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Kritische Worte der Senatorin Vogt: "Die komplette WM-Vergabe war absurd"

Sie kennt sich aus im Fußball und findet deutliche Worte: Die Bremer Wirtschaftssenatorin bezieht im Interview Stellung zu Katar, zur Abgehobenheit des Profifußballs und zu einem Verkauf des Weserstadions...
18.11.2022, 11:52 Uhr
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Vogt:
Von Jean-Julien Beer

Frau Vogt, Sie sind ein großer Fußballfan. Werden Sie die Spiele der Katar-WM im Fernsehen anschauen?

Kristina Vogt: Ich schaue die WM-Spiele nicht. Und zwar nicht nur aus Zeitgründen. Es geht mir bei dieser Haltung nicht nur um Katar. Ich habe schon seit vielen Jahren weniger Interesse an den internationalen Turnieren der Fifa und der Uefa. Es ist alles langweiliger geworden. Und beim Austragungsort Katar werde ich mir erst recht keine Mühe geben, Zeit für die Spiele freizuschaufeln – selbst wenn Werders Niclas Füllkrug nun dabei ist.

Wir erlebten gerade eine dramatische Weltklimakonferenz in Ägypten und kühlen nun in der Wüste Fußballstadien auf 19 Grad runter. Das wirkt, als lebe der Fußball in einer eigenen Welt…

Ich würde sagen, dass der Profifußball schon sehr lange in einer eigenen Welt lebt. Er hat sich total entfernt von all denen, die diesen Sport eigentlich tragen, nämlich von den Fans. In der Bundesliga werden zweistellige Millionengehälter verdient, in anderen europäischen Ländern hören wir sogar von dreistelligen Millionenbeträgen. Da muss man schlicht sagen: Das hat nichts mehr mit der normalen Welt zu tun. Und was die ökologischen Standards und die Menschenrechte betrifft, was beides in Katar berührt ist, spüren wir jetzt alle: Die komplette WM-Vergabe an Katar war absurd. Es ist skandalös, eine WM in ein Land zu geben, in dem die Gastarbeiter auf den Stadionbaustellen sterben und in dem die Menschenrechte nicht geachtet werden. Aus rein ökologischer Sicht müsste man mit Blick auf Nachhaltigkeit auch andere Sportarten kritisch sehen: Schneekanonen für den Wintersport oder der ganze Formel-1-Zirkus. Da würde ich den Fußball noch nicht mal an der Spitze sehen.

Glauben Sie, dass die Fußballwelt und die Fifa aus dieser skandalösen WM-Vergabe gelernt haben?

Ich bin mir da ehrlich gesagt nicht so sicher – auch wenn der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, Bernd Neuendorf, vor Kurzem gesagt hat, die Vergabekriterien der Fifa für künftige Weltmeisterschaften würden sich mehr an Standards wie Nachhaltigkeit und Menschenrechten orientieren. Aber real passiert dann doch recht wenig, fürchte ich. Am Ende ist das ein großes Business. Wenn ein Fifa-Präsident sogar nach Katar zieht und eine so große Nähe zu den WM-Ausrichtern hat, dann höre ich die Worte von Neuendorf zwar gerne, habe aber Zweifel, ob wirklich Taten folgen.

Die katarische Führung hat uns Deutschen Doppelmoral vorgeworfen. Einerseits bitten wir im Emirat dringend um Gas, andererseits prangern wir die WM an. Ist das Doppelmoral?

Auch wenn man gewisse Dinge in der Politik pragmatisch angehen muss, ist das ein schwieriges Thema. Natürlich haben wir ein Problem mit unserer bisherigen Energiepolitik. Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist bewusst verzögert worden, aus politischen Gründen oder von den Bundesländern im Süden der Republik. Welche Folgen die Abhängigkeit von russischem Gas hat, erleben wir jetzt alle. Trotzdem muss man aufpassen, mit wem man jetzt Verträge macht. Das gilt nicht nur für Katar. Auch ein Bundeswirtschaftsminister, der sonst ganz stark moralische Ansprüche für sich geltend macht, muss sich in dieser Frage bewerten lassen. Die Situation ist für uns in Europa und speziell in Deutschland nicht einfach durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und die Folgen der falsch gesetzten Energieziele. Trotzdem muss man sich gewisse Grenzen setzen, die man nicht überschreiten will. Auch wenn das schwer ist. Ein Geschmäckle hat es natürlich, wenn wir in Katar um Energie bitten. Aber vielleicht kommt man im Moment nicht aus der Nummer raus, das gehört zur Wahrheit dazu. Man muss aber darauf achten, dass man sich nicht wieder einseitig in geopolitische Abhängigkeiten begibt, die man gar nicht will.

