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Essay über Sportidole Gefallene Helden: Sind Vorbilder im Sport vom Aussterben bedroht?

Innerhalb weniger Monate sind Uwe Seeler und Rosi Mittermaier gestorben. Größere Sporthelden, im Sinne eines Vorbilds für alle, hat Deutschland nie gehabt. Und wird sie auch nie mehr bekommen?
29.01.2023, 07:10 Uhr
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Gefallene Helden: Sind Vorbilder im Sport vom Aussterben bedroht?
Von Olaf Dorow

Auch der deutsche Sport hat eine Ruhmeshalle. Sie nennt sich neudeutsch Hall of Fame, aus dem Wort lässt sich der unrühmliche Teil deutscher Geschichte wohl besser heraushalten. Die Deutsche Sporthilfe betreibt die virtuelle Halle, in die mittlerweile 128 Frauen und Männer aufgenommen worden sind. Manchmal steht ein Sternchen hinter dem Namen. Hinter Uli Hoeneß, der Fußball-Weltmeister wurde und den FC Bayern zum Weltverein machte, steht: "Auszeichnung mit der Goldenen Sportpyramide im April 2014 auf eigenen Wunsch niedergelegt. Damit endete auch automatisch die Mitgliedschaft in der Hall of Fame des deutschen Sports." Bei Tennis-Mozart Boris Becker heißt es: "Die Mitgliedschaft...beruht allein auf seinen außergewöhnlichen Leistungen und Errungenschaften während seiner sportlichen Karriere."

Was im Sport und mit den großen Namen des Sports passiert, spiegelt nicht eins zu eins unsere Zeit wider. Aber ein bisschen ja doch. Und es würde relativ leicht fallen, ein relativ dunkles Sporthelden-Bild zu malen: Uli Hoeneß und Boris Becker kamen ins Gefängnis, Franz Beckenbauer hängt die Sommermärchen-Affäre in den Kleidern, Katrin Krabbe und Jan Ullrich hatten Dopingaffären, in Dieter Baumanns Zahnpasta waren Dopingmittel. Lothar Matthäus' fünfte Ex-Frau war fast 30 Jahre jünger als er, Michael Schumacher hatte einen schlimmen Unfall. Die Helden vom Wunder von Bern sind inzwischen alle tot, manche behaupten: Sie waren auch gedopt. Max Schmeling und Bert Trautmann leben schon längst nicht mehr.

Im vergangenen Sommer starb Uwe Seeler, Anfang Januar starb auch Rosi Mittermaier. Größere Sporthelden als sie hat Deutschland nie gehabt. Und wird sie auch nie wieder bekommen? Das wäre natürlich eine gewagte These. Dass es große Persönlichkeiten immer schwerer haben, lebenslang allseits geschätzte Persönlichkeiten zu bleiben, wäre wohl eine nicht ganz so steile These. Katrin Krabbe war DIE überragende Sprinterin ihrer Zeit und DAS Gesicht der deutschen Leichtathletik. Jan Ullrich war in mehr als 100 Jahren Tour de France der einzige deutsche Triumphator. Krabbe und Ullrich brachten es noch nicht mal zu einem Eintrag mit Sternchen in der Hall of Fame. Zu niederschmetternd waren die Dopingenthüllungen. Doch nicht nur der Griff zu verbotenen Substanzen stand und steht in der Geschichte des Spitzensports im Weg auf dem Weg zum Vorbild für alle.

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Spitzensportler sind nicht verpflichtet, Vorbild zu sein oder zu werden. Das wäre die wohl die beste Definition eines Sporthelden: Vorbild für alle. Nicht allein Titel und Rekorde können es sein, die ihn zum Vorbild machen, sondern seine Haltung dabei. Gelebte Werte wie Willens- und Widerstandskraft, Anstand, Ehrlichkeit, Fairness und Bodenhaftung sind es, die aus dem großen Sieger oder der großen Siegerin jemanden machen, der große Hochachtung verdient. Das ist ein ganz schön dickes Wertepaket. Es ist im Sport besonders dick. Wenn das Rock-Idol kokst und das Hotelzimmer zerlegt, ist das, tja: ein befolgtes Klischee. Ein Sportidol sollte, wenigstens im Klischee, rein und sauber zu sein. 

