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Bremer Talente: Für Spartak Grigorian ist Schach eine Mischung aus Hobby, Sport und Kunst Zug um Zug

Bremen. „Fußball ist wie Schach – nur ohne Würfel“ soll Lukas Podolski einmal gesagt haben. Tatsächlich entstammt dieses berühmt-berüchtigte Zitat jedoch Jan Böhmermanns Feder und wurde dem Fußballer zu Unrecht in den Mund gelegt.
27.10.2017, 00:00 Uhr
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Von Sebastian Krüger

Bremen. „Fußball ist wie Schach – nur ohne Würfel“ soll Lukas Podolski einmal gesagt haben. Tatsächlich entstammt dieses berühmt-berüchtigte Zitat jedoch Jan Böhmermanns Feder und wurde dem Fußballer zu Unrecht in den Mund gelegt. Dass Schach in jedem Fall nichts mit Glück oder Zufall zu tun hat, beweisen junge Talente wie Spartak Grigorian.

„Schach ist für mich eine Mischung aus Hobby, Sport und Kunst“, sagt der 19-Jährige. Seine Karriere begann er im zarten Alter von sechs Jahren im Schachclub Wildeshausen. „Ein starker Verein“, wie er rückblickend sagt, „aber nicht so stark wie Werder.“ 2015 wechselte er schließlich zum Bremer Erstligisten. Damals war er bereits deutscher Jugendmeister, wie er bescheiden erwähnt.

Neu sei die Umgebung für ihn nicht gewesen, er habe vorher schon oft in Bremen gespielt. „Man kennt sich untereinander“, sagt er. Werder sei für ihn mit Abstand die stärkste Mannschaft in der Region. Und da er stetig nach größeren Herausforderungen sucht, war klar, wo es hingeht. „Man muss sich ja als Spieler weiterentwickeln, und das geht am besten bei Werder.“

Über seinen aktuellen Verein ist Grigorian sehr glücklich. „Die Bedingungen bei Werder sind sehr gut“, sagt er. Die Schachspieler hätten dort ein schönes Spiellokal, die Atmosphäre in den Teams sei gut, die Organisation top. Es ist nicht der einzige Vorzug seiner sportlichen Heimat: „Im Weserstadion zu spielen, ist wirklich toll. Besonders, wenn man selbst Werderfan ist“, sagt er mit hörbarem Stolz und fühlt sich dabei in seiner grünen Trainingsjacke sichtlich wohl.

Das Hans-Wild-Turnier im September gewann Grigorian gemeinsam mit seinem Vereinskollegen Sven Charmeteau. Aktuell spielt Grigorian in der 2. Bundesliga. In den zwei bisherigen Spielen der Saison 2017/18 gegen Kiel und Rüdersdorf sicherte er je ein Remis für sein Team. Sporadisch wird er auch schon in der 1. Bundesliga eingesetzt.

Die Spielregeln habe er von seiner Großmutter gelernt. Seine ganze Familie spiele Schach, sagt er. Seine Eltern seien mit seinen beiden älteren Geschwistern früher häufig zum Spielen im Verein gewesen, allerdings ohne ihn. „Ich war ihnen zu jung“, sagt er und lacht. Einmal habe seine Familie den Schachtrainer zu sich nach Hause eingeladen. „Und der hat mir gesagt: Das Alter ist egal, jeder kann Schach spielen.“

Frühe Erfolgserlebnisse

Fortan habe er mitspielen dürfen und bereits schnell Erfolge feiern können. „Besonders habe ich es genossen, meine älteren Geschwister zu schlagen“, sagt er und grinst. Das Tolle an Schach sei für ihn, dass er als Achtjähriger bereits gegen Spieler über 50 gespielt und gewonnen habe. „Wenn man so ein Spiel gewinnt, sieht man, was im Schach alles möglich ist“, sagt er. „Schach ist wirklich für alle.“

In Armenien, der Heimat seiner Eltern, sei Schach der Volkssport Nummer eins, erzählt Grigorian. Armenien als schachverrückt zu bezeichnen, wäre in der Tat noch eine Untertreibung: 2011 wurde Schach als Pflichtfach in den Lehrplan für Schüler der zweiten bis vierten Klassenstufe eingeführt. Späteren Klassenstufen steht regelmäßiger Schachunterricht offen. In wohl kaum einem anderen Land auf der Welt spielen so viele Menschen auf einem hohen Niveau Schach wie in dem nicht einmal drei Millionen Einwohner zählenden Land am Kaukasus.

