Wie viele Menschen sind in der Identitären Bewegung Deutschland (IBD) derzeit aktiv?
Andreas Speit: In Deutschland sind es etwa 500 Personen, in Österreich um die 300, die den harten Kern dieser Bewegung ausmachen. In Niedersachsen werden 50 Personen diesem Spektrum zugerechnet.
Wer sind die Strippenzieher bei der IBD?
Die IBD ist ganz eng mit dem „Institut für Staatspolitik“ um den Publizisten Götz Kubitschek verwoben. Sie ist auch Teil der sogenannten „Neuen Rechten“, die sich weniger der parlamentarischen Auseinandersetzung widmen, sondern versuchen, im vorpolitischen Raum Meinung zu machen und Stimmung zu erzeugen. Das heißt nicht, dass sie keine parlamentarischen Kontakte haben. Ihr Arbeitsschwerpunkt liegt darin, Aktionen zu initiieren, um so ihre Propaganda voranzutreiben.
In Niedersachsen konnte man sehr genau beobachten, dass die Grenzen zwischen dem rechtsextremen und dem rechtspopulistischen Milieu fließend sind. Die IBD hat in Niedersachsen sehr enge Kontakte zum Jugendverband der AfD gehabt. Dieser hat selber die Notbremse gezogen und den Verband aufgelöst. Ganz enge Beziehungen bestehen zwischen der IBD und der AfD in Bremen. Auch dort wurde mittlerweile die Notbremse gezogen, da die AfD befürchtet, vom Verfassungsschutz beobachtet zu werden. Bei der IBD ist dies ja mittlerweile auch der Fall.
Ist die IBD in Niedersachsen in jüngerer Zeit durch Straftaten aufgefallen?
Sie sagen immer, sie seien gewaltfrei, aber wenn man genau hinguckt, sind sie nicht nur eine „Jugend ohne Migrationshintergrund“, wie ein Werbespruch von ihnen lautet, sie bereiten sich immer wieder auf den körperlichen Kampf vor. Die niedersächsischen Identitären haben vor Kurzem ein Video über eines ihrer Seminare online gestellt. Dort sind permanent Sport- und Kampfübungen zu sehen. Dass sie am Tisch sitzen und zusammen über Texte diskutieren, kommt nur am Rande vor.
In der Bundesrepublik gibt es zwei markante Vorfälle: In Halle sind Identitäre aus einem Haus, das die IBD als Zentrum mitnutzen kann, losgestürmt und haben zwei Menschen angegriffen, in der Annahme, es seien junge Antifaschisten. Es waren aber zwei Zivilbeamte der Polizei. Ein weiterer Vorfall hat in Lübeck stattgefunden, wo ein junger Antifaschist und drei Identitäre aneinander geraten sind. Der Antifaschist hat zuerst zugeschlagen, worauf er dann aber mit Messern mehrfach verletzt worden ist. Die drei Identitären haben geschwiegen, weshalb es nur ein Verfahren gegen den antifaschistischen Jugendlichen gab. Aber da merkt man eben auch: Dieses Trainieren der Gewalt wird dann auch umgesetzt. Es nicht so, dass das nur so ein Posen ist.
Die österreichische Tageszeitung „Der Standard“ berichtete über eine Verbindung der Identitären zu russischen Think Tanks. Wodurch ist diese Verbindung zu erklären?
Diese Verbindung ist ideologisch begründet. Die IBD bezieht sich – wie die gesamte „Neue Rechte“ – auf das Spektrum der „Konservativen Revolution“. Diese Theoretiker der 1920er- und 1930er-Jahre waren zutiefst antidemokratisch und antiliberal: Ernst Jünger, Carl Schmitt, Arthur van den Bruck, um nur drei Namen zu nennen, haben schon damals immer wieder den Blick nach Osten geworfen. Die Annahme in ihrer Logik ist, dass die deutsche Seele tief mit der russischen verwandt sei. Das ist rechtsextremes Denken, das ist völkischer Nationalismus. Auf dieser Ebene gibt es dann auch immer wieder Austausch auf Konferenzen und in Publikationen, man bezieht sich dabei aufeinander.
In der Öffentlichkeit grenzt sich die IBD mehr oder weniger strikt von nationalsozialistischem Gedankengut ab. Ist das mehr pro forma oder ist das ideologisches Denken?
Tatsächlich versucht die gesamte „Neue Rechte“ diese Abgrenzung. Mitte der 1960er-Jahre haben sie gemerkt, aus dem Schatten des Nationalsozialismus heraustreten zu müssen, da sie sich sonst gesamtpolitisch in der Mitte der Gesellschaft nicht so breit verankern können. Die „Neue Rechte“ hat dann explizit versucht, mit dem Rückgriff auf die erwähnten Theoretiker, die vermeintlich nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun hatten, eine neue ideologische Linie frei vom Nationalsozialismus zu entwerfen. Das war aber nicht mehr als ein politischer Trick. De facto haben Personen wie Ernst Jünger die Weimarer Republik publizistisch wundgeschossen, waren für die damalige antidemokratische Stimmung mitverantwortlich. Außerdem waren die Protagonisten der Konservativen Revolution sehr wohl in der NSDAP involviert, auch wenn die IBD das immer gerne ausblendet.
