Die Wüste lebt. Zum zweiten Mal nach 2008 kehrt die Super-Bowl-Karawane in die Western-Metropole Phoenix in Arizona zurück. Während die Fans erst langsam in die Metropolregion einsickern, wird es für die Spieler der New England Patriots und der Seattle Seahawks ernst.
Dass der Super Bowl bevorsteht, lässt sich immer gut daran ablesen, dass ein neuer Skandal durch die Medien rauscht. Im Vorfeld der 49. Ausgabe am Sonntag ist es das sogenannte Deflategate. Beim Championship-Game zwischen den New England Patriots und den Indianapolis Colts sollen die Bälle der Patriots zu wenig Luft gehabt haben, was dem Team aus Boston vorgeblich einen Vorsprung verschaffte. Das Ganze scheint sich aber eher als heiße Luft herauszustellen. Patriots-Besitzer Robert Kraft gab eine emotionale Ehrenerklärung für seinen legendären Trainer Bill Belichick und Star-Quarterback Tom Brady ab und forderte eine Entschuldigung der Liga. Für die Spieler ist die Sache abgehakt – aus dem Skandal ist die Luft raus.
Sehr zur Freude von Sebastian Vollmer. Der 30-jährige gebürtige Düsseldorfer erlebt seinen ersten Media Day. Während bei dem zweistündigen Interview-Spektakel (je eine Stunde für beide Finalisten) die Topstars eigene Podien haben, sucht sich der restliche Kader einen Platz im Meer der rund 2500 anwesenden Journalisten. Sebastian Vollmer läuft einmal durch die Halle und bleibt dann stehen – wie ein Fels in der Brandung. Der 2,03 große Right Tackle, der als Bodyguard von Tom Brady in dieser Saison ganz besonders brillierte, ist sofort umringt von einer Traube internationaler Frager.
Bei seinem ersten Super Bowl 2012 in Indianapolis (17:21 gegen die New York Giants) verpasste Vollmer den Media Day wegen einer Magenverstimmung. Dass die hektische Atmosphäre in dem prallvollen Frage-Gefängnis so gar nicht dem ruhigen Charakter des Deutschen entspricht, lässt er trotz professioneller Kühle erahnen. „So einen Medientrubel hat man nicht alle Tage, das Interesse ist ja schon riesengroß, insofern ist das schon gut zu erleben“, sagt Vollmer dem WESER-KURIER. Dass die Fans seit ein paar Jahren beim Media Day für 28,50 Dollar zuschauen dürfen und ordentlich für Lärm sorgen, was die massenhaften Interviews nicht einfacher gestaltet, „beeinflusst uns als Spieler ja nicht; so ist es halt“, meint Vollmer und kann froh sein, dass er das Gejohle, Gedrängel und Geschubse nur aus der Vogelperspektive wahrnimmt.
Vollmer, der seine Footballer-Laufbahn bei den Düsseldorf Panthern begann und dann über ein College in Texas zu den Profis der Patriots kam, wird in der NFL hoch geschätzt und galt in dieser Saison als der beste „Leibwächter“ eines Quarterbacks. So lobt Tom Brady ihn denn auch in den höchsten Tönen – nicht ohne Sebastian, der den Spitznamen „Sea Bass“ (Wolfsbarsch) trägt, etwas zu necken: „Sebastian hat ja einen gänzlich anderen Football-Hintergrund als wir. Er ist vermutlich der größte und kräftigste lebende Deutsche. Er ist ganz besonders wichtig für mich und das Team, weil er meine rechte Seite abdeckt und beschützt. Er hatte eine tolle Saison, er ist ein großartiger Spieler: intelligent, diszipliniert, zäh und fleißig. Ich bin wirklich froh, ihn an meiner Seite zu haben.“
Auch Trainerlegende Bill Belichick, sozusagen der Alex Ferguson des American Football, lobt Vollmer, der als erster Deutscher den Super Bowl gewinnen könnte. „Es gibt wohl niemanden, der härter arbeitet. Er hat Tom Brady sowohl links wie rechts beschützt. Sebastian ist einer unserer beständigsten Spieler.“
Dem so gelobten Deutschen ist der ganze Trubel eher unangenehm. Er steht nicht so gern im Fokus der Öffentlichkeit. Sein Job ist es, die Gegner Bradys beiseitezuräumen. Und dem Team zu dienen: „Für mich spielt es keine Rolle, wo ich herkomme. Als Sportler möchte ich natürlich gewinnen. Aber mit der Herkunft hat das für mich persönlich nichts zu tun.“
Seine Fans in Deutschland müssen in Zukunft vielleicht weniger weit reisen, um Vollmer spielen zu sehen. Die NFL hat offensichtlich konkrete Pläne, innerhalb der nächsten fünf Jahre ein Team in London anzusiedeln. So befasse man sich schon mit Detailfragen wie Spielplänen, schreibt D. Orlando Ledbetter, Präsident des mächtigen Sportjournalistenverbands „Professional Football Writers of America“. Dass Ledbetter dies im offiziellen Programmheft des Allstargames Pro Bowl tat, kurz hinter dem Vorwort von Ligaboss Roger Goodell, verdichtet das Gerücht fast schon zur Realität.
Auch Vollmer kann sich das durchaus vorstellen. „Bisher haben wir zweimal in London gespielt. Das war toll. Ein volles Wembleystadion. Aber zu den Details kann ich als Spieler natürlich nichts sagen.“ Doch London ist im Moment ganz weit weg. Es geht um Vollmers ersten Ring am Sonntag – und um Tom Bradys vierten. Dafür geben die Patriots alles. Und kriegen vor lauter Training kaum mit, dass die Wüste lebt.