Oma Janette musste jetzt schnell sein. Also spurtete sie zum Santini-Stand, dem Stand des offiziellen Ausrüsters vom Rad-Weltverband UCI. Janette Reinhardt hatte Glück: Die Santini-Leute bauten gerade ab, aber ein letztes Bambini-Weltmeister-Leibchen rückten sie noch heraus, so bekam Janettes Enkel Pepe auch so ein schönes Regenbogentrikot. Das Hemd der Weltmeister. So eines, wie es Papa Theo jetzt trug. Der hatte mit Roger Kluge das Madison-Rennen gewonnen, das letzte Rennen der WM 2018 in Apeldoorn.
Theo Reinhardt liegt entspannt in einer Kabine der Bremer ÖVB-Arena und erzählt diese Weltmeister-Familiengeschichte. Er erzählt, wie Regenbogentrikot und WM-Gold jetzt daheim in Ahrensfelde in einem Sideboard-Fach gleich neben dem Fernseher liegen. Wie Pepe, knapp drei, sich die Medaille oft schnappt und umhängt. Theo Reinhardt erzählt das nicht, weil er so ein Dampfplauderer ist, so ein Instagram-Typ. „Theo ist ja eher nicht der Bartko-Typ, mehr wie Kalz“, sagt der Sixdays-Sportchef Erik Weispfennig. Der Rennfahrer Robert Bartko war, nun ja, eine Wuchtbrumme. Ihn konnte niemand übersehen oder überhören, wenn er anwesend war. Der Rennfahrer Marcel Kalz war deutlich zurückhaltender, introvertierter.
„Ich bin eher so der ängstliche Typ“, gibt Reinhardt zu. Dass er ein guter Bahnfahrer ist, das habe er schon länger von sich gedacht. Dass er mal Weltmeister in einer olympischen Disziplin wird, das hätte er aber nicht für möglich gehalten. „Nicht wirklich“, sagt er. Wenn er antrete, dann gehe er erst mal nicht vom Maximum aus. Eher vom Minimum. Er ist quasi ein sehr ehrgeiziger und fleißiger Sportsmann, der sich eine Art Scheiß-egal-bleib-mal-locker-Mentalität verordnet. „Das beruhigt mich“, sagt er. So sei er halt.
Gewann sein erstes Sechstagerennen in Bremen
Und doch, oder: und so, ist dem Rennfahrer Theo Reinhardt, 28 Jahre alt, 2018 eine kleine Verwandlung gelungen. Er hat, in Bremen, sein erstes Sechstagerennen gewonnen, er ist Weltmeister geworden. Er wurde zur glamourösen Sportlerwahl nach Baden-Baden eingeladen, er durfte an der Costa del Sol im „Club der Besten“ urlauben. Um es neudeutsch zu sagen: Er hat ein Standing bekommen in der Szene. Weispfennig sagt es auch noch mal altdeutsch: „Ja, man kann sagen, er ist sportlich erwachsen geworden.“
Theo Reinhardt auf seiner Massagebank will das nicht dementieren. Er spricht von dem Stolz und der inneren Erfüllung, jetzt hier in Bremen als Titelverteidiger und Weltmeister anzutreten. Und von der inneren Verpflichtung, die er spüre. Letztens in Rotterdam ist er nach der Hälfte des dortigen Sechstagerennens ausgestiegen. Wegen einer drohenden Entzündung im Gesäßbereich, der berufsbedingten Schwachstelle vieler Radprofis. Das sei eine Vorsichtsmaßnahme gewesen, sagt Reinhardt. Er wollte den Start in Bremen nicht gefährden. Die Mission Titelverteidigung.
Zur Mission Titelverteidigung gehörte dann auch eine Art Matchplan für die erste Große Jagd der Bremer Sixdays. Er wollte mit seinem neuen Partner Marc Hester aus Dänemark gleich mal ein Ausrufezeichen setzen. Die Konkurrenz überraschen und in Zugzwang bringen. Wie eine Fußball-Elf, die mit voller Wucht auf ein frühes 1:0 drängt. „Es heißt ja nun mal auch Jagd“, sagt der Berliner zur Kerndisziplin der Sixdays. Da wollte er seinem neuen Standing gleich mal gerecht werden. Er ist jetzt der Gejagte. Der mit dem Regenbogentrikot im Wohnzimmer.