Diepholz. Sie fällten mächtige Erlen und Eichen, kappten die Stämme in gleicher Länge und schleppten sie ins Moor. Während im fernen Rom die Republik im Bürgerkrieg versank, verlegten Germanen im norddeutschen Flachland auf einer Strecke von 4,2 Kilometern einen breiten, trockenen Weg über das Aschener und Lohner Hochmoor beim heutigen Diepholz. Zwar ist diese technische Meisterleistung der vorrömischen Eisenzeit unter dem Fachnamen "Pr 6" seit 1817 bekannt. Doch mit modernsten Verfahren der Geophysik und anderer Naturwissenschaften lüften Denkmalpfleger erst heute Geheimnisse.
In den kommenden Jahren sollen nun im Zuge des fortschreitenden Torfabbaus weitere 300 Meter des Bohlenweges systematisch ausgegraben und erforscht werden. Bis 2015 nehmen sechs Experten vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege (NLD) und der Spezialfirma denkmal3D die ersten 25 Meter unter den Spaten. Erst etwa 1000 Meter des Gesamtweges wurden bislang eingehend erforscht, ein weiterer Kilometer ist bereits dem Torfbagger zum Opfer gefallen.
Die lange Grabungsphase sei vor allem durch die besonderen Bedingungen im Hochmoor begründet, erklärt Grabungsleiter Alf Metzler vom NLD. Nur von etwa Mitte April bis Mitte September kann dort sauber gearbeitet werden, falls nicht zu viel Regen fällt. Dabei wird der Moorboden zunächst mit dem Bagger abgetragen. Die letzten 20 Zentimeter heben Arbeiter mit Spaten und kleinen Schaufeln aus. Neben technischen Zeichnungen des 2,7 Meter breiten Weges werden die Funde auch mit Lasertechnik gescannt, mit Messpunkten versehen und von einer unbemannten Drohne aus der Luft fotografiert. Danach folgt die genaue fotografische Aufnahme für den Holzkatalog.
Moderne Zeitbestimmung
"Aus Beilspuren können wir etwa die Breite der verwandten Beile ablesen oder ermitteln, wie der Baum gefällt wurde", erklärt Metzler. Ein Teil der Stämme soll später im Industriemuseum in Lohne für Ausstellungszwecke konserviert werden. Paläoökologe Andreas Bauerochse interessiert sich dagegen für Pflanzenreste und andere Befunde am Rande des Weges, aus denen sich das Mikroklima in der Region um den Dümmer und der Zustand des Moores um die Zeitenwende ablesen lässt.
Auf der Grabung werden zudem erstmals neue Datierungsverfahren getestet, die auch für andere Ausgrabungen hilfreich sein könnten. Bislang lässt sich das Alter des Bohlenwegs anhand der Jahresringe an den Stämmen grob auf die Zeit zwischen 65 und 35 v. Chr. eingrenzen. Allerdings können dafür bislang nur Eichenbohlen verwendet werden. Mit einem Speziallabor in Göttingen soll die Methode jetzt auf Erlen erweitert werden, die zu 90 Prozent im Aschener Moor zum Einsatz kamen. Vielleicht ist damit eine exaktere Zeitbestimmung möglich.
Schließlich hoffen die Archäologen auch auf weitere organische Beifunde. Kleidungsstücke aus Leder, eine Wagenachse und ein Rad sowie zwei sogenannte hölzerne Messstäbe mit regelmäßigen Einkerbungen kamen bei früheren Grabungen am "Pr 6" bereits zutage.
Kurz vor Christi Geburt waren die Ur-Niedersachen regelmäßig auf Holzwegen unterwegs. 350 sind aus den Jahrhunderten um die Zeitenwende in Niedersachsen bekannt. Mit dem "Pr 6" verkürzten sich die Bewohner den beschwerlichen Weg um das 40 Kilometer lange Aschener Hochmoor erheblich. "Aber es gab auch gute Gründe, ins Moor selbst zu gehen", erinnert Metzler. Enten oder Wildgänse ließen sich dort jagen, Bienenkörbe für Heidehonig aufstellen oder Früchte wie Heidelbeeren oder die für ihre halluzinogene Wirkung bekannten Rauschbeeren sammeln. An Birken, die bevorzugt am Moorrand wuchsen, zapften die Menschen Birkenpech als probaten Allzweckklebstoff ab.
Andererseits deuteten die vielen körperlich versehrten Moorleichenfunde auch darauf hin, dass behinderte Menschen, Verräter oder Ehebrecher im Moor "entsorgt" wurden, sagt Metzler. Und eine kultische Bedeutung des oft nebligen Moores als Begegnungsstätte zwischen Mensch und Göttern sei wahrscheinlich. Sie würde - neben der wirtschaftlichen Komponente - die konzertierte Aktion erklären, mit der die Germanen den Bohlenweg anlegten. Erst als die Germanenstämme von den römischen Nachbarn das Pferd zunehmend als Reit- und Zugtier übernahmen, waren auch längere Umwege kein Problem mehr.