Wie sieht da die Situation der IBD in Niedersachsen aus?
Wir können mittlerweile belegen: Personell gibt es immer wieder Überschneidungen gerade in Niedersachsen beispielsweise zu völkischen Familien. In dieser Region ist es ein ganz besonderes Phänomen, dass viele Kinder und Jugendliche aus der völkischen Bewegung, wo Oma und Opa und die Eltern schon Nazis sind, jetzt bei der IBD mitmachen. Offiziell distanzieren sie sich vom Nationalsozialismus. Aber sie kommen aus einem Milieu, wo diese Distanz eben nicht so groß ist.
Viele Anhänger der „Neuen Rechten“ geben sich heute auch betont Israel-freundlich.
Ich glaube, wir müssen uns von der Sichtweise verabschieden, dass diese rechte Bewegung ein monolithischer Block ist. Es gibt dort Widersprüche, verschiedene Strömungen, Israel-freundliche und auch massiv Israel-kritische Gruppierungen. Das Argument, warum viele Rechte für Israel sind, ist sehr banal: Israel ist Ziel eines „islamischen Heiligen Krieges“, und deswegen muss man es unterstützen. Das ist genauso wie mit dem Konstrukt des Ethnopluralismus, womit sie immer wieder betonen, sie seien ja gar keine Rassisten. Aber dieses Konstrukt beinhaltet ja, dass – in ihrer Logik gesprochen – jede Ethnie ihren angestammten Lebensraum habe, ihre eigene Kultur, Identität und Tradition. Das solle man bewahren und beschützen, da wo es hingehört.
Ist das nicht eine verbreitete wertkonservative Haltung?
Nein, denn hier beginnt der Rassismus: Es wird unterstellt, dass es homogene Gemeinschaften gebe, die ewig gewachsen seien. Menschheitsgeschichtlich stimmt das aber nicht. Wenn sie dann noch die Remigration – also die Rückführung aller, die aus ihrer Sicht nicht hierhergehören – als zentrales Programm dazunehmen, dann merkt man auch, wie tief rassistischen sie eben sind. Der führende Kopf der Identitären in Frankreich ist sogar noch radikaler als Marine Le Pen (Vorsitzende der rechtsextremen Partei „Rassemblement National“; Anm. d. Red.). Er sagt explizit: Ein Maghrebiner kann niemals ein Franzose werden, selbst wenn er alle republikanischen Werte annimmt. Er wird immer Maghrebiner sein. Die Identitären kommen poppig daher, bunt und kreativ, aber die Struktur ihres Denkens ist uralter, ewiggestriger völkischer Nationalismus.
Einer der bekannteren Akteure der Identitären ist Mario Müller, der früher Mitglied der rechtsextremen „Aktionsgruppe Delmenhorst“ war. Was ist seine heutige Rolle innerhalb der IBD?
Mario Müller ist ja verurteilt worden wegen Körperverletzung, nachdem er einen Antifaschisten mit einem Totschläger schwer verletzt hatte. Müller kommt aus der rechtsextremen Szene, und so fließend ist die Grenze zwischen Rechtsextremismus und IBD. Er ist nicht nur irgendwer, sondern er ist der führende Kopf der IBD in Halle. Er ist derjenige, der das dortige IBD-Zentrum verwaltet. Und er hat mittlerweile auch angefangen, für das rechtspopulistische Magazin „Compact“ zu schreiben. Da merkt man auch, wie eng diese Szene miteinander verzahnt ist: Man wird vom rechten Kampagnenprojekt „Ein Prozent für unser Land“ unterstützt, bei „Compact“ kann man schreiben, man geht zu den Seminaren des „Instituts für Staatspolitik“ und unterstützt die AfD.
Das Interview führte Ilias Subjanto.
Andreas Speit ist einer der renommiertesten Autoren über Rechtsextremismus in Deutschland. Mehrfach wurde er bereits für seine Arbeit ausgezeichnet. Er schrieb unter anderem das Buch „Das Netzwerk der Identitären. Ideologie und Aktionen der Neuen Rechten“.
Weitere Informationen
Am Donnerstag, 13. Juni, lädt die Friedrich-Ebert-Stiftung um 18.30 Uhr in die Turbinenhalle auf der Nordwolle zur Podiumsdiskussion „Die neue Rechte. Die Identitäre Bewegung – eine unterschätzte Gefahr von Rechts?!“ mitz Andreas Speit, Deniz Kurku (SPD-MdL) und Martina Bruns (IG Metall). Anmeldung unter niedersachsen@fes.de.