In der Bundesliga gab es Diskussionen, wegen der Auslandsvermarktung den deutschen Supercup in Saudi-Arabien auszutragen. Schlagen da zwei Herzen in Ihrer Brust: Die Wirtschaftssenatorin findet es spannend, der Fußballfan grausam?

Zwei Herzen schlagen da überhaupt nicht. Die spanische und die italienische Liga haben dort schon ihren Supercup ausgetragen. Ob man das gut findet, sei dahingestellt, Saudi-Arabien ist ein problematisches Land, nicht nur im Inneren, Saudi-Arabien führt auch Kriege. Ich finde es aber schwierig, immer auf die gesamte arabische Halbinsel zu schauen und zu sagen: Wir sind die Guten und ihr nicht. Denn das stimmt nicht immer. Bei uns ist auch nicht alles Gold, was glänzt – und es gibt arabische Länder, die versuchen, sich anderen Standards zu nähern. Dubai zum Beispiel hat beim Bau der Expo gezeigt, dass man eben nicht so agiert wie Katar. Aber mal weg von der arabischen Welt: Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich mir das Supercupfinale anschauen würde, auch wenn es in Timbuktu oder sonst irgendwo ausgetragen würde – weil ja doch immer Bayern München gewinnt.

In Bremen bewegen Sie sich zwischen zwei Fußballwelten: Sie gehen zu Werder in die Bundesliga und zum Bremer SV in die Regionalliga. Was fasziniert Sie mehr?

Das kann ich gar nicht so einfach sagen. Ich bin seit 1987 bei Werder in der Ostkurve, habe bis zu den Umbauten immer gestanden, heute sitze ich da. Mein erstes Spiel war die historische 1:7-Niederlage gegen Gladbach. Ich war auch beim Abstieg im Stadion, wieder gegen Gladbach. Das war schon skurril. Ich hatte neben Werder immer auch einen anderen Profiklub, vor allem als ich jung war und mehr Zeit hatte: Das war der FC Arsenal in London, wo ich gerne Spiele im alten Highbury-Stadion gesehen habe. Amateurfußball habe ich daneben immer schon gerne gesehen. In Bremen war ich zum Beispiel am Panzenberg, aber auch im Burgwallstadion beim Blumenthaler SV. Wegen der Spiele meines Sohnes kenne ich in Bremen fast jeden Fußballplatz. Profi- und Amateurfußball – das sind zwei Leidenschaften von mir, die man schwer vergleichen kann.

Was sagen Sie zum Aufschwung des Bremer SV?

Ich bin dort 2015 nach langer Absenz eingestiegen. Es ist großartig, was sich dort entwickelt hat. Da gibt es jetzt ganz viel Herzblut und Leidenschaft. Das tut mir als fußballbegeistertem Menschen gut, es tut aber auch dem ganzen Stadtteil Walle gut.

Der Bremer SV ist der Verein ohne Schickimicki. Ist das in Zeiten einer Wüsten-WM und unzähliger Pay-TV-Abos mehr als eine Nische?

Ich glaube schon. Die vergangenen zwei Jahrzehnte haben es den Fans wirklich schwer gemacht, Profifußball zu lieben. Es ist zu viel passiert, wo man auch die Bundesliga-Entscheider nicht richtig ernst nehmen kann. Etwa bei der 50+1-Regel, die einfach nicht auf alle Klubs angewandt wird. So regiert am Ende halt doch Geld die Fußballwelt, auch wenn jetzt mit dem SC Freiburg und Union Berlin mal zwei andere Vereine oben mitspielen. Ansonsten erleben wir aber doch immer diese Langeweile, die ich vorhin beim Supercup beschrieben habe. Die Bayern werden immer Meister. Das ist nicht mehr attraktiv, wenn man nicht schon lange eine große Leidenschaft für einen Verein hat wie zum Beispiel Werder. Ich weiß nicht, ob ich noch Bundesligafußball schauen würde, wenn ich in einer anderen Stadt leben würde. Da bin ich ganz ehrlich.

Wo führt das hin?

