Die Zahlen sind alarmierend. "Immer mehr Schüler haben psychische Problematiken bis hin zu psychischen Störungen, schon wenn sie in die Schule kommen", sagt Stefanie Höfer, Leiterin des Regionalen Beratungs- und Unterstützungszentrum West (Rebuz). Bei bundesweit 20 Prozent liegt der Anteil psychisch auffälliger Kinder beim Eintritt in die Grundschule. Zehn Prozent dieser Kinder müssten eigentlich sofort therapiert werden, so Höfer. Dazu passt ein Erfahrungswert, der kaum weniger dramatisch klingt. "Immer mehr Kinder haben keine Schulreife, obwohl sie im entsprechenden Alter sind."
Eine schnelle Besserung ist laut Höfer nicht in Sicht. Besondere Herausforderungen sieht sie in belasteten Stadtteilen, weniger im bürgerlichen Umfeld. "Es gibt gesellschaftliche Veränderungen, die den Kindern nicht unbedingt gut tun", sagt Höfer. Fehle ein stabiles Elternhaus, starteten die Kinder mit einer schweren Bürde in die Schule. Probleme macht Höfer auch in den Kitas aus. "Die Kinder sind vielfach gar nicht vorbereitet auf den Übergang in die Schule." Die Pandemie habe noch ihren Teil dazu beigetragen, die Lage zu verschärfen. "Ein Jahr lang konnten die Kinder nicht in Kontakt mit anderen Kindern treten."

Mit der Einschulung beginnt ein neuer Lebensabschnitt – für Kinder und Eltern gleichermaßen. Viele Fragen und so manche Unsicherheit sind damit verbunden. In unserer Serie „Wegweiser Schule“ sprechen wir mit Pädagogen, Eltern und Experten über alltägliche Probleme und Lösungen. Dazu gibt es Wissenswertes rund um das Thema Schule und allerhand praktische Tipps.
Die Folge: Es gibt schon in den Grundschulen dringenden Handlungsbedarf. In Zukunft müsse ein Team im Klassenraum stehen, fordert Höfer: neben der Lehrkraft auch eine sozialpädagogische Fachkraft. Ratsam wäre in ihren Augen weitere externe Unterstützung. "In den Schulen brauchen wir noch viel mehr Multiprofessionalität", sagt Höfer, zugleich Vorsitzende des Landesverbands Sonderpädagogik. Erforderlich sei eine gemeinsame Kraftanstrengung von Schulen, Kindern und Jugendlichen sowie Sozial- und Gesundheitsexperten. "Von Unterrichtung reden wir da nicht mehr."
Den Ort für solche Maßnahmen sieht die Pädagogin mit Hinweis auf die Schulpflicht ganz klar in der Schule. "Denn dort ist das Kind, dort kann man feststellen, was es braucht." Erste Schritte hin zu einer Doppelbetreuung aus Lehrkräften und Sozialpädagogen seien getan, das sei ein "richtiger Ansatz". Notfalls müssten auch Therapeuten in die Schule geholt werden. Allerdings fürchtet Höfer, der richtige Ansatz könnte im Zuge von coronabedingten Sparmaßnahmen auf der Strecke bleiben. In ihren Augen wäre das ein fataler Fehler. Denn: "Kein Abschluss heißt keine Chance auf ein unbeschwertes Leben und gesellschaftliche Teilhabe."
Darum warnt Höfer: "Wir müssen aufpassen, dass diese Zahl von 20 Prozent psychisch gestörter Minderjähriger nicht wächst." Als Vorbild für einen vorbeugenden ganzheitlichen Ansatz empfiehlt sie einen Blick auf Schweden, Finnland und Kanada. "Aber das kostet natürlich Geld." Daran führe aber kein Weg vorbei. "Wir müssen frühzeitig in unsere Kinder investieren. Schon in der Grundschule."