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Knapp 2000 Schiffswracks werden in der Nordsee vermutet / Bremerhavener Archäologe baut Datenbank auf Unbekanntes Unterwasserland

Für Archäologen ist die Nordsee eine riesige Schatztruhe. Knapp 2000 Schiffswracks sollen dort schlummern. Außerdem enthält der Boden Siedlungsspuren aus der Zeit, als die Küste noch viel weiter nördlich war. Um diese Kulturgüter erforschen zu können, baut Mike Belasus vom Deutschen Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven eine Datenbank auf.
19.01.2014, 00:00 Uhr
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Von Matthias Sander

Für Archäologen ist die Nordsee eine riesige Schatztruhe. Knapp 2000 Schiffswracks sollen dort schlummern. Außerdem enthält der Boden Siedlungsspuren aus der Zeit, als die Küste noch viel weiter nördlich war. Um diese Kulturgüter erforschen zu können, baut Mike Belasus vom Deutschen Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven eine Datenbank auf.

Bremerhaven.

Auf Landkarten ist die Nordsee nur eine große blaue Fläche mit ein paar grünen Sprengseln, den Inseln. Wenn man aber abbildet, wie die Nordsee genutzt wird, entsteht geradezu abstrakte Kunst: dunkelblaue Geraden kreuzen sich, violett geriffelte Linien verlängern die Elbe, rote und grüne Vierecke sind scheinbar wahllos verteilt. All das steht für Wasserwege und Windparks, Telefontrassen und Pipelines, Forschungs- und Militärgebiete.

Es ist mächtig was los auf dem Gebiet der Nordsee, und das nicht erst seit gestern. Unter Wasser liegen Spuren jener Menschen, die das sogenannte Doggerland besiedelten. Bis vor rund 10000 Jahren war Großbritannien keine Insel, sondern mit den heutigen Niederlanden und Dänemark verbunden. Auf dem Grund sind auch einstige Flussbetten erkennbar. Und auch die Weltkriege haben Spuren hinterlassen: Wracks von Schiffen, U-Booten und Zeppelinen – rund 2000 sollen es sein.

Für einen Archäologen wie Mike Belasus ist die Nordsee eine riesige Schatztruhe. „Es gibt unzählige Kulturdenkmäler. Die wurden bisher aber nie systematisch erfasst“, sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter des Deutschen Schiffahrtsmuseums in Bremerhaven. Denkmalschutz ist Ländersache, und die Landesbehörden hätten kaum Mittel für Unterwasser-Archäologie, erklärt Belasus. Nur Schleswig-Holstein habe bereits Denkmäler erfasst in den nationalen Gewässern bis zwölf Meilen vor der Küste. Dahinter, bis 200 Meilen, liegt Deutschlands „Ausschließliche Wirtschaftszone“, und die ist archäologisch gesehen weitgehend unbekanntes Land.

Mike Belasus ändert das gerade. Mit dem IT-Mitarbeiter Björn Münschke baut er eine Datenbank für all die Schätze auf. Die Daten stammen vor allem vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie (BSH), das die Wasserstraßen in der Nordsee von Hindernissen befreit. Außerdem pflegen Belasus und Münschke Daten von allen Forschungseinrichtungen ein, die sich mit der Nordsee befassen, vom Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut bis zur Bremer Jacobs-Uni. So soll das dreijährige Pilotprojekt namens „Bedrohtes Bodenarchiv Nordsee“ als Grundlage für weitere Forschung dienen.

Ein Eintrag in der Datenbank ist das britische U-Boot „Undine“. Es sank im Januar 1940 westlich von Helgoland. Dem Eintrag zufolge hatten deutsche Minensuchschiffe die „Undine“ mit beschossen. Das U-Boot wurde schwer beschädigt und musste auftauchen. Die 29-köpfige Besatzung flutete das Boot, bevor sie in deutsche Kriegsgefangenschaft geriet. Mike Belasus sagt: „Wenn jemand zu den Schiffswracks aus dem Zweiten Weltkrieg arbeiten wollte, könnte er in der Datenbank alles konzentriert finden.“

Die Einträge enthalten neben der Geschichte des Wracks dessen genaue Position sowie Untersuchungsberichte. Die „Undine“ etwa fand das Bundesamt für Seeschifffahrt im Jahr 1972, als sie nach „Unterwasserhindernissen“ tauchen ließ. Seitdem überprüft das Amt alle paar Jahre den Zustand des Wracks, mit Tauchern und Echolot-Aufnahmen. Von manchen Tauchgängen gibt es grobkörnige, knapp einstündige Videos.

Mike Belasus würde gerne auch selbst in der Nordsee nach Wracks tauchen. Die Ausrüstung steht in seinem Büro, doch bisher scheiterte sein Tauchgang am Wetter oder fehlenden Partnern – es müssen immer drei Forschungstaucher zusammen losziehen. Besonders interessieren Belasus die Wracks vom Seegefecht bei Helgoland 1914. Damals versenkten die Briten drei deutsche Kreuzer und ein Torpedoboot. „Die Wracks wurden noch nicht alle gefunden“, sagt Belasus. Eine seiner Aufnahmen könnte das Torpedoboot zeigen. „Darauf deutet die vierreihige Vernietung der Metallplatten hin.“ Belasus sagt, als Archäologe würde er vor allem das Leben an Bord erforschen: Wie groß war die Besatzung, wo waren Kajüten und die Küche?

Einmal ist Belasus mit raus aufs Meer gefahren, seit sein Forschungsprojekt vor knapp drei Jahren startete. Vergangenen August untersuchte er mit Geophysikern der Uni Bremen den alten Flusslauf der Ems. Als die Nordsee das steinzeitliche Doggerland überspülte, sammelte sich im einstigen Flussbett Sediment – Gesteinsteilchen, Torf, Pflanzenreste. Darauf wurde man zufällig bei Bodenuntersuchungen für einen Windparkbetreiber aufmerksam. Also untersuchten Belasus und die Geophysiker das Sediment näher mit einem Echolot. Sediment hat eine geringere Dichte als der umliegende Boden. „Deshalb kommt von dort weniger Schall zurück“, erklärt Belasus. So konnten die Forscher teils den Verlauf der Ur-Ems rekonstruieren: Sie mündete nicht wie heute bei Emden in die Nordsee, sondern nördlich von Juist ins Elbe-Urstromtal.

Die Förderung des Forschungsprojekts durch den Bund endet vorerst im Sommer. Belasus und die Direktorin des Deutschen Schiffahrtsmuseums, Ursula Warnke, hoffen, dass das Projekt verlängert wird. Und dass das Museum die zentrale Anlaufstelle für die deutschen Unterwasser-Kulturgüter wird. „Wir können die Einträge der Datenbank mit unserem Archiv vergleichen – und mit unserer Bibliothek, die die umfangreichste zur deutschen Schifffahrtsgeschichte ist“, sagt Warnke.

Auch eine weltweite Ausweitung der Datenbank sei theoretisch denkbar. Vor Chile etwa liegt der Kreuzer „Dresden“ aus dem Ersten Weltkrieg; in der Südsee liegt die „Emden“. Mike Belasus sagt: „So eine Datenbank ist nie fertig. Es tauchen immer wieder neue Sachen auf.“

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