Um die Ansiedlung des französischen Sportartikelhändlers Decathlon im Ochtumpark in Stuhr-Brinkum war jahrelang gerungen worden. Die Stuhrer Gemeindeverwaltung gab dann zwar grünes Licht und erteilte eine Baugenehmigung, doch nun, knapp zwei Jahre nach der Eröffnung der Brinkumer Filiale, ist gerichtlich entschieden worden: Die Baugenehmigung hätte niemals erteilt werden dürfen.
"Es ist gut, dass jetzt mal entsprechend entschieden wurde", sagte Julian Flocke, Eigentümer von Leder Strudthoff und Sporthof an der Langen Straße am Montag auf Nachfrage unserer Redaktion, "Stuhr hat sich viele Jahre lang wie ein gallisches Dorf aufgeführt." Damit der Sportfachmarkt in Brinkum eröffnet werden konnte, hatte Stuhr eigenhändig seine Sortimentsliste entsprechend überarbeitet und kurzerhand die Innenstadt-relevanten Sortimente so beschnitten, dass dem Bau auf der Grünen Wiese nichts mehr entgegenstand. Zwar gab es bereits im Vorfeld Kritik, auch vom Kommunalverbund Bremen/Niedersachsen, der eigentlich Einvernehmen zwischen den Kommunen im Bremer Umland herstellen soll. Ein Regionales Zentren- und Einzelhandelskonzept Region Bremen (RZEHK) sollte den innerstädtischen Einzelhandel im gesamten Verbandsgebiet stärken. Doch von den 28 Mitgliedskommunen im Kommunalverbund hatten vier nicht unterschrieben: die Gemeinden Stuhr und Harpstedt, die Stadt Wildeshausen und der Flecken Ottersberg.
Mit Verweis auf eben jene fehlende Unterschrift unter dem RZEHK konnte der Stuhrer Gemeinderat den Bebauungsplan beschließen, der die Ansiedlung von Decathlon erlauben sollte – dachte man jedenfalls. Und noch im vergangenen Jahr sah es so schlecht nicht aus für die Stuhrer. Denn Delmenhorst hatte zwar sofort ein Normenkontrollverfahren angestrengt, weil bezweifelt wurde, dass ebenjener Bebauungsplan rechtmäßig aufgestellt wurde. Doch das Verwaltungsgericht Hannover hatte die Delmenhorster Klage vor einem Jahr noch abgeschmettert, Stuhrs Bürgermeister Stephan Korte (SPD) sah sich im Recht. Umso überraschter war er nun am Freitag, nachdem die höhere Instanz in Lüneburg der klagenden Stadt Delmenhorst in weiten Teilen zugestimmt hat. Überrascht war auch Flocke: "Ich freue mich für die Stadtverwaltung, dass sie vor Gericht auch mal Erfolg hat." Außerdem habe die Stadtverwaltung gezeigt, dass ihr der Einzelhandel in der Innenstadt nicht egal sei, sie habe gekämpft und am Ende gewonnen, so Flocke weiter.
Urteil mit bundesweiter Beachtung
Die Folgen des Urteils seien bislang allerdings schwer abzuschätzen: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Decathlon-Filiale nun abgerissen wird", sagte der Sprecher der Innenstadt-Kaufleute Christian Wüstner auf Nachfrage. Zwar hat das Gericht den Bebauungsplan für rechtswidrig erklärt und eine mögliche Revision vor dem Oberverwaltungsgericht ausgeschlossen, doch die Baugenehmigung sei in der Rechtssache dermaßen bedeutend, dass man ein abschließendes Urteil dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig überlassen könne. Denn sollte die Baugenehmigung tatsächlich rechtswidrig erteilt worden sein, müsste aus der Erfahrung eine Abrissanordnung kommen. Doch Decathlon müsste dann Entschädigungsansprüche geltend machen können, sie waren schließlich im Glauben, eine hoheitlich erteilte Baugenehmigung sei auch rechtsgültig. Für Julian Flocke wirft das Gerichtsurteil ein miserables Licht auf die Stuhrer Wirtschaftsförderung: "Dort würde ich mich als Kaufmann nicht mehr niederlassen wollen, ich weiß ja nicht, ob ich dort überhaupt im Rahmen der Gesetze handle." Es sei viel Vertrauen zerstört worden, das man den politischen Rahmenbedingungen ja sonst entgegenbringe, so Flocke.
Für die beiden Kaufleute Flocke und Wüstner zeigt das Urteil, dass eben doch miteinander gesprochen werden müsse, dass solche Alleingänge wie im Ochtumpark problematisch seien. "Die Bremer Innenstadt blutet aus, die Delmenhorster Innenstadt hat Probleme, es ist doch klar, dass ein immer größer werdendes Outletcenter nicht gut für die Innenstädte ist", sagte Wüstner. Doch einen baldigen Abriss des Streitfalls Decathlon wolle er nicht herbeisehnen: "Es tut mir um die dortigen Mitarbeiter leid – und über die Ressourcen, die für Bau und Abriss verbraucht werden, müssen wir gar nicht sprechen."
Die Delmenhorster Oberbürgermeisterin Petra Gerlach (CDU) glaubt unterdessen, dass das gesprochene Urteil richtungsweisend sein und bundesweite Beachtung erfahren werde. "Aus Sicht der Stadt Delmenhorst sollten zunächst die Urteilsbegründung und die Rechtskraft der Entscheidung abgewartet werden", sagte Gerlach auf Nachfrage. In Brinkum geht das Geschäft vorerst unverändert weiter.