Wie viele junge Sportler hat auch Grigorian Vorbilder: Garri Kasparov, durchgän­giger Schachweltmeister von 1985 bis 2000, und Levon Aronjan. Letzterer ist Armenier und die momentane Nummer zwei in der Weltrangliste. „An ihm orientiere ich mich und schaue mir auch mal was bei ihm ab“, sagt Grigorian mit einem Funkeln in den Augen.

Viele Menschen, die er trifft, würden Schach nicht als Sport betrachten und die Zeit und die Mühe unterschätzen, die Grigorian in sein Spiel investiert. Er absolviert ein duales Studium im Bereich Logistikmanagement und hat ohnehin schon eine volle Woche. Nach der Arbeit trainiere er momentan etwa eine halbe Stunde, am Wochenende drei bis vier Stunden am Tag. Während der Schulzeit habe er mehr Zeit zum Trainieren gehabt. „Schach ist viel Selbststudium“, sagt er, „wir benutzen zur Übung auch Schachbücher und Schachcomputer.“

Turniere seien sehr anstrengend und zeitintensiv. „Man kann nicht einfach hingehen und drauflosspielen“, sagt er. Wenn an einem Sonnabend etwa ein Spiel ansteht, könne er Freitagabend nicht viel unternehmen. „Man braucht ausreichend Schlaf und muss sich ­vorbereiten“, sagt er. Die Vorbereitung fällt umfangreich aus: Alle Gegenspieler müssten intensiv studiert werden – ihre Spielweise, ihre häufigsten ­Eröffnungen, ihre Stärken und ihre Schwächen. Wie in anderen professionell ausgeübten Sportarten nehmen taktische Analysen auch im Schach viel Raum ein.

Auf Turnieren stehe in der Regel ein Spiel am Tag an, das im Schnitt etwa vier Stunden gehe. Jedoch könne die Partie auch mal länger dauern. Sein erstes Turnier habe er mit sechs Jahren bestritten, im Schnellschach, wo jeder Spieler insgesamt 20 Minuten Zeit für alle Züge hat. Ein reguläres Spiel wäre in dem Alter wohl zu viel gewesen, sagt er.

Die begrenzte Spielzeit sei jedoch lehrreich für ihn gewesen. „Wenn man schon als Kind das Zeitmanagement lernt, spielt man besser“, sagt er, bei Zeitdruck entstünden Fehler. Interessierten rät er, regelmäßig zu spielen und schnell an Wettkämpfen teilzunehmen. Die Bedingungen eines Turnieres sollte man seiner Meinung nach schnell schon früh erfahren.

Trainingsspiele ohne Figuren

Neue Spieler bräuchten Neugierde, ein gutes Gedächtnis sowie viel Konzentrations- und Vorstellungsvermögen, sagt Grigorian. Wie viel die Profis von diesen Eigenschaften besitzen, zeigt sich an seiner Trainingsroutine: „Wir trainieren ganz viel Blindschach“, sagt er. Dabei spielen beide Spieler ohne Figuren auf dem Brett, sondern stellen sich das gesamte Spiel im Kopf vor. Zug für Zug, bis zum Ende der Partie. Auch Taktikaufgaben würden er und seine Mitspieler regelmäßig im Kopf lösen.

Ein Blick auf die Zahlen verrät, wie komplex das Spiel sein kann: Der Spieler mit den weißen Figuren hat 20 Möglichkeiten, eine Partie zu eröffnen. Mit den 20 möglichen Antworten von Schwarz multipliziert gibt es also 400 mögliche Eröffnungszüge beider Spieler für ein Spiel. Während des zweiten Zuges steigt die Anzahl der möglichen Züge auf sagenhafte 72 084.

Der Mathematiker Claude Shannon errechnete die Gesamtanzahl aller möglichen Schachstellungen. Um diese Zahl darzustellen, verwendet man eine Eins mit 120 Nullen. Einige Mathematiker geben an, die Anzahl aller möglichen Schachstellungen sei damit größer als die Anzahl der Atome im beobachtbaren Universum. Ganz so weit muss man zum Glück nicht denken können, um Schach zu spielen und dabei Spaß zu haben.

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