Mit steigenden Temperaturen fühlen sich plötzlich Arten in Gegenden zu Hause, die ihnen vor Zeiten des Klimawandels zu kalt gewesen wären. Am Beispiel des Mauerfuchses haben der Evolutionsbiologe Matthew Nielsen von der Universität Bremen und schwedische Kollegen jetzt jedoch nachgewiesen, dass der Ausbreitung des Tagfalters noch immer vor allem kalte Winter natürliche Grenzen setzen, auch wenn er sich evolutionär rasch anpassen kann.
Der Bremer Professor mit dem Fachgebiet "Insektenökologie in sich verändernden Umgebungen" erklärt, warum das Ergebnis der Feldstudie von Bedeutung ist: "Diese Erkenntnis entscheidend, um zukünftige Veränderungen in der Biodiversität sowie die Ausbreitung von Arten, die die Landwirtschaft und die menschliche Gesundheit beeinflussen könnten, besser abschätzen zu können." Wie dem Mauerfuchs ergeht es auch anderen Arten im Zuge des Klimawandels.
Biodiversität schwindet
Naturschutzverbände haben schon lange Alarm geschlagen, weil in den vergangenen zehn Jahren die Zahl der Schmetterlinge in Europa um mehr als ein Drittel abgenommen hat. Und damit geht die für das Leben auf der Erde wichtige Biodiversität, also die biologische Vielfalt, zurück. Wenn Pflanzen von den Faltern nicht mehr bestäubt werden, hat das Auswirkungen auf die Produktion von Nahrungsmitteln und auf Ökosysteme.
Matthew Nielsen und Mats Ittonen, Isabelle Siemers und Karl Gotthard von der University Stockholm sowie Magne Friberg von der Lund University haben für ihren Versuch Schmetterlinge innerhalb und außerhalb ihres aktuellen Verbreitungsgebietes versetzt. Ihr Ziel war es, herauszufinden, "ob die Schmetterlinge sich durch Eigenschaften wie schnelleres Wachstum, angepasste Zeitpunkte für die Winterruhe oder erhöhte Kälteresistenz evolutionär an die neuen Bedingungen angepasst haben – Merkmale, die ihnen das Überleben in bislang unbesiedelten Lebensräumen ermöglichen konnten".
Tatsächlich seien die Schmetterlinge aus dem Norden in ihren Feldkäfigen schneller gewachsen, stellen die Wissenschaftler fest – "vermutlich eine Anpassung an die kürzeren Sommer in höheren Breitengraden". Auch der Zeitpunkt ihrer Überwinterung als Raupe sei angepasst gewesen. "Auffällig war, dass nahezu alle Tiere – unabhängig von ihrer Herkunft – zum richtigen Zeitpunkt in die Winterruhe gingen." Dennoch hätten fast keine Mauerfuchs-Raupen die kalten Winter nördlich ihres derzeitigen Verbreitungsgebietes überlebt.
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Das Forscherteam hat seine Untersuchung in der renommierten wissenschaftlichen Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht. Die Ergebnisse deuten ihrer Einschätzung nach darauf hin, dass evolutionäre Veränderungen zwar in ähnlichem Tempo wie der Klimawandel vor sich gehen könnten, "jedoch nicht zwangsläufig alle für das Überleben entscheidenden Merkmale betreffen". Ob sich der Mauerfuchs weiter ausbreite, hänge vor allem davon ab, ob die Winter mild genug sind.
"Viele Schmetterlingsarten bewegen sich nördlich, wie der Mauerfuchs", sagt Matthew Nielsen. Dies schließe auch einige Arten ein, die in Bremen leben: Der Karstweißling sei erst kürzlich von Südeuropa aus eingewandert und damit eine neue Art in Bremen. Erst im vergangenen Jahr hatte der Naturwissenschaftliche Verein zu Bremen mit dem Ulmen-Zipfelfalter die 36. im kleinsten Bundesland vertretene Tagfalterart gezählt.
Und auch diese Neulinge stehen unter Beobachtung. Für den Falterforscher Matthew Nielsen "ist es wichtig, zu verstehen, ob sich Schmetterlinge wie der Mauerfuchs nach dem Umzug in den Norden anpassen". Damit die Art überleben kann.