Bremen-Nord. Mit Wehmut denken viele Nordbremer an die vor Jahren verschollene Bronze-Skulptur „Seehund mit Heuler“ von Carina Malischewski-Brandmüller aus dem Jahr 1968. Klaus-Martin Hesse vom Heimat- und Verschönerungsverein Bremen-Lesum thematisierte „das mysteriöse Verschwinden der Seehunde vor der Sparkasse“ unlängst im Vereinsblatt Lesumer Bote. „Wissen Sie möglicherweise mehr zum Verbleib der Skulptur? Wo hat sie sich nach ihrem Verschwinden im Jahr 2016 befunden, und vor allem – wo ist sie heute?“, fragt der Autor seine Leser.
Hartnäckig halte sich das Gerücht, dass die Seehunde in einem privaten Garten aufgestellt wurden. „Belege gibt es aber bislang nicht“, schreibt Hesse und erklärt, dass man im Dezember 2018 den 50. Geburtstag der Seehunde hätte feiern können, wäre die Skulptur nicht spurlos verschwunden. Viele Nordbremer hätten als Kinder darauf gesessen und dabei die Tiernasen blank poliert. Die Seehunde seien für Lesum gewissermaßen so bedeutsam wie die Schweine für die Sögestraße. Umso wichtiger sei es, das Kunstwerk aufzuspüren.
Vor zwei Jahren betonte Rose Pfister, Referatsleiterin für Kunst im öffentlichen Raum, dass das Exponat ohne Wissen der Behörde nach dem Verkauf des Gebäudes von seinem Standort vor der Sparkasse an der Hindenburgstraße verschwunden ist. Die Skulptur sei nicht Teil der Verkaufsmasse gewesen. Das habe die Sparkasse versichert. Olaf Mosel, damals Geschäftsführer der Firma Nordbau, die das Gebäude 2015 erworben hat, widersprach: Die Skulptur habe durchaus zur Verkaufsmasse gehört, über ihren Verbleib könne er aber nichts sagen. Auch die zuständige Behörde tappt nach wie vor im Dunkeln. Auf Nachfrage erklärt Ressortsprecherin Alexandra Albrecht: „Zum ,Seehund mit Heuler‘ kann die Kulturbehörde keine Aussage machen, da das Besitzverhältnis bis heute nicht geklärt ist und Aussage gegen Aussage steht.“
Die Seehund-Bronze ist nicht das einzige Kunstwerk, das aus dem öffentlichen Raum verschwunden ist. Unter dem Titel „Verschollen, abgebaut, zerstört“ hat „DIE NORDDEUTSCHE“ im April 2018 den Verlust von Kunstwerken im öffentlichen Raum thematisiert. Allein in Bremen-Nord waren damals bei Stichproben sechs Exponate nicht mehr auffindbar.
Liste nicht aktualisiert
Trotz der Ankündigung seitens der Kulturbehörde, die Bestandsaufnahme zeitnah zu aktualisieren, sind einige der verschwundenen Kunstwerke bis heute mit ihren ursprünglichen Standorten verzeichnet. Demnach gibt es nach wie vor 74 Nordbremer Skulpturen, Brunnen, Reliefs, Installationen und andere Kunstobjekte. Dabei sind zwei definitiv verschollen, zwei sind zerstört worden und zwei abgebaut. „Wir haben in dem Referat einen personellen Engpass, sodass manche Vorhaben länger dauern als geplant“, teilt das Kulturressort auf Anfrage mit.
Weiter verschollen ist das Kunstwerk „Nubarron – Die Wolke“, das Renate Nöchel-Baum 1981 geschaffen hat. Das Objekt aus elf Stangen, Metallplatten in Wolkenform und Betonsockeln stand fast zwei Jahrzehnte neben dem Fritz-Piaskowski-Bad, verschwand 1999 im Zuge des Parkplatz-Umbaus. Monatelang blieb der Verlust unbemerkt. Im Sommer 2001 erklärte die Sprecherin der Bäder: „Keiner weiß, wo die Installation geblieben ist.“
Das gilt auch für die Skulptur „Mutter und Kind“ aus dem Jahr 1988. Die gebürtige Türkin Azade Köker hatte die Plastik anlässlich der Eröffnung der neuen Frauenklinik des Klinikums Nord gestaltet. Bei Recherchen stellte sich jedoch heraus, dass die etwa 1,5 mal 1,2 Meter große Plastik aus gebranntem Ton nicht mehr in der Eingangshalle steht. Niemand wusste, wohin die Auftragsarbeit verschwunden war – nicht einmal die Mitarbeiter der Kulturbehörde oder die in der Türkei lebende Künstlerin.
Ein früherer Mitarbeiter des Klinikverbundes deutete damals an, das Kunstwerk sei im Zuge von Umbaumaßnahmen im Jahr 1998 verschwunden. Ein Kollege habe die Skulptur „damals in die Garage verfrachtet“. Das Kulturressort kündigte daraufhin an, die Umstände des Verschwindens zu untersuchen, zumal das Kunstwerk der Stadt gehöre. Heute teilt die Sprecherin mit: „Die Skulptur ,Mutter und Kind‘ ist nicht auffindbar. Die Künstlerin lebt nicht in Deutschland, ihre Adresse konnte nicht ausfindig gemacht werden. Eine Wiederherstellung ist nicht geplant.“
In Planung sei dagegen der Ersatz des mutwillig zerstörten Kunstobjekts „Libelle“ von Norbert Radermacher. Der Berliner Künstler hatte im Jahr 1992 eine simple Wasserwaage am Vegesacker Weserufer zwischen der Signalstation und der Gläsernen Werft in den Handlauf des Geländers eingefügt. Dass das Werk zerstört wurde, war der Kulturbehörde zunächst nicht bekannt. Auf Nachfrage erklärt Sprecherin Albrecht heute: „Der Künstler war bereits in Bremen, um die Maße aufzunehmen. Er hat aber momentan keine Zeit, die Libelle anzufertigen und anzubringen, sodass es noch etwas dauern kann.“
Noch erhalten, aber weiterhin demontiert bleibt das kinetische Windspiel „Yarmak“, das Klaus Boehm 1987 geschaffen hat. Ursprünglich stand es direkt am Vegesacker Hafen. Es musste aber der Treppenanlage am Haven Höövt weichen. Dort stehen seit 2001 sieben Bronzefiguren von Thomas Recker. Das 14 Meter hohe Windspiel aus drei gleichschenkligen Rhomben bleibt eingelagert. Dazu die Behörde: „Bisher ausgesuchte Standorte haben sich aus unterschiedlichen verkehrlichen Gründen zerschlagen.“
Die verschollen geglaubte Skulptur „Reiher“ von Alice Peters-Jonescu aus dem Jahr 1964 ist vor zwei Jahren während der Recherchen wieder aufgetaucht. Mindestens 15 Jahre war die Bronze in der Schule Burgdamm hinter Stellwänden verborgen. Die Schüler sollten sich nicht an den spitzen Schnäbeln verletzen. Inzwischen sei die Skulptur wieder in die Datenbank eingepflegt, jedoch mit dem Vermerk, dass ein neuer Standort gesucht werde, sagt Ressort-Sprecherin Alexandra Albrecht „Dies ist nicht so einfach, da das Ensemble trotz Bronze sehr filigran und zerbrechlich ist und daher auf öffentlich zugänglichen Plätzen gefährdet.“ Derzeit sehe sich die Kulturbehörde geeignete Innenhöfe an.
Die einzelnen Kunstwerke sind verzeichnet unter: www.kunst-im-oeffentlichen-raum-bremen.de.