Landkreis Osterholz. Als Torsten Wischhusen (CDU) nach der Abstimmung über das geplante Naturschutzgebiet Schönebecker Aue mit einer triumphierenden Geste den Sitzungssaal verließ, platzte der Grünen-Kreistagsabgeordneten Dörte Gedat endgültig der Kragen. Sie wollte Wischhusens emporgereckten Mittelfinger gesehen haben, der auf sie und die neben ihr sitzende Naturschützerin Jutta Kemmer wies. In Gedats Empörung mischte sich der Schmerz über das Ausschussvotum, wonach das Gebiet von anfangs geplanten 221 Hektar auf 98 Hektar zusammengestrichen werden soll. Der AfD-Abgeordnete Erhard Eggert stimmte als einziger mit Gedat gegen dieses Vorgehen.
Die Kreisverwaltung hatte nach einem wahren Proteststurm der Forst- und Landwirte entschieden, sich bei den Schutzauflagen nun doch auf das Allernötigste zu beschränken, was durch die EU vorgegeben ist. Die Anrainerflächen der Aue-Zuflüsse bleiben damit weitestgehend außen vor, obwohl eine Einbeziehung naturschutzfachlich allemal geboten wäre, wie Planungsdezernent Dominik Vinbruck einräumte. „Wir müssen aber einen Entwurf vorlegen, der mehrheitsfähig und rechtssicher ist“, rechtfertigte er den Rückzieher.
Eine Mitverantwortung liegt nach Vinbrucks Worten bei der Landesregierung, die den Walderlass von Ende 2015 erst Anfang 2018 mit neuen Ausführungsbestimmungen präzisiert hatte. „Wir sind mit unserem Entwurf mitten in diesen Konflikt reingelaufen.“ Es wäre nun viel zusätzlicher Aufwand nötig, eine Überschreitung der EU-Vorgaben weiterhin hieb- und stichfest zu begründen. Das könne aber später notfalls nachgeholt werden, so der Dezernent, falls die Schutzziele von Nachbarflächen aus gefährdet würden. Nun wolle der Landkreis an der Schönebecker Aue zunächst der Pflicht nachkommen, und darum sei der ursprüngliche Entwurf abgespeckt worden. Das Papier werde Anfang 2019 erneut öffentlich ausgelegt.
„Nicht optimal“
Johannes Kleine-Büning, Leiter des Naturschutzamtes, setzte hinzu, der neue Entwurf orientiere sich eng an den Vorgaben des Walderlasses. Für Flora und Fauna am Oberlauf der Aue-Zuflüsse sei das durchaus „Nicht optimal“, denn diese Bereiche mit weiteren wertvollen Waldbeständen lägen nun außerhalb der Schutzzone. Allerdings dränge die Zeit, wonach zunächst die EU-Vorgaben der FFH-Gebiete zu erfüllen seien.
Dörte Gedat konterte, mit der erneuten Auslegung gehe ebenfalls Zeit ins Land. Dass der Kreis zurückrudere, habe ihre Fraktion befürchtet: „Wir warnen seit Jahren davor, dass Personal fehlt und uns darum die Zeit davon läuft.“ Der Forst- und Agrarlobby sei es gelungen, mithilfe des Walderlasses eine weichgespülte Version zu erreichen; CDU und SPD betrieben mit der Neuauslegung reine Klientelpolitik. „Sie knicken vor denen ein, die am lautesten gebrüllt haben“, schimpfte Gedat.
Jutta Kemmer von der Koordinationsstelle für naturschutzfachliche Verbandsbeteiligung (KVN) nickte: „Der ursprüngliche Entwurf war gut, wenn auch nicht ausreichend.“ Sie bezweifele, dass es EU-Sanktionen für eine spätere Meldung der Gebiete nach Brüssel geben würde. Der Verwaltung fehle nur der Mut – und angesichts vieler weiterer Aufgaben von Raumordnung bis Landschaftsschutz weiterhin die Manpower, schützenswerte Gebiet in absehbarer Zeit zu sichern, „sodass nicht immer weiter alles verschandelt wird“.
Für die SPD erklärte Björn Herrmann, seine Fraktion finde den zweiten Anlauf akzeptabel. „Wir stimmen nicht leichten Herzens zu, aber wir müssen auch sehen: Naturschutz geht nicht ohne die Beteiligung der Betroffenen.“ Die SPD wolle nun „endlich mal zu Potte kommen“ und auch die Bedenken der Eigentümer ernst nehmen. Andernfalls drohe ein Vertrauensverlust, der weitere Gespräche unmöglich mache. Tatsächlich sei den Bewirtschaftern ja der hohe ökologische Wert zu danken. Der Christdemokrat Axel Miesner sah das ähnlich. Der verkleinerte Entwurf sei aus Sicht der Union keineswegs ein Kuhhandel, sondern ein guter Kompromiss. „Wir kommen dem EU-Auftrag nach, rund 100 Hektar zu sichern – das ist doch nicht nichts.“ Die angrenzenden Bereiche blieben ja weiterhin im Blick. Aber Dörte Gedat winkte ab: „Freiwillig funktioniert das nicht, das sehen wir doch.“ Überall werde mehr statt weniger gedüngt und gespritzt. „Die Arten sterben, die Natur ist in Not.“ Darum seien Schutzmaßnahmen nötig; die Brüsseler Vorgaben seien ja auch kein Selbstzweck: „Wir haben diese Erde gefälligst zu schützen. Und sie gehört allen.“
Reinhard Seekamp (Linke) und Jürgen Ahlers (Bürgerfraktion) erklärten, das Verfahren sei einfach zu spät und dann zu schnell angeschoben worden. Die Folge, so Seekamp: „1077 Seiten Sitzungsvorlage, die wir in 14 Tagen durchlesen sollten; zuzüglich Walderlass: Das ist nicht zu schaffen.“ Die Linke werde nicht gegen den erreichbaren Minimalkonsens stimmen, aber ihr missfalle das ständige Zurückweichen der Behörde, so Seekamp. Ahlers kritisierte, die Räte hätten überhaupt erst nach Fristablauf Stellung nehmen können.