, Dubrovnik oder Venedig, wo die Einheimischen gegen saufende Ballermänner, rücksichtslose Tagestouristen oder unverschämte Kreuzfahrt-Urlauber protestieren. Aber auch im beschaulichen Süden Bayerns zeigt sich neuerdings der Widerstand gegen den sogenannten Overtourism – zu viele Menschen für zu wenig Platz. Beispiel Sylt: Im vergangenen Jahr haben mehr als 600.000 Menschen die 18.000-Seelen-Insel besucht.
Ja, in diesem Jahr hat es sogar erstmals einige Demonstrationen gegen den Touristen-Ansturm gegeben, so etwa Mitte Oktober am Walchensee im Oberland. Und das ist durchaus bemerkenswert. Gilt doch der Bayer nicht unbedingt als demonstrationswütiger Mensch – eher im Gegenteil. Doch ob am Tegernsee, in Oberammergau, Berchtesgaden oder Garmisch-Partenkirchen, den Einheimischen wird es langsam zu viel. Sie beschweren sich über zugeparkte Hauseinfahrten, Müllberge und die drastische Zunahme von Elektro-Mountainbikern.
Nehmen wir den Tegernsee. Dort, wo Bayern-Legende Uli Hoeneß seit vielen Jahren morgens den Blick auf die Wellen genießt, und Nationalkeeper Manuel Neuer sich gerade ein schmuckes „Häuschen“ am Hang hat bauen lassen. Doch längst ist es dort mit der sprichwörtlichen bayerischen Gemütlichkeit vorbei. „Ja, für die Leut hier ist es bitter“, sagt eine tschechische Saisonkraft, die in einem Lokal an der See-Promenade in Rottach-Egern arbeitet. In dem kleinen Ort geht es auf den ersten Blick mondän zu: teure Läden, Sterne-Restaurants, exklusive Bars. Erst auf den zweiten Blick überrascht die hohe Zahl an leer stehenden Geschäften.
Rottach-Egern hat zahlreiche Läden, in denen die Schuhe 300 Euro aufwärts kosten. Doch nah bei sind München und Rosenheim, dort hat man bei erheblich größerer Auswahl viel bessere Chancen auf ein (relatives) Schnäppchen. „Der Mittelstand hier ist tot“, sagt eine ehemalige Fachverkäuferin. Die Filialen von Luxus-Ketten bestimmen immer mehr das Ortsbild.
„Zu viel ist zu viel“
Klar, die Orte leben vom Tourismus. Ob Sylt, Rottach-Egern oder etwa Kufstein in Österreich. Doch bei den Einheimischen stellt sich immer stärker das Gefühl ein: „Zu viel ist zu viel.“ Die Heerscharen von Rollkoffern aus China, Japan, Spanien, Skandinavien oder Russland zerstören über Jahrzehnte gewachsene Strukturen. Die See-Promenaden in Rottach-Egern oder Tegernsee werden zu Schickimicki-Zonen, die für Normalverdiener kaum noch bezahlbar sind.
Was tun gegen die touristischen Ausuferungen? Einige Orte haben die EU um Schutz angerufen. Doch die ist gar nicht zuständig. Tourismus ist immer noch Sache der Nationalstaaten. Die Bundesregierung hat im April ein zwölfseitiges Eckpunktepapier für eine Tourismus-Strategie beschlossen. Von Overtourism ist darin allerdings mit keinem Wort die Rede.