Wer kennt sie nicht, die Sehenswürdigkeiten von Paris: Arc de Triomphe, Sacré-Cœur, Notre-Dame, Louvre oder Eiffelturm? Die französische Metropole hat aber auch verborgene Schätze im Untergrund zu bieten. In 35 Meter Tiefe gibt es ein Geflecht aus Höhlen und Gängen, das sich über etwa 300 Kilometer erstreckt. Wer eine Führung mitmacht, weiß danach, warum man die Katakomben auch als „schrecklichen Keller“ bezeichnet.
Drei Stunden kann es dauern, bis man in eine der Attraktionen von Paris, nahe dem Friedhof von Montparnasse, vorgelassen wird. Während man draußen noch telefoniert, und der in Schwarz gehaltene Kassenbereich noch in weiter Ferne ist, kann man sich zumindest äußerlich auf die neue Umgebung einstellen. Jacken statt T-Shirts etwa, denn in den Katakomben von Paris ist es 14 Grad kühl, Handyempfang gibt es nicht.
Ist die Geduldsprobe überstanden, geht es steil nach unten. 132 Stufen einer Wendeltreppe in die Tiefe lassen ein erstes Schaudern aufkommen, ehe ein größerer Bereich eine Einführung in die nun folgenden Gänge des für Besucher geöffneten Labyrinths bietet. Wenn man bedenkt, dass eine Strecke von rund 300 Kilometern unterhalb von Paris existiert, dann ist man schon mal froh, dass man nur etwa 1,7 Kilometer vor sich hat. Nach ein paar Abzweigungen hat man schon die Orientierung verloren. Doch die ersten Meter dieses Irrgangs bieten bereits eine beeindruckende Erfahrung.
Zuweilen ist es rutschig, ab und zu tropft es von der Decke. Kleine Lampen an den Seiten sorgen für spärliche Beleuchtung, und noch befindet man sich im angenehmen Teil dieser unterirdischen Welt. Ein für drei Euro erhältlicher Audioguide weist daraufhin, dass man nun 20 Meter unter der Erdoberfläche und von Kalksteinen umgeben ist. Die stammen aus einem Steinbruch, auf dem Paris aufgebaut wurde.
Filigranes Relief
Immer mal wieder entdeckt man Inschriften, die auf die Entstehung hinweisen. Lautet die etwa „5 J 1847“, dann heißt das, dass dieser Pfeiler der fünfte in einer Serie war, die 1847 unter dem Kommando eines Steinbruchinspektors von 1842 bis 1851 errichtet worden ist. „J“ ist sein Initial. Dass man mit diesen Steinen auch kunstvolle Dinge anstellen konnte, beweist nicht nur die Stapelung, sondern auch eine filigrane Arbeit des Franzosen Decours. Er arbeitete dort im 18. Jahrhundert, blieb auch nach Feierabend und schnitzte in die Steine ein Motiv, das er jahrelang hatte sehen müssen. Denn Decours war auf Menorca im Gefängnis, und aus seiner Zelle hatte er nur einen Blick auf die Gebäude gegenüber. Fünf Jahre lang arbeitete er dieses Bild nach, 1781 war er fertig. Dann erschuf er noch eine Treppe, damit man sich das Ganze auch ansehen kann. Unter ihr wurde er begraben, als die Decke einbrach. Aus Respekt ließ der Inspektor eine Inschrift für ihn erschaffen.
Der Kalkstein ist das Material auf dem alles basiert, wie der Archäologe Jean-Pierre Jeuly erklärt: „Vor 45 Millionen Jahren lag das Gebiet auf dem sich jetzt Paris befindet, unter dem Meer. Das war nur 30 Meter tief, sehr warm, fast tropisch. Kalkstein bildete den Meeresboden.“ Die Gegend trocknete aus. Der Kalkstein wurde das Fundament. Ab dem 3. Jahrhundert entwickelte sich das frühere Lutetia und heutige Paris prächtig, und ab dem 13. Jahrhundert gab es Probleme, wo man die Toten der Stadt lagern sollte. Zunächst wurden sie auf Friedhöfen begraben, dann baute man zusätzliche Häuser für sie, aber Krankheiten brachen aus. Als am 17. Dezember 1774 ganze Straßenzüge zusammenfielen, und im Mai 1780 sogar ein Massengrab abstürzte, musste etwas geschehen. Ludwig der XVI. ließ Häuser und Friedhöfe schließen und die Toten nachts in die unterirdische Welt bringen.
Im Reich der Gebeine
Man orientierte sich an den aus Rom und Neapel bekannten Katakomben, übernahm sogar den Namen und schuf ein Reich der Gebeine. „Das Imperium der Toten“ steht über einer Tür. Man wird mehrfach darauf hingewiesen, die Knochen nicht zu berühren und keine Fotos mit Blitzlicht zu machen. Respektvoll überquert man die Schwelle und ist von Skeletten umringt, die teilweise zwei Meter hoch gestapelt den Weg säumen. Vorbei ist es mit den schmalen, langen Gängen. Knochen und Schädel wechseln sich ab. Nur sporadisch gibt es etwas Auflockerung wie einen kleinen Brunnen der Samariter und eine Gruft. Der Text lässt aber innehalten: „Denke am Morgen daran, dass du vielleicht nicht den Abend erlebst, und am Abend, dass du vielleicht nicht den nächsten Morgen erlebst.“
Die perfekte Kulisse für einen Film. Das fanden auch die Amerikaner John Erick und Drew Dowdle, deren am 11. September in die deutschen Kinos kommende Thriller „Katakomben“ dort spielt. „Es gibt keine Toiletten, kein Telefonempfang, Walkie Talkies funktionieren nicht“, stöhnt John. „Mehr als die Hälfte der dreimonatigen Dreharbeiten haben wir unter der Erde verbracht“, ergänzt Schauspieler Ben Feldman. Die Bereiche mit den Skeletten wurden allerdings im Studio nachgebaut. Er war froh, aus der „düsteren und kalten Umgebung“ wieder nach oben zu kommen.
Dem Besucher geht es nach rund zwei Stunden ähnlich, auch wenn wieder Stufen zu überwinden sind. Es sind aber nur 83. Die Ruhe vor dem Handyklingeln war angenehm, aber etwas Leben um einen herum ist dann doch nicht zu verachten. Auch wenn es nur eine SMS ist.