Nur 27,7 Prozent der Abgeordneten im Niedersächsischen Landtag sind weiblich. Und in den meisten Kommunalparlamenten des Landes ist der Frauenanteil noch dürftiger. Im Schnitt beträgt die Frauenquote nach Angaben des Sozialministeriums 23,5 Prozent. Im Kreistag der Wesermarsch liegt sie sogar nur bei 14,3 Prozent. Und in mehr als 50 Gemeinden und Städten zog nach der Kommunalwahl 2016 keine einzige Frau in die Räte – so auch in Lübberstedt (Landkreis Osterholz) und Scholen (Landkreis Diepholz).
„Das geht überhaupt nicht“, kritisierte Ministerpräsident Stephan Weil diese mageren Werte bei der Klausurtagung des niedersächsischen SPD-Landesverbandes in Springe. Seine Partei werde daher eine Änderung des Wahlrechts auf den Weg bringen. „Ohne entsprechende Vorgaben gelingt es nicht, dass Männer und Frauen zu gleichen Anteilen in den Parlamenten vertreten sind.“ Vorbild könne Frankreich sein, wo es seit 2000 ein Paritätsgesetz gibt.
Beim schwarzen Koalitionspartner löste die Ankündigung des roten Regierungschefs wenige Tage vor dem 100. Geburtstag des Frauenwahlrechts in Deutschland prompt Widerspruch aus. Zwar setze sich auch die CDU für eine bessere Einbindung für Frauen in die Politik ein, sagte Generalsekretär Kai Seefried am Freitag.
„Aber wir müssen an die Ursachen herangehen. Eine Änderung des Wahlrechts sehen wir derzeit nicht.“ Besser sei der freiwillige Weg, Frauen gezielt zu fördern und für die Parlamentsarbeit zu begeistern. Diese Haltung der CDU-Spitze um Landeschef und Wirtschaftsminister Bernd Althusmann ist allerdings parteiintern höchst umstritten. Insbesondere die Frauen-Union setzt sich für verbindliche Vorgaben ein.
Beim Landesfrauenrat Niedersachsen dagegen stieß der SPD-Vorstoß auf großes Lob. „Eine Änderung des Wahlgesetzes ermutigt und ermöglicht Frauen, sich in den politischen Diskurs und Entscheidungsprozess produktiv einzumischen“ erklärte die Vorsitzende Marion Övermöhle-Mühlbach. „Das Wissen und Können von Frauen, die mehr als die Hälfte der Bevölkerung stellen, wird dringend gebraucht.“
Weit entfernt von Gleichstellung
Es müsse etwas geschehen, meinte auch die frauenpolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion, Imke Byl. „An den Parlamenten ist deutlich zu sehen, wie weit entfernt wir noch von echter Gleichstellung sind. Die Regeln für unser Zusammenleben werden zum Großteil von Männern getroffen.“ Die SPD müsse aber nun ihren Worten auch Taten folgen lassen“, forderte die Abgeordnete. „Das wäre ein wichtiger Schritt für eine demokratische Vertretung der Bevölkerung.“
Niedersachsens Grüne schaffen als einzige Fraktion eine volle 50:50-Parität. Jeweils sechs Männer und Frauen sitzen für sie im Leine-schloss. Schlusslicht ist die AfD mit einer einzigen Frau in der neunköpfigen Fraktion, was einer Quote von 11,1 Prozent entspricht. Die CDU liegt lediglich bei 18 Prozent, die FDP bei 27,3 Prozent. Selbst die SPD hinkt ihrem selbst gesteckten Ziel mit einem Frauenanteil von 34,6 Prozent weit hinterher. „Das ist eine ernüchternde Bilanz“, gab SPD-Sozialministerin Carola Reimann zu.
Zwar schaffe man dank des Reißverschlussverfahrens auf den Wahllisten eine echte Parität. Die SPD habe aber bei der Landtagswahl alle 55 Mandate direkt gewonnen, dadurch sei das Verhältnis zu Ungunsten der Frauen nach unten gerutscht. Als denkbarer Ausweg sind für solche Fälle Ausgleichsmandate im Gespräch: Bei einem höheren Männeranteil an den Direktsitzen füllen zusätzliche Frauenmandate die Lücke auf. Nachteil: Die Gesamtzahl der Abgeordneten würde sich dadurch deutlich erhöhen. Als Alternative wird daher eine „Tandem-Lösung“ wie in den französischen Departements diskutiert. Dabei tritt pro Wahlkreis immer ein zweiköpfiges Mann/Frau-Team auf.
Dafür allerdings müsste man die Wahlkreise deutlich vergrößern; die Distanz zu den örtlichen Abgeordneten würde wachsen. „Das sorgt nicht für mehr, sondern für weniger Akzeptanz in der Bevölkerung“, warnte nicht nur CDU-General Seefried. Auch bei mehreren in Springe versammelten Genossen gab es erhebliche Vorbehalte. Und selbst SPD-Chef Weil weiß als Jurist, dass die Wahlvorschriften sich nicht so einfach und schnell ändern lassen. Ob und wann ein Paritätsgesetz komme, hänge davon ab, ob sich eine verfassungsrechtlich saubere Lösung finden lasse, die dann auch noch politisch mehrheitsfähig sei.