Corona ist das bestimmende Thema in der Politik. Zwei Stadtteilpolitiker aus Blumenthal haben auch in beruflicher Hinsicht mit dem Virus zu tun. Rainer Bensch, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, und Tina Bothe-Stolle, Sprecherin des Gesundheitsausschuss des Beirates Blumenthal, erzählen, wie Corona ihren Alltag im Pflegeheim und Krankenhaus und damit auch ihre politischen Ansichten bestimmt.
„Heute ist Lächeltag“, steht auf Rainer Benschs Kaffeebecher. Der CDU-Politiker lächelt noch, auch, wenn das Coronavirus dem 55-Jährigen aus Farge in diesen Wochen einiges abverlangt. Während er als Nordbremer Bürgerschaftsabgeordneter beim Gesundheitsressort um stadtteilbezogene Corona-Daten kämpft, versucht er als Pflegefachkraft Menschen in Bremen-Nord aus der sozialen Isolation herauszuholen. Gerade hat er drei Wochenenddienste in einem Pflegeheim hinter sich.
Bensch ist als Pflegefachkraft in einer Nordbremischen Einrichtung der Bremer Heimstiftung tätig. „Ich arbeite sowohl ambulant als auch stationär“, berichtet der examinierte Altenpfleger und Diplom-Pflegewirt. Morgens ist Bensch in der Grundpflege beschäftigt. Was das heißt, beschreibt er so: „Waschen, anziehen, Verbände wechseln.“ Angst, sich mit dem Coronavirus anzustecken, hat er nicht. „Wir achten streng auf die Hygiene-Regeln." Denn allen Mitarbeitern sei klar, dass eine Ansteckung eine Kettenreaktion im Pflegeheim auslösen würde. Zurzeit sei die Einrichtung aber verschont geblieben. Er geht davon aus, dass es bisher keinen Corona-Fall in Nordbremer Pflegeheimen gibt. Sicher sei das nicht, weshalb Bensch sich dafür einsetzt, dass die Zahlen von Corona-Infizierten von den Behörden stadtteilbezogen oder sogar quartiersmäßig dargestellt werden.
Dieser Tage muss Rainer Bensch den Heimbewohnern immer wieder erklären, warum sie allein bleiben müssen. Soziale Isolation sei ein großes Thema. „Aktuell gilt ja ein Besuchsverbot. Wir bemühen uns natürlich, die Kontakte trotzdem aufrecht zu halten“, sagt Bensch. Die Pfleger riefen die Angehörigen an, dabei werde häufig Videotelefonie genutzt. „Wir lassen uns was einfallen, machen etagenweise Angebote.“
So seltsam das für Außenstehende klingen mag, nach seinem Dienst im Schichtbetrieb im Pflegeheim gehe er gestärkt und motiviert zurück in seinen Abgeordnetenjob. „Wir haben hier keine Depression. Wir sind froh, dass wir alles wuppen können.“ Er spricht über den Spaß beim jüngsten hundertsten Geburtstag und die Erkenntnis, dass kaum etwas besser hilft, Erinnerungen zu wecken als die Nachkriegsschnulze Lili Marleen. Es gehe bei all seinen Freizeitangeboten nie darum, die alten Menschen zu berieseln: „Man übernimmt eine Steuerungsfunktion.“
Dass neuerdings auch schon mal von Balkonen für Pflegekräfte geklatscht werde, fühle sich „wie gesellschaftliche Anerkennung an“, sagt Bensch. „Das darf nicht aufhören.“ Er hoffe, dass die Corona-Pandemie eine Aufwertung aller Pflegeberufe zur Folge haben werde, „für alle weißen, nicht ärztlichen Berufe“. Es gehe hierbei nicht nur um bessere Verdienstmöglichkeiten für die Betroffenen. „Es geht auch um Wertschätzung. Für junge Menschen muss es Eintrittsmöglichkeiten in diese Berufe geben. Man sollte über ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr nachdenken.“
Tina Bothe-Stolle, Fraktionssprecherin von Bündnis90/Die Grünen im Beirat Blumenthal, ist 2017 als Nachrückerin in den Beirat gekommen. Hier fungiert sie auch als Sprecherin des Gesundheitsausschusses. Tagsüber arbeitet sie im Patientenmanagement der Paracelsus-Klinik in der Vahr. Dort, wo normalerweise viele Patienten auch aus angrenzenden Praxen auf den Fluren unterwegs sind, ist jetzt alles abgeriegelt: „Wir haben den Patienten aufgrund der Corona-Situation abgesagt und die Betten leer gemacht, um leichtere Corona-Fälle aufnehmen zu können.“
Für die medizinische Dokumentationsassistentin hat sich damit auch ihr Arbeitsalltag im Großraumbüro verändert. Da sie eine Autoimmunerkrankung habe, achte sie besonders auf die Abstandsregelungen und regelmäßige Desinfektion ihrer Hände. Ihre Aufgabe besteht darin, die stationären Fälle aktenmäßig zu erfassen und mit den Krankenkassen abzurechnen. Doch während sich die 51-Jährige sonst mit Abrechnungen von Blindarmentzündungen und Bandscheibenvorfällen beschäftigt hat, arbeitet sie nun mit einem anderen Codier-System. Das sei jedoch aufgrund von Erfahrungen auch in anderen Krankenhäusern kein Problem.
Die Corona-Pandemie zeigt in den Augen der Bündnisgrünen vielmehr eine Schwachstelle des Gesundheitssystems auf: „Wir dürfen nicht operieren.“ Derzeit könnten nur Notfall-Operationen etwa bei extrem schmerzhaften Bandscheibenvorfällen durchgeführt werden: „Alles andere wird zurückgestellt.“
Schon vor dem Ausbruch der neuartigen Viruserkrankung hätten sie und ihre Kolleginnen sich wegen der allgemein gültigen Richtlinien zur Verweildauer von Patienten „oft an den Kopf gefasst“: „Es zählen keine Sozialkriterien mehr. Selbst, wenn der Arzt schreibt, dass der Patient einen Tag länger bleiben sollte, streicht die Krankenkasse gnadenlos diese Tage.“ Als Alternative werde zumeist häusliche Pflege angeboten – „das muss der Patient dann aber selber zahlen.“
Tina Bothe-Stolle findet es als Stadtteilpolitikerin schwer, der Bevölkerung zu erklären, „dass zurzeit die Grundrechte ausgesetzt werden“. Corona habe ihr gezeigt, wie wichtig „ehrliche Transparenz“ in den politischen Entscheidungen sei. „Ich sehe viele Zweifel und auch Fake News. Man kann diese aber nicht infrage stellen, in dem man sie nur löscht.“