Richter Frank Lüthe sagt es gleich: Er will an diesem Montagvormittag alle Zeugen hören, die auf seiner Liste stehen – und die Beweisaufnahme beenden. Sechs Frauen und Männer sind es, die aussagen sollen, was sie gesehen oder gemacht haben, als Kater Georgy ins Gesicht geschossen worden war.
Doch das halbe Dutzend, das wird während des Prozessauftakts im Blumenthaler Amtsgerichts klar, reicht nicht, um zu einem Urteil zu kommen. Die Verhandlung, bei der es um Vergehen nach dem Tierschutzgesetz und unerlaubten Waffenbesitz geht, soll nächste Woche fortgesetzt werden. Lüthe will noch mehrere Polizisten hören.
Ein einzelner Beamter ist an diesem Morgen als Zeuge im Saal. Er hatte den Einsatz geleitet, bei dem im August 2017 eine Handvoll Beamte das Haus eines 71-jährigen Burglesumers durchsuchten und Waffen sowie Munition beschlagnahmten. Nur war er nicht in dem Moment dabei, als seine Kollegen auf dem Dachboden ein Repetiergewehr fanden. Strafrichter Lüthe will aber wissen, wie das damals genau war. Und warum andere Beamte, die 2014 schon einmal das Haus durchsucht hatten, diese Waffe und andere Gegenstände wie ein verbotenes Klappmesser nicht gefunden hatten. Kater Georgy war in beiden Jahren ins Gesicht geschossen und lebensgefährlich verletzt worden.
Viele Waffen sichergestellt
Die Liste der Waffen und Geschosse, die bei dem Beschuldigten sichergestellt wurden, ist lang. Die Staatsanwältin spricht von Gewehren, Pistolen, Schrot- und Sechs-Millimeter-Kugeln, Reizstoff- und Diabolo-Munition. Von dem Messer und einem Fangeisen. Manche Waffen durfte der Burglesumer, früher im Schützenverein, haben. Andere nicht. 2014 hatte er einen Autofahrer beschimpft, dann mit einer Waffe bedroht. Das war genau an dem Tag, als Kater Georgy zum ersten Mal angeschossen wurde. Für den Vorfall mit dem Autofahrer bekam der Mann eine Bewährungsstrafe. Ihm wurde der Besitz der Waffe untersagt, mit der er gedroht hatte. Zu einer Anklage im Fall des Katers kam es nicht.
Bis jetzt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm nicht nur vor, 2017 auf Georgy geschossen zu haben, sondern auch 2014 – beide Male aus „gefühlsloser Gesinnung“. Sie stützt sich auf Expertisen des Bundeskriminalamts, das in beiden Jahren eingeschaltet wurde. Ballistiker untersuchten im Labor die Projektile, die Tierärzte aus dem Kopf beziehungsweise aus dem Nacken des Katers entfernt hatten, mit den Schusswaffen, die im Haus des Burglesumers von den Beamten gefunden wurden. Die Gutachten des Bundeskriminalamts lesen sich ähnlich: Sowohl im ersten als auch im zweiten Fall kommen die Sachverständigen zu dem Schluss, dass die Kugeln aus den Waffen des 71-Jährigen abgefeuert sein könnten.
Deformierte Geschosse
Ob es sie aber tatsächlich auch wurden, können die Experten nicht mit letzter Gewissheit sagen. Ihnen zufolge waren die Geschosse vom Operationsbesteck der Tiermediziner zu stark deformiert worden, um einen hundertprozentigen Nachweis erbringen zu können. Mehr Klarheit sollten deshalb zwei Zeuginnen bringen, beide wohnen in unmittelbarer Nähe des Beschuldigten. Sie wiederholen, was sie schon einmal zu Protokoll gegeben haben. Die eine Nachbarin sagt aus, am 19. März 2014, als der Kater das erste Mal notoperiert werden musste, erst einen Knall gehört, dann den Angeklagten vor seiner Garage mit einem dunklen Gegenstand in der Hand gesehen zu haben. Ob es eine Waffe war, weiß sie nicht.
Die andere Nachbarin gibt an, am 11. August 2017, als Georgy zum zweiten Mal lebengefährlich verletzt wurde, ebenfalls einen Knall gehört zu haben. „Ich sah das Tier, wie es vom Nachbargrundstück kam.“ Bei dem Knall hatte sie anfangs nicht an einen Schuss gedacht, sondern erst, als sie erfuhr, dass der Kater erneut verletzt worden war. Sigrid Hiltmann hatte es ihr erzählt. Ihr gehört Georgy. Auch sie wohnt in der Nähe des Beschuldigten. Nach ihren Schilderungen zählt sein Garten quasi zu den wenigen Grundstücken, die der Kater auf seinen Streifzügen passiert. Hiltmann sagt, dass sich Georgy nie weit entfernt und jetzt, nachdem er zweimal angeschossen wurde, nicht ohne GPS-Sender am Halsband draußen ist.
Beschuldigter bestreitet Taten
Der Beschuldigte bestreitet die Taten. Am 11. August 2017 war er nach eigenem Bekunden nicht mal zu Hause – jedenfalls nicht zu der Uhrzeit, als die Nachbarin den Knall gehört hatte und laut Hiltmann ihr Kater erneut verletzt wurde: kurz vor vier am Nachmittag. Der Angeklagte erklärt, seine Ehefrau von der Arbeit abgeholt zu haben, wie fast jeden Tag. Und an diesem Tag hatte sie um 16 Uhr Dienstschluss. Die Frau und eine Kollegin, beide ebenfalls als Zeugen geladen, wissen gar nicht mehr so genau, ob der 71-Jährige draußen im Wagen wartete oder später kam. Die Polizei weiß nur, dass die Ehefrau an diesem Tag um Punkt 15.27 Uhr den letzten Auftrag in den Firmenrechner eingab. Beamte haben die Protokolle des Computers überprüft. Beide, Ehefrau und Kollegin, erklären vor Gericht, dass auf die Auftrageingabe noch weitere Arbeitsschritte folgen.
Ob noch weitere Zeugen für mehr Klarheit sorgen, kann Sigrid Hiltmann nur hoffen. Vor Prozessbeginn sagt sie, nur eines zu wollen: dass ihr Kater kein drittes Mal von einer Kugel getroffen wird. Dann fragt sie, was sie später auch im Gerichtssaal fragen wird. „Mitten ins Gesicht schießen – wer macht so etwas?“