Heike Hartmann aus Meyenburg, zweite Vorsitzende des Vereins „Reiherschutz Niedersachsen“, ist entsetzt: „Über Facebook sind uns allein in einer Woche 18 tote Amseln gemeldet worden!“ In diesem Jahr seien ungewöhnlich viele Vogelarten, darunter Schwalben, Drosseln, Spatzen, Buchfinken und Meisen, bei ihr abgegeben worden, die zwar alle noch lebten, die aber alle die gleichen Krankheitsbilder zeigten.
Heike Hartmann kümmert sich seit dem Jahr 2000 mit ihrem Mann um in Not geratene Wildvögel, allerdings nur dann, wenn ein Tierarzt sie vorher behandelt hat und eine Chance auf Auswilderung besteht. Das Ehepaar Hartmann erhält Vögel von Tierschutz-Organisationen, aus Tierheimen, von Tierärzten oder auch durch Informationen auf Facebook.
Im Normalfall haben Heike und Jörg Hartmann eine Erfolgsquote von 80 Prozent, doch in diesem Jahr sei es anders: Insgesamt seien von Mai bis August 39 Vögel bei ihnen gestorben. Jüngst hat der Nabu Bremen auf das sogenannte „Amselsterben“ aufmerksam gemacht, das in diesem Jahr erstmals auch in Bremen in größerem Umfang auftritt.
Besonders Amseln, aber auch andere Vogelarten, werden vom sogenannten Usutu-Virus befallen, das im Jahre 2011 erstmals in Deutschland nachgewiesen wurde. Der Virus stammt aus Afrika und wird durch Stechmücken, auch durch heimische Arten, übertragen. Bisher konzentrierte sich das Auftreten vor allem auf den Süden Deutschlands, doch nun ist auch der Norden in größerem Umfang betroffen.
Der Virus verursacht bei Vögeln und bei Säugetieren eine Infektion, die bei den Tieren in der Regel zum Tode führt, er kann aber auch auf den Menschen übertragen werden: „Wenn eine Stechmücke an einer bereits infizierten Amsel Blut saugt, trägt sie das Virus in ihrem Körper und kann auch Menschen infizieren“, sagt Florian Scheiba. Bisher bestehen aber nach Angaben des Nabu keine gesundheitlichen Gefahren durch die übertragenen Usutu-Viren, allerdings sind Menschen mit Immunschwächen eventuell gefährdet.
Die befallenen Vögel entwickeln ein struppiges Gefieder im Hals-Kopf-Bereich, das sich hell verfärbt, oder die Federn fallen an dieser Stelle aus. Es folgen Apathie und Störungen des Nervensystems, die sich in Taumeln oder Kopfverdrehen äußern können. „Auch junge Amseln sind bei mir gestorben, als sie ihr Gefieder bekamen“, berichtet Heike Hartmann, „sie zeigten eine Erkrankung am Auge und waren schon am nächsten Tag tot.“
Schnellere Ausbreitung durch den heißen Sommer
Die Virusinfektion hat nicht nur großstädtische Vogelpopulationen in Bremen, sondern auch in Hamburg erreicht. Über ähnliche Fälle zahlreicher verendeter Vögel berichtet das Hamburger Abendblatt vom 27. August. Experten vermuten, dass sich das Virus durch den heißen Sommer schneller ausbreiten konnte.
„Der warme Sommer hat einerseits die Ausbreitung des Virus begünstigt, andererseits sind durch die Trockenheit auch weniger Wasserstellen da, in denen die Larven der Stechmücken leben“, sagt Florian Scheiba vom Nabu Bremen. Den Umweltverband erreichen inzwischen zahlreiche Mails, Telefonanrufe und Facebook-Posts, in denen Leute kranke oder tote Amseln melden. „Wir haben inzwischen mehr als 1500 Meldungen von Verdachtsfällen erhalten, darunter 200 von toten Amseln aus Bremen“, sagt Florian Scheiba, „aber darüber hinaus auch von vielen anderen Vogelarten.“
Florian Scheiba zufolge handelt es sich in Bremen um einen Erstausbruch der Infektionskrankheit, der immer besonders dramatisch verlaufe. In den folgenden Jahren würde sich die Erkrankung jedoch auf einem niedrigeren Niveau einpendeln, ist er überzeugt. Die Gesamtpopulation der Amseln ist nach Ansicht des Naturschützers von der Krankheit nicht bedroht.
Dennoch könne jeder etwas tun, um die Seuche zumindest einzudämmen: „Wer tote Vögel findet, sollte auch Futter- und Wasserstellen bis zum Winter wegräumen, da sich sonst an diesen Sammelstellen das Virus gut verbreiten kann“, sagt Florian Scheiba. Um die tatsächliche Ausbreitung des Virus dokumentieren zu können, sollten möglichst viele Verdachtsfälle im Labor bestätigt werden.
Die Untersuchungen nehmen das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg sowie manche veterinärmedizinische Untersuchungsämter vor. „Wir rufen die Bevölkerung daher auf, kranke oder verendete Tiere zu melden und möglichst zur Untersuchung einzusenden“, sagt Florian Scheiba vom Nabu.
Wer tote Vögel im Garten oder an anderen Orten findet, sollte sie keinesfalls mit bloßen Händen anfassen, sondern nur mit Handschuhen oder einer umgedrehten Plastiktüte, um eine Infektion zu vermeiden. Wer kranke oder verendete Vögel findet, kann seine Daten an den Nabu unter www.nabu.de/usutu-melden weiterleiten.
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