Wenn sich im Profifußball nicht etwas ändert, werden das immer mehr Leute so sehen. Das zeigt sich ja beim Bremer SV, wo sich eine tolle Fankultur entwickelt. Vor ein paar Jahren waren wir da mit 50 Zuschauern, davon kam die Hälfte aus dem Verein. Inzwischen gibt es eine große Fanszene mit bis zu 1500 Zuschauern. Das zeigt, dass es ein Bedürfnis nach ehrlichem Fußball gibt. Aber natürlich ist der Amateurfußball auch nicht mehr das, was er in den 90er-Jahren war, als ein Oberligaspieler am Saisonende seinen Führerschein bezahlt bekam. Heute geht es auch da schon um Geld, auch in der Bremen-Liga. Aber auf einem niedrigeren Niveau. Das ist nicht so komplett ungesund wie im Profifußball. Man hat es auch in der Pandemie gemerkt: Die Menschen waren nicht begeistert von den Sonderregeln, die sich der Profifußball sofort erbeten und erkämpft hat. Und obwohl es im Fußball Millioneneinnahmen gibt, standen viele Vereine sofort vor einem Insolvenzproblem, als die Zuschauereinnahmen fehlten. Auch Klubs, von denen man dachte, sie stehen gut da. Das zeigt, dass dieses Geschäft nicht richtig funktioniert. Da kann dann auch nicht immer die Allgemeinheit einspringen. Trotzdem musste man das schützend flankieren, weil es Unternehmen sind. Aber ich habe schon den Anspruch, dass sich dieses Wirtschaften im Fußball ändert. Sicher bekommt der Amateurfußball sonst noch mehr Zulauf. Die Stimmung vieler Leute geht bereits in diese Richtung.

Auch in Bremen?

Der SV Werder genießt hohe Sympathiewerte, auch weit über Bremen hinaus. Das liegt auch daran, dass sich der Verein mit seinem sozialen Engagement abhebt. Das darf Werder auch nie verlieren, das gehört zur Marke. Das ist wichtig, damit sich die Leute damit weiterhin identifizieren können. Trotzdem merke ich, dass es bei vielen Leuten eine zunehmende Abkehr vom Erstliga-Fußball gibt. Die vergangene Saison war doch total spannend: In der zweiten Liga wird zwar auch viel Geld umgesetzt, aber es spielen mehr Traditionsvereine dort. Ich war nicht die Einzige, die diese 2. Liga attraktiv fand.  Auch wenn der Aufstieg wirtschaftlich natürlich wichtig war – das Weserstadion war auch in der 2. Liga oft voll. Erstliga-Gegner wie Wolfsburg oder Hoffenheim füllen die Gästeränge nicht.

Werder ist sportlich wieder erfolgreich, aber durch Abstieg und Pandemie wirtschaftlich unter Druck geraten. Wo ist für Sie eine Grenze, die bei der Einnahmen-Optimierung nicht überschritten werden darf: beim Verkauf von Stadionanteilen oder beim Einbinden eines Investors?

Ohne Investoren wird Profifußball dauerhaft nicht funktionieren. Da ist aber die entscheidende Frage: Wer passt zum Verein? Investoren komplett wegzudenken, das wäre naiv. Ohne Sponsoren geht es auch nicht. Man muss aber die richtige Balance finden. Nicht ohne Grund habe ich nach Werders Abstieg gesagt, dass ich von den Bremer Unternehmen erwarte, dass sie den Verein nicht im Regen stehen lassen. Werder gibt dem ganzen Bundesland Bremen sehr viel Sichtbarkeit. Wichtig ist: Werder ist kein Verein, bei dem sich ein Milliardär einkaufen könnte und dann macht, was er will. Daran würde Werder kaputtgehen. Das weiß der Verein auch. Beim Stadionverkauf bin ich komplett skeptisch: Das Stadion gehört zur Hälfte der Stadt und zur Hälfte Werder. Das verkauft man nur ein Mal. Werder müsste sich dann dauerhaft einmieten und wäre durch die Pflichtspiele zu Hause in einer totalen Abhängigkeit. Man weiß außerdem nie, ob ein Käufer nach so einem Deal das Stadion weiterverkauft. Haben wir dann am Ende jemanden aus Abu Dhabi, dem das Weserstadion gehört? Das sehe ich sehr kritisch, weil ich den Mehrwert für den Verein nicht sehe.

Das Gespräch führte Jean-Julien Beer.

Zur Person

Kristina Vogt (57) von den Linken ist seit 2019 Bremens Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa. Sie geht als Fußballfan seit Jahren in verschiedenste Stadien, in Bremen ist sie Aufsichtsrätin der Weserstadion GmbH.

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