Tore zu verhindern ist die Hauptaufgabe eines Keepers. Daran hat sich seit Anbeginn des Fußballs nichts verändert. Doch das Profil eines Schlussmanns wandelte sich in den vergangenen Jahren, die Anforderungen stiegen nach und nach. Noch in den 90er-Jahren wiesen Torwarte selbst im Profibereich nur selten gehobene fußballerische Fähigkeiten auf. Sie verließen kaum einmal den Strafraum, wenn überhaupt die Linie. Ins Pass- beziehungsweise Aufbauspiel waren Torhüter wenig eingebunden. Manuel Neuer revolutionierte das Torwartspiel vor rund 15 Jahren: Er fing – und fängt immer noch – viele Angriffe weit außerhalb des 16-Meter-Raums ab, läuft bei Flanken bis an die Grenzen des Strafraums, um diese abzufangen, spielt punktgenaue Pässe und agiert bei eigenem Ballbesitz als elfter Feldspieler. Dieses Profil wünschen sich Trainer für ihre Nummer eins, so auch der SV Atlas Delmenhorst.
Beim Regionalligisten stand in dieser Saison Rico Sygo im Kasten, der vollauf überzeugte, sich nach Saisonschluss jedoch aus dem Leistungsfußball zurückzieht. Die Blau-Gelben suchen daher nach einem Ersatz. Für die kommende Spielzeit steht derzeit kein Torhüter im Kader, da auch die Verträge von Florian Urbainski und Niklas Göretzlehner auslaufen. Tobias Duffner, Torwarttrainer beim SV Atlas und ehemaliger Drittligakeeper, erklärt, worauf es bei einem Regionalliga-Schlussmann ankommt und wie sich die Suche nach einer Nummer eins gestaltet.
Physis und Fähigkeiten
In der Regionalliga wird semiprofessioneller Fußball gespielt. "Das Torhüterprofil für die ersten drei Ligen ist sehr ähnlich. Ich würde da auch die Regionalliga noch dazu nehmen. Der große Unterschied zu den Ligen darunter ist, dass ein Torwart in höheren Ligen fußballerisch gut sein muss", sagt Duffner. Natürlich gehöre das "Grundzeug" eines jeden Torwarts dazu: "Er muss auf der Linie gut sein, eine gute Strafraumbeherrschung haben und ein Feeling für Eins-gegen-eins-Situationen mitbringen", zählt der Torwarttrainer auf. Hinzu komme beim Profil, das die Delmenhorster erstellt haben, eine spezielle Ausstrahlung. "Wir wollen einen Torwart, der eine gewisse Lautstärke mitbringt, damit er die Vorderleute dirigieren kann", teilt Duffner mit. Und die besagte Technik mit dem Ball am Fuß. "Ich bin ein Freund von dem Modell, dass der Torwart mitspielt. Man braucht im Aufbauspiel keinen Verteidiger, der sechs oder sieben Meter vor dem Torwart steht und die Pässe spielt, die der Torwart auch können sollte. Dadurch hat man im Prinzip einen elften Feldspieler", erklärt Duffner.
Um als Torwart in der Regionalliga und höher erfolgreich zu sein, bedarf es neben den Fähigkeiten auch physischen Voraussetzungen. "Ein Torwart sollte schon 1,85 Meter und größer sein. Unter 1,80 Metern gibt es fast keinen Torwart auf Topniveau, aber auf den einen oder anderen Zentimeter genau gucken wir nicht", sagt Duffner. Yann Sommer, Nationalkeeper der Schweiz und Nummer eins bei Borussia Mönchengladbach, ist einer von wenigen Keepern auf internationalem Top-Niveau, der recht klein ist. Und Sommer misst laut verschiedenen Medienangaben immerhin 1,83 Meter.
Von der Longlist zur Shortlist
Als ehemaliger Drittligatorwart, der ein Jahrzehnt bei Werder Bremen II im Kader stand, hat "Duffi", wie er genannt wird, ein großes Netzwerk. Auch Atlasscout Benjamin Rabe verfügt über ein solches. "Als klar war, dass wir auf der Torwartposition handeln müssen, haben wir erst mal festgelegt, was wir überhaupt suchen. Da haben wir verschiedene Optionen", schildert Duffner. Braucht es eine klare Nummer eins oder sollen mehrere in etwa gleichstarke Keeper ins Rennen gehen? Soll die Nummer zwei ein älterer, routinierter Schlussmann oder ein junges Talent sein? "Generell ist es aufgrund der U23-Regel schon wünschenswert, dass einer der drei Keeper jung ist", meint Duffner. Ein routinierter Mann, der sich aber auch ohne zu meckern auf die Bank setzt, und eine gestandene Nummer eins seien ein passendes Szenario, aber eben nicht das einzig mögliche. "Es ist gut, wenn ein Torwart Erfahrung aus höheren Ligen mitbringt. Wenn wir aber von einem jungen Torwart überzeugt sind, geht es auch ohne mehrjährige Regionalligaerfahrung und soundsoviele Partien", erklärt der Torwarttrainer.
