Selbst die kleine Verwirrung bei der Weservertiefung konnte die rot-grüne Feierlaune nicht verderben. Das Ausbaggern der Flüsse war in der finalen Version des Koalitionsvertrages vom Bereich Umwelt ins Kapitel Wirtschaft gewandert – also in die Verantwortung der Befürworter von der SPD statt der grünen Skeptiker. Am Ende aber zählte für beide Seiten das Gesamtpaket. Dieses haben die Genossen am Sonnabend mit nur einer einzigen Gegenstimme abgesegnet. Am Sonntag folgten im selben Hotel in Hannovers Süden auch die Grünen. Trotz diverser Kritikpunkte billigten sie mit wenigen Neinstimmen und einigen Enthaltungen die Vertragsgrundlage für die nächsten fünf Jahre rot-grüner Regierungsarbeit in Niedersachsen.
So flammte zwar bei ihnen einige Male das große Streitthema mit den Genossen um neue Straßenbauprojekte auf. Die Verhandlungsgruppen hatten dieses mit einem Verweis auf die Zuständigkeit des Bundes schlicht umschifft. Der Kreisverband Stade forderte jetzt eine eindeutige Absage an die Küstenautobahn A 20. Aber der Landesverband räumte das Problem mit einer Art Protokollnotiz zum Koalitionsvertrag ab. Darin betonen die Grünen ihre ausdrückliche Ablehnung „klimaschädlicher Autobahnen und Fernstraßen“ – allerdings völlig unverbindlich für die SPD-Befürworter. Entsprechend enttäuscht reagierte die Delegierte Annette Niemann aus Uelzen, Sprecherin der Bürgerinitiative „Keine A 39“; sie stimmte gegen den aus ihrer Sicht völlig unzureichenden Koalitionsvertrag.
Der feierlichen Unterzeichnung an diesem Montag und der Wahl des bisherigen SPD-Ministerpräsidenten Stephan Weil zum neuen Regierungschef am Dienstag durch den Landtag steht also nichts mehr im Wege. Auch die neue Ministerriege mit sechs roten (für Innen, Wirtschaft, Soziales, Wissenschaft, Europa und Justiz) und vier grünen Ressortchefs (für Kultus, Finanzen, Umwelt und Landwirtschaft) fand die Billigung beider Parteitage. „Das ist okay“, bewertete SPD-Landeschef Weil dieses Personaltableau im nächsten Kabinett.
"Das war ein Geben und Nehmen"
Offenbar hatte es intern Murren über die Aufteilung, vor allem über den Verlust des Kultusbereichs, gegeben. Denn Weil sah sich bemüßigt, das Überlassen des Schulressorts an Grünen-Spitzenkandidatin Julia Willie Hamburg zu rechtfertigen. „Ich bitte um Verständnis, das war ein Geben und Nehmen“, berichtete er den 202 Delegierten über den für ihn „unangenehmsten Teil“ der Koalitionsgespräche, nämlich die Personalfragen. Als Erfolg wertete Weil dagegen, dass die SPD das Wirtschaftsministerium übernimmt, auf das auch unverhohlen die Grünen geschielt hatten. „Wir sind, bleiben und müssen sein: die Partei der Arbeit.“
Solche Sätze lösten bei den Genossen stürmischen Applaus aus, zumal der Vorsitzende immer wieder das „große Selbstbewusstsein der stärksten Partei“ in dieser Koalition betonte. Gleichzeitig versprach der alte und neue Regierungschef den Grünen eine faire Partnerschaft: „Ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit.“ Widerspruch hatte Weil nicht zu befürchten. Die wenigen Redner nach ihm waren voll des Lobes für die erzielten Ergebnisse. Selbst die sonst manchmal aufmüpfigen Jusos gaben dem neuen Bündnis uneingeschränkt ihren Segen. Nach nur 120 Minuten machte der SPD-Parteitag jubelnd einen freudigen Haken unter den Koalitionsvertrag.
Da zeigten sich die Grünen einen Tag später deutlich diskutierfreudiger. „Regierung macht nicht immer Spaß“, trat Landeschefin Anne Kura gleich zu Beginn ein wenig auf die Euphoriebremse. Man möge doch bitte die Erwartungen nicht allzu hoch schrauben. „Wir werden es nicht immer allen recht machen können.“ Punkt für Punkt gingen die künftigen Ressortchefs oder Fachpolitiker den Koalitionsvertrag durch, strichen vor allem immer wieder die grüne Handschrift dort heraus. Ob Klimaschutz oder Investitionsfonds, Jagdmunition oder Filmförderung: Die Vertreter der grünen Basis sahen viel Grund zum Applaus, aber auch manchen Anlass zur Kritik.
Selbst der designierte Finanzminister Gerald Heere heimste viel Beifall ein – obwohl auch er vor unerfüllbaren Wünschen warnte. „Wir werden nicht alle Maßnahmen, die im Koalitionsvertrag stehen, eins zu eins umsetzen können.“ Aber man werde streng darauf achten, dass grüne Prioritäten nicht zu kurz kämen, versprach Heere. Dazu zählten nicht zuletzt bei staatlichen Maßnahmen ein Klimacheck und eine Prüfung auf Geschlechtergerechtigkeit („Gender-Budgeting“).
Grüne-Jugend-Landeschefin Pia Scholten kritisierte, dass das 29-Euro-Ticket nur für Schüler und Azubis, nicht aber für arme Menschen gelte. Sie mahnte ihre Partei, nicht zu jedem Preis Kompromisse einzugehen. „Wenn die Lebensgrundlagen für Menschen in Gefahr geraten, ist das ein zu hoher Preis.“ Man dürfe die gegenwärtigen Krisen nicht gegeneinander ausspielen. Für die Altvorderen ihrer Partei hatte Scholten auch noch eine Vorhersage für die rot-grüne Koalition parat: „Mit der SPD wird es nicht immer ein Zuckerschlecken.“ Aber das hatten die vier künftigen grünen Ministerinnen und Minister ja schon in den Gesprächen zu spüren bekommen.