Seit 1995 erfasst die Polizei den Baumunfall gesondert – die Anzahl der auf diese Art ums Leben gekommenen Autofahrer ist seither deutlich gesunken. Nichtsdestotrotz, noch immer ist es ein ebensolcher Aufprall, der jedem vierten der auf deutschen Landstraßen Sterbenden den Todesstoß verpasst. Damit belegen Bäume weiter Platz eins der gefährlichsten Verkehrsleidnisse.
Auf Überlandgeschwindigkeit getrimmt, ein bisschen mehr oder weniger als 100 Kilometer pro Stunde schnell: Prallt das Auto unter diesen Bedingungen vor einen Baum, überlebt keiner der Fahrzeuginsassen – und wenn doch, meist schwer verletzt. Kaum ein anderes Hindernis versammelt die Bewegungsenergie bei einer Kollision auf einer solch geringen Fläche, heißt derart konzentriert. Selbst kleinere, mutmaßlich schwache Bäume hielten häufig Stand, betonen die Unfallforscher des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Sie schnitten sich förmlich in das Fahrzeug ein – und zerfetzten es.
Rückgang von 78 Prozent
2719 Menschen kostete die Teilnahme am Straßenverkehr im vergangenen Jahr das Leben, 466 davon starben den Tod am Baum. Während heutzutage lediglich jeder vierte tödliche Unfall über Land auf die Straßenbepflanzung zurückgehe, rechnet der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) vor, habe das vor sieben Jahren noch für jeden zweiten gegolten. Die Anzahl der Opfer sinkt damit zweifelsohne (seit dem Beginn der Zählung 1995 um 78 Prozent) – dennoch, die Sicherheitsforscher mahnen: „Zur Vermeidung von Baumunfällen sollten die Bereiche Verhalten, Fahrzeugtechnik und Infrastruktur gleichermaßen adressiert werden.“
Tempolimit und Schutzplanken
Als entscheidendste Maßnahme gilt eine geringere Höchstgeschwindigkeit. Ein Tempolimit von 80 Kilometern pro Stunde in Alleen, erläutert Jörg Ortlepp, Leiter Verkehrsinfrastruktur und einer der Autoren des DVR-Blogs, dazu gezielte Kontrollen, das helfe schon einmal, das Unfallrisiko zu senken. Darüber hinaus empfiehlt er neben der Weiterentwicklung der im Fahrzeug verbauten Assistenzsysteme, am Straßenrand Schutzplanken aufzubauen, zumindest an Unfallschwerpunkten. Nach Einschätzung der Versicherer ist dies in 80 bis 90 Prozent aller kritischen Fälle ohne Weiteres möglich.
Unterfahrschutz für Biker
Fraglos, eine entsprechende Fahrbahneinzäunung hält ein Auto zuweilen von den Bäumen fern. Für Motorradfahrer indes stellt jedes Hindernis am Fahrbahnrand eine besondere Gefährdung da, Stichwort fehlende Knautschzone. Allzu oft köpfen die nach unten offenen Leitplanken einen Biker. Nicht zuletzt daher sei das Risiko, auf dem Motorrad ums Leben zu kommen, 18-mal so hoch wie im Pkw, erläutert der Allgemeine Deutsche Automobil-Club, verglichen auf der Grundlage der Kilometerleistung. Die Forderung: Planken mit Unterfahrschutz.
Besondere Schwere
Sichere Fahrgastzelle hin oder her, die Crashtests der Sachverständigenorganisation Dekra zeigen, dass die Grenzen der passiven Sicherheit gegenwärtiger Autos bei einem Baumunfall noch immer weit überschritten sind. Weder die ausgefeilten Materialien der Karosserien noch ihre gezielt gesetzten Sollbruchstellen und Schutzkammern für die Insassen, weder Airbags noch Rückhaltegurte seien in der Lage, die besondere Schwere dieser Unfälle verlässlich zu mildern. Bereits der seitliche Aufprall eines Pkw bei Tempo 55, so die Prüfer, führe zu schwersten bis tödlichen Verletzungen der Insassen.
Aktive Sicherheit
Die aktiven Sicherheitssysteme hingegen – automatischer Geschwindigkeitsregler, Abstand- und Spurhalter, Müdigkeitswarner oder autonomer Notbremsassistent – haben sich zuletzt rasant fortentwickelt. Weitere Verbesserungen seien allerdings notwendig, betonen die Sachverständigen, um dem Problem Baumunfall überhaupt irgendetwas entgegenzustellen.
Vermeidbare Fehler
Das Potenzial dafür besteht. 73 Prozent der Baumkollisionen (Zahlen des GDV) sind eine Folge sogenannter Fahrunfälle – und damit vermeidbarer Kontrollverluste: aufgrund überhöhter Geschwindigkeit zum Beispiel, wegen schlechter Sicht, Schläfrigkeit und anderer Unaufmerksamkeiten, aufgrund von üblichen Fahrfehlern, etwa auf Schnee, Eis, frisch geteerter oder vollkommen runtergerockter Fahrbahn.

Selbst kleinere Bäume schneiden sich förmlich in das Fahrzeug ein – und zerfetzen es.
Null Unfälle, diese viel zitierte Vision Zero der versammelten Automobilbranche setzt vor allem auf technische Neuerungen und Sensibilisierung. Letztlich gelingt sie allerdings nur unter Einhaltung des Prinzips einer fehlerverzeihenden Straße. Schlaglöcher, Bodenwellen, fehlende Fahrbahnmarkierungen – das sind für jedermann erkennbare Faktoren. Die historisch gewachsenen Landstraßen jedoch, das stellte das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur bereits im Verkehrssicherheitsprogramm 2011 bis 2020 fest, erfüllen bei Weitem nicht die Anforderungen einer zeitgemäßen Trassierung.
Landschaftsprägender Luftfilter
In der Debatte um so direkte wie praktische, aber auch sichere Verkehrswege kommen immer wieder Stimmen auf, die Straßenbäume komplett zu entfernen. Vielerorts gelten sie derweil als landschaftsprägend, zudem seit jeher als natürlicher Luftfilter. Für das Klima wäre der Verlust ein weiterer Sargnagel – es sei denn, man fährt irgendwann rein elektrisch oder gar nicht mehr Auto.