Die Menschen mit den Lichtern in ihren Händen erreichen fast auf die Minute genau ihr Ziel. Gegen 19 Uhr wollten sie am Stadion sein. Jetzt ist es kurz nach 19 Uhr. Am Neuen Rathaus sind sie gestartet, rund 1000 haben sich zusammengefunden. Mit einer Lichterkette wollen sie ein Zeichen setzen. Ein Zeichen des Mitgefühls für die Opfer von Paris. Aber auch ein Zeichen der Hoffnung. Sie wollen demonstrieren, dass sie gegen den Terror aufstehen. Dass das Leben weitergeht. Dass dieses Land nicht vor dem Terror kapituliert.
Wenige Minuten später aber hat die Sorge vor einem neuen Anschlag gesiegt. Die Polizei lässt das Stadion räumen, in dem in gut eineinhalb Stunden eigentlich das Länderspiel Deutschland gegen die Niederlande angepfiffen werden sollte. Die Nachrichtenlage ist unklar. Per Lautsprecherdurchsagen bittet die Polizei darum, das Gelände rund um das Stadion weiträumig zu verlassen. Sehr ruhig und geordnet geht das vonstatten.
Wer dann doch ein wenig zu zögerlich den Anweisungen der Beamten folgt, bekommt eine klare Ansage: „Bitte gehen Sie! Das ist kein Spaß hier!“ Damit ist das passiert, was viele befürchtet hatten und wofür es den Tag über zunächst keine sichtbaren Anzeichen gegeben hatte. Der Terror hat an diesem Abend Hannover erreicht.
In der Innenstadt: Fünf Stunden vor Spielbeginn ist nicht viel los in der City. Vielleicht liegt es am tristen Wetter, es dämmert schon, es nieselt. An der Staatsoper hat sich Polizei postiert, drei Einsatzwagen. Nachher, drei Stunden später, werden es fast 20 sein. Am Bahnhof patrouillieren Beamte, einige schwer bewaffnet.
"So schön viele Waffen, so schön viele Bullen hier"
500 Meter stadteinwärts auf dem Weg zum Kröpcke, dort, wo sich die Fußballfans sonst gern zum ersten Bier verabreden, hängen wie immer die Punker ab. Eine junge Frau, die sich als Pinkie zitieren lassen will, meint sarkastisch: „Schöne, neue Welt. So schön viele Waffen, so schön viele Bullen hier.“

Die Fahnenträger packen ein: Es wird nicht gespielt in Hannover.
Christian Beier stört die Präsenz der Beamten nach eigener Aussage nicht. Er trägt in der einen Hand eine Frankreich- und in der anderen Hand eine EU-Fahne. Der Mann fällt auf, und das will er auch. Er hat eine Botschaft. „Wir müssen zusammenhalten, wir müssen Zivilcourage zeigen“, sagt er. Beier ist pensionierter Schulleiter aus Schleswig-Holstein, er reist dieser Tage viel umher, ist dort, wo viele Menschen sind. „Es ist richtig, dass das Spiel stattfindet“, sagt er, da weiß er noch nicht, was am Abend passieren wird. Er sagt: „Wenn wir uns von den Terroristen vorschreiben lassen, was wir zu tun haben, können wir einpacken.“
Vor dem Stadion: Drei Stunden vor dem Anpfiff ist es wie bei jedem x-beliebigen Länderspiel. Die DFB-Sponsoren haben ihre Pavillons und Zelte aufgebaut, wie immer kann man hier an Tippspielen und Verlosungen teilnehmen.
Wer mit dem Auto herkommt, merkt aber spätestens hier, dass doch nicht alles wie immer ist. Die Zufahrtstraßen werden streng kontrolliert. Zwischendurch steht der Verkehr komplett. Ein herrenloser Koffer ist gefunden worden. Wenig später folgt die Entwarnung. In Gruppen zu viert oder zu fünft winken Beamte Autos aus der Schlange, leuchten mit Taschenlampen ins Innere, durchsuchen Kofferräume. Normalerweise sorgen 200 Beamte für die Sicherheit, diesmal sollen es über 1000 sein.
In einer Bar am Maschsee, gleich neben dem Stadion, sitzt Rainer van Raak. Er ist in den Niederlanden geboren, lebt aber schon seit über 20 Jahren in Deutschland. Er trägt ein Holland-Trikot. Huntelaar steht hinten drauf. Er freut sich auf ein schönes Fußballspiel, das in gut zwei Stunden beginnen soll. „4:0 für Deutschland“, sagt er, „unsere Abwehr ist so schwach.“ Ist das Ergebnis wichtig? Van Raak überlegt: „Ein bisschen schon. Ihr werdet nachher im Stadion ja auch bestimmt wieder ,Ohne Holland fahr’n wir zur EM‘ singen wollen.“ Er weiß es noch nicht, aber es kommt alles ganz anders. An diesem Abend singt niemand.