Den gesamten Tag lang hatte es genieselt, und in Walle hatte man stirnrunzelnd gen Himmel geschaut. Doch die Sorgen waren unbegründet. Die Gäste ließen die Veranstalter nicht im Regen stehen. Der Bremer Sportverein von 1906 hatte am Vorabend des vierten Advents zum Weihnachtssingen in sein Stadion am Panzenberg eingeladen. Es wurde ein mindestens zweitausendstimmiger Chor, wie ihn Bremen noch nicht gesehen hat. Bei diesem Anblick war der BSV-Vorsitzende Peter Warnecke fast sprachlos.
„Fassungslos“, sei er, gestand der Vorstand des Waller Fußballklubs in seinen Eröffnungsworten, „mir läuft es gerade eiskalt den Rücken hinunter.“ Was er zu sehen bekam, war eine Kulisse von Zuschauern, die die gesamte Tribüne ausfüllte und mit Hunderten von Kerzen erleuchtete. „Das ist einer der weihnachtlichsten Momente dieser Adventszeit“, schwärmte auch Radio Bremen Vier-Moderator Olaf Rathje, der das Mikrofon übernahm. Sein Kollege Roland Kanwicher wärmte anschließend die Stimmbänder der Zuschauer mit diversen Übungen auf. Menschen aller Generationen – vom Säuglings- bis zum Seniorenalter, Familien, Nachbarn, Freundeskreise – waren gekommen, um im festlich beleuchteten Stadion gemeinsam Weihnachtslieder zu singen.
Auf dieses weihnachtliche Beisammensein hatte sich auch Katja Rinkus aus der Bremer Neustadt gefreut, die mit ihren drei Kindern zum ersten Mal auf den Panzenberg gekommen war und bei der Ankunft versprach: „Wir werden kräftig mitsingen.“ Sabine Frenzel hatte mit ihren beiden Töchtern sogar die Anfahrt aus dem Umland auf sich gekommen. „Zusammen singen ist klasse“, erklärte die Ritterhuderin. „Man hört dann auch gar nicht, wenn jemand falsch singt“. Musikalisch geübte Begleitung gab es durch das Posaunenwerk sowie den gemeindeübergreifenden Kirchenchor der Bremer Evangelischen Kirche. Als Verstärkung hatten die Organisatoren auch Gospelmusiker Chris Lass ins Stadionboot geholt.
Emotionen und Zusammenhalt
Von der Tribüne schien es tatsächlich so lieblich herunterzuschallen, dass das Moderatorenduo die Sängerinnen und Sänger kräftig lobte und nach jedem Lied ermutigte, sich selbst zu bejubeln. Auf dem Programm stand auch die biblische Weihnachtsgeschichte aus dem Lukas-Evangelium. Anschließend wurden die Gäste mit vielen guten Weihnachtswünschen in die „Stille Nacht, Heilige Nacht“ entlassen – oder zum gemütlichen Beisammensein bei heißem Glühbier, Bratwurst und Butterkuchen auf dem kleinen Weihnachtsmarkt im gegenüberliegenden Bereich des Stadions.

Beim Weihnachtssingen auf dem Panzenberg wurden die Gäste musikalisch vom Posaunenwerk und einem Kirchenchor unterstützt.
In einem Fußballstadion, in dem Emotionen und Zusammenhalt zuhause sind, ein Weihnachtssingen zu veranstalten: Diese Idee ist Fans des Zweitligisten 1. FC Union Berlin zu verdanken. Im Jahr 2003 trafen sich 89 Vereinsmitglieder heimlich im Stadion, um sich mit festlicher Inbrunst den Frust über eine erfolgsarme Saison von der Seele zu singen. Mittlerweile ist das Weihnachtssingen im Köpenicker Stadion An der Alten Försterei eine Kultveranstaltung: Die 28 500 Eintrittskarten waren in diesem Jahr innerhalb von acht Stunden verkauft. „Meine Berliner Verwandtschaft erzählt mir seit Jahren davon“, sagte Tore Felgendreher, der den BSV seit einem Jahr bei seinem Marketing unterstützt. Als er dem Vorstand vorgeschlagen habe, so etwas doch auch einmal auszuprobieren, „da waren wir erst mal alle skeptisch”, erzählt Peter Warnecke. „Wir dachten, wenn 500 Leute kommen, dann wäre das schon sehr gut”, erklärt Beisitzer und Stadionsprecher Franz Roskosch.
Dass diese Zahl bereits innerhalb der ersten Vorverkaufswoche übertroffen wurde und letztendlich wohl mindestens vier Mal so viele Menschen die Einladung auf den Panzenberg annahmen, wird für zwei Vorstandsmitglieder noch Konsequenzen haben. Die beiden namentlich nicht genannten Kollegen ließen sich laut Roskosch nämlich auf eine wagemutige Wette ein: „Sie sagten: Wenn mehr als 500 Leute kommen, laufen wir nackig übers Spielfeld.”
Wenn in den kommenden Tagen etwas mehr Ruhe eingekehrt ist, wird der Vorstand Bilanz ziehen. Was Dank diverser Sponsoren übrig geblieben ist, soll der Jugendarbeit des Vereins zugutekommen. Gezählt wird auch der Inhalt der Spendendosen, in denen der WESER-KURIER für seine gemeinnützige Weihnachtshilfe gesammelt hat. Doch ein Fazit kann Franz Roskosch schon jetzt ziehen: „Das machen wir wieder!”