"Es ist eng", sagt Michael Pleus. Mit Sorge blickt der Kreisgeschäftsführer des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Delmenhorst und Heimleiter des Rote-Kreuz-Stifts auf die Entwicklungen der vergangenen Monate zurück. Neben der ohnehin angespannten Personalsituation sind es die enorm gestiegenen Kosten auf breiter Front, die seine Pflegeeinrichtung – sowie viele andere Heime deutschlandweit – in die Bredouille bringen. Dabei geht es längst nicht nur um die explodierten Energiepreise. "Bei Lebensmitteln haben wir eine Steigerungsrate von 25 Prozent, bei pflegerischen Sachkosten sind es mehr als 100 Prozent", berichtet Pleus.
Normalerweise handeln die Pflegeheimbetreiber einmal im Jahr mit den Pflegekassen und Sozialhilfeträgern ein festes Budget für die kommenden zwölf Monate aus. "Im Nachgang kann man nicht sagen, es hat nicht gepasst", erklärt Pleus. Normalerweise funktioniere dies gut. Doch die derzeitigen Preisverwerfungen an den Märkten sind nicht normal. Wer im Herbst vergangenen Jahres seine Pflegesatzverhandlung geführt hat, hat die Preise für Energie und Lebensmittel deutlich zu niedrig angesetzt. Dessen ist sich auch die niedersächsische Pflegesatzkommission bewusst – und hat reagiert. In einem Schreiben vom 31. August wird erklärt: "Die Steigerungen waren nicht vorhersehbar." Und so hat die Kommission beschlossen, "diese Ausnahmesituation partnerschaftlich und möglichst unbürokratisch zu lösen". Drei Handlungsoptionen stellt sie den Einrichtungen zu Wahl (siehe Kasten).
Dass Niedersachsen als bisher einziges Bundesland eine derartige Regelung erlassen hat, begrüßt Axel Stellmann, Leiter des Stephanusstifts in Delmenhorst. "Aber der Teufel steckt im Detail", sagt er und verweist beispielhaft auf eine Zusatzklausel bei der zweiten Varianten, der Härtefallregelung. So darf diese nur genutzt werden, wenn die bestehende Pflegesatzvereinbarung noch mindestens vier Monate läuft. "Pflegekassen haben nichts zu verschenken. Man muss sehen, was am Ende dabei herauskommt", zeigt sich Stellmann skeptisch. Welche der drei Varianten das Stephanusstift letztlich nutzen wird, steht derzeit noch nicht fest.
Bewusstes Energiemanagement
Bei der Seniorenresidenz Delmenhorst ist die Entscheidung indes bereits gefallen, und zwar auf die Variante drei. "Zum 1. Oktober hat das Land Niedersachsen eine pauschale Erhöhung der Kosten für Unterkunft und Verpflegung genehmigt", berichtet Einrichtungsleiter Frank Schröder. Denn im Bereich Personal hatte die private Einrichtung, die über 105 stationäre Pflegeplätze verfügt und derzeit noch im Belegungsaufbau ist, erst zum 1. September ihre Pflegesatzverhandlung geführt. Obwohl die Seniorenresidenz, die zu den Mediko Pflege- und Gesundheitszentren in Hannover gehört, noch jung ist, sieht sie sich dank eines stabilen Trägers gut aufgestellt. Durch bewusste Energiemanagement werde zudem versucht, die erhöhten Kosten zu optimieren. So sei die Seniorenresidenz Delmenhorst bereits vollumfänglich auf energiesparende LED-Beleuchtung umgestellt. Flure, öffentliche Bereiche sowie Badezimmer seien mit Bewegungsmeldern ausgestattet. Durch das eigens betriebene Blockheizkraftwerk könne die Einrichtung nahezu 100 Prozent ihres Wärmebedarfes selbst erzeugen. Nichtsdestotrotz erwartet Schröder ab Januar kommenden Jahres massive Preiserhöhungen von bis zu 350 Prozent. Von der Politik würde sich Frank Schröder eine Verlängerung des Pflegerettungsschirmes wünschen, der zum 30. Juni ausgelaufen ist.
Anders als die Seniorenresidenz hat sich das Rote-Kreuz-Stift in Delmenhorst nicht für die dritte, sondern erste Varianten der Pflegesatzkommission entschieden. "Wir sind gerade dabei, zum 1. November zu verhandeln", erklärt Michael Pleus. Die Bewohner und ihre Angehörigen seien vor einigen Tagen in einem entsprechenden Schreiben darüber informiert worden. In welcher Größenordnung die Eigenanteile steigen werden, wollte der Heimleiter nicht verraten: "Das ist unterschiedlich. Man muss immer den Einzelfall betrachten." Dass die Bewohner letztlich die Leidtragenden sind, bedauert Pleus. Doch habe die Einrichtung keine andere Wahl, als die gestiegenen Kosten weiterzugeben. "Wir können nicht sagen, dass wir einen nicht-auskömmlichen Betrieb machen", merkt der Heimleiter an. Zwar habe die Einrichtung keine Gewinnerzielungsabsicht. "Aber wir müssen kostendeckend arbeiten", betont er. Würde das Rote-Kreuz-Stift nicht gut arbeiten, gebe es laut Pleut das DRK in Delmenhorst nicht mehr.
Kosten eins zu eins weitergeben
Auch das Stephanusstift hegt keine Gewinnerzielungsabsicht. "Wir bereichern uns nicht", betont Axel Stellmann. Die Einrichtung versuche, die Kosten eins zu eins weiterzugeben. Im Moment sei der Handlungsdruck noch nicht übermäßig hoch. Dank eines langfristigen Vertrags bis 2024 mit gutem Preis gebe es beim Gas bisher noch keine Steigerungen. "Vielleicht auch noch nicht", räumt er ein. Anders sehe dies beim Strom aus, wo der Vertrag zum Jahresende ausläuft. "Wir rechnen hier mit Steigerungen von 300 Prozent", verrät Stellmann. Darüber hinaus erwartet er im kommenden Jahr auch an anderer Stelle massive Erhöhungen. So werde der stark angehobene Mindestlohn auch seine Einrichtung treffen, beispielsweise bei Reinigungskräften oder dem Wäscheservice. "Hier sind wir ganz schnell bei 20 Prozent", sagt er. Zudem müssten tarifliche Steigerungen eingeplant werden.
Axel Stellmann ist sich sicher: "Auf die Bewohner kommen schnell einige 100 Euro mehr im Monat zu." Seine Befürchtung ist, dass die Rente dann für die meisten nicht mehr ausreichen wird: "Bewohner werden ergänzende Hilfe beantragen." Das sei nicht im Sinne des Gesetzgebers. Für Stellmann steht fest: "Die Pflegeversicherung ist falsch finanziert. Es muss dringend eine große Reform her." Sozialpolitisch sei dies wichtig. "Denn wir zahlen das alle", sagt Stellmann. Pflege als Armutsfalle – das dürfe nicht sein.