Als nächster Schritt folgt die Aufnahme von acht bis zehn Namen auf eine Longlist. "Da stehen die Keeper drauf, die unserer Meinung nach das Profil erfüllen. Weil klar ist, dass wir einen neuen Torwart suchen, rufen auch viele Berater an und bieten Torhüter an. Wenn da ein überzeugender Kandidat dabei ist, kommt er auf die Longlist – aber nur dann, wenn er einen anderen Namen verdrängen kann. Sonst hätten wir irgendwann 25 Leute auf der Liste und die kann man dann nicht mehr vernünftig abarbeiten", erklärt Duffner.
Er diskutiert die Namen dann sowohl mit Rabe als auch in etwas größerer Runde mit Trainer Key Riebau und Sportchef Bastian Fuhrken. So entsteht eine Shortlist mit drei bis vier Namen. "Da schauen wir dann, wer überhaupt verfügbar ist", sagt Duffner. Dafür müsse man generell die Augen und Ohren offen halten. "Rico Sygo kannten wir aus der Regionalliga von seiner Zeit bei Rehden und wir wussten, dass er aus Österreich wieder in die Region hier ziehen wollte", erinnert sich Duffner.
Alle Torwarte im Blick
Generell haben die Blau-Gelben, sagt der Torwarttrainer, ein gutes Bild von allen Keepern der Regionalliga, ohne diese in einem Ranking sortiert zu haben. Auch alle Schlussmänner auf höherem Niveau mit Wurzeln in Delmenhorst und umzu beziehungsweise Bezug zur Region haben sie im Blick. "Benny Rabe guckt extrem viele Spiele und kennt daher den Leistungsstand der Kandidaten. Dazu kommt, dass es ein paar – wenn auch sehr wenige – Leute gibt, deren Meinung ich blind vertraue. Da weiß ich, dass die dasselbe Verständnis vom Torwartspiel wie ich haben. Wenn die sagen: Guck dir den oder den mal an, dann ist der auch interessant", berichtet Duffner. Zudem erlebten Duffner und Co. einige Torhüter, die in Spielen gegen den SV Atlas überzeugten.
Neben Fähigkeiten und physischen Voraussetzungen muss der neue Torhüter auch ins Mannschaftsgefüge passen. "Bevor wir einen Torwart verpflichten, führen Key und Basti Gespräche mit ihm. Möglichst bei einem persönlichen Treffen, aber in der aktuellen Corona-Zeit auch via Zoom. Wir sind alle davon überzeugt, dass der Mannschaftserfolg von der Stimmung innerhalb des Teams abhängt", sagt Duffner. Der Torwart dürfe dabei charakterlich hervorstechen. Sollte er positiv verrückt sein? "Unbedingt", meint Duffner lachend. Natürlich müsse die Verrücktheit im Rahmen bleiben. "Aber generell sehe ich da nichts Schlechtes dran. Mir wurde auch mal gesagt, dass ich positiv verrückt bin", fügt der 38-Jährige hinzu. Am Ende sei das Gesamtbild entscheidend und zu diesem gehöre auch das private Umfeld. "Wenn jemand seinen Wohnsitz 200 Kilometer entfernt hat und er dort mit Frau und kleinem Kind wohnt, ist das sicherlich nicht leistungsfördernd", nennt Duffner ein Beispiel.
Ein Name, der kursierte, war der von Felix Wiedwald. Der Profitorwart unterschrieb nun jedoch beim Zweitligisten SV Sandhausen. "Ich habe mit ihm mehrere Jahre zusammengespielt und wir haben regelmäßig Kontakt. Da fragt man natürlich mal, wie es gerade ausschaut. Wenn das als Interesse gilt, lasse ich das mal so stehen", sagt Duffner.
Eine Deadline, bis wann der neue Torwart gefunden sein muss, haben sich die Delmenhorster nicht gesetzt. "Wir haben Anfang Februar, es ist noch ein bisschen Zeit. Aber ich kann schon sagen, dass wir auf einem guten Weg sind", berichtet Duffner.