Wer schafft das schon noch? Um ein Sportstar zu werden, müssen heutzutage zunächst mal viel mehr Voraussetzungen vorliegen als nur das blanke Talent. So etwas wie das Sportmodell der DDR gibt es nicht mehr. Ökonomisch betrachtet, war es eine Katastrophe, moralisch betrachtet auch. Strukturell betrachtet war es ein Paradies. Talente trafen auf ein System umfassender Förderung. Hochbegabte Kinder wie zum Beispiel die Huchtinger Turnerin Karina Schönmaier wären in diesem System frühzeitig in einer Art kostenneutraler Vollversorgung gelandet. Schule, Internat, Ausrüstung, Betreuer, Trainingshalle, Trainingslager, Sportmedizin, Physiotherapie – alles wäre da und so gut wie umsonst. Alles wäre aufeinander abgestimmt. Von solchen Rahmenbedingungen war Karina Schönmaier in Bremen so weit weg, wie die DDR längst Geschichte ist. Das Fördersystem im Deutschland von heute wirkt, verglichen mit dem des untergegangenen Arbeiter- und Bauernstaates, wie der Trabant von damals gegen den Mercedes von heute.

Es ist für junge Menschen nicht nur unwahrscheinlicher als früher in der DDR, ein allseits bekannter Olympiasieger zu werden. Es hängt zunächst mal von den oft sehr bescheidenen Möglichkeiten vor Ort ab, vom Geldbeutel der Eltern, von der Fähigkeit zur Selbstvermarktung. Vom Zufall sowieso. Angekommen auf dem Thron, ist es mindestens ebenso schwer, all den Verführungen zu widerstehen. Es hört sich nach Früher-war-alles-besser-Gejammer an, aber ja: Uwe Seeler musste nicht höllisch aufpassen, was er so bei Twitter oder Instagram 'reinstellt. Er stand nicht jeden Tag mit Riesenfoto in zig Zeitungen, er hatte keine Armee von PR-, Medien-, Spieler- oder sonstigen Beratern, die ihn entweder der Öffentlichkeit anboten oder ihn vor ihr abschirmten. 

Er war – und das gibt es im modernen Profifußball mit seinen Millionendeals für Teenager immer seltener – der Uwe Seeler von nebenan geblieben. Uns Uwe halt. Als das Millionenangebot aus Italien lockte, blieb er bei seinem HSV. So, wie er immer bei seiner Frau blieb. Er blieb einer, der ohne Affären und Allüren auskam. Lothar Matthäus ging nach Italien, er heiratete fünfmal (bisher) und hat so etwas wie eine Standleitung zur "Bild". Uwe Seeler ist ein Sportheld geworden, im Sinne eines Vorbilds. Lothar Matthäus wurde ein Sportheld im Sinne eines herausragenden Spielers. Ein Vorbild ist er nicht geworden. Obwohl Matthäus den WM-Pokal holte und Seeler im WM-Halbfinale verlor.

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Es braucht aber Sporthelden im Sinne eines Vorbilds. Beziehungsweise: Um die Jugend von heute von all den Vorzügen des Sports für Körperspannung und Persönlichkeitsentwicklung überzeugen zu können, braucht die Gesellschaft den Sport. Und braucht wiederum der Sport seine Vorbilder. Die Jugend von heute hat einerseits viel mehr Auswahl und Möglichkeiten zur Orientierung als früher. Andererseits hat sie eben auch viel zu viel Auswahl. Wer einmal gesehen hat, wie bei den Bremer Sixdays die Teenager nicht minder jungen Influencern gehuldigt haben, mehr als den schwitzenden Welt- und Europameistern auf der Bahn, der könnte sich so seine Gedanken machen über Orientierungshilfen fürs Leben.

Sportler werden in der Regel bekannt, weil sie etwas erreicht haben. Was zumeist verbunden war mit jahrelangem Verzicht auf Komfort. Influencer können bekannt werden, indem sie sich bekannt machen. Ihre Komfortzone müssen sie nicht zwangsläufig verlassen. Einen gesellschaftlich nützlichen Beitrag müssen sie nicht unbedingt leisten dazu. In der Generation Tiktok fallen die besten Schmink- und Shopping-Tipps der Woche womöglich mehr auf als herausragende und historische Erfolge wie die des aus Bremen stammenden Schwimmers Florian Wellbrock

Um nicht falsch verstanden zu werden: Es gibt natürlich nicht nur das total Gute hier und das total Bedenkliche da. Es gibt natürlich in Deutschlands Sportelite nicht nur gestorbene Helden wie Uwe Seeler und Rosi Mittermaier und gefallene Helden wie Boris Becker und Jan Ullrich. Deutschland hat Steffi Graf, Kati Witt, Heike Drechsler oder Ulrike Meyfarth. Hat Michael Groß, Heiner Brand, Henry Maske, um nur ein paar Namen weitgehend makelloser Sportheroen zu nennen. Dass Uns Uwe nicht mehr da ist und die Gold-Rosi auch nicht mehr, das ist dennoch ein großer Verlust. In Anlehnung an Ina Deters Hit möchte man vor sich hinsummen: Ich schreib's an jede Wand: Neue Seelers bracht das Land!

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