Viele Fußballer wären dazu bereit, fast alles zu opfern für eine Profikarriere. Nicht wenige von ihnen erkennen dann zu spät, dass es doch nichts wird mit dem großen Traum. Rico Sygo hat den Profifußball bereits hautnah miterlebt, spielte anderthalb Jahre beim österreichischen Zweitligisten Austria Klagenfurt. Inzwischen steht er beim Regionalligisten SV Atlas Delmenhorst im Tor und überzeugt mit konstant guten Leistungen. Viele Beobachter glauben, dass Sygo auch in der dritten Liga spielen könnte, womöglich sogar noch höher. Vor diesem Hintergrund ist Sygos Entscheidung bemerkenswert: Mit 25 Jahren hat er sich nun klar gegen den Fußball und für eine gesicherte berufliche Zukunft ausgesprochen. Der Torwart hört am Saisonende beim SV Atlas auf, um sich voll auf seinen Job bei einem großen Bremer Immobilienunternehmen zu konzentrieren.
„Selbst wenn sich jetzt noch die Möglichkeit auftun sollte, Fußballprofi zu werden, wäre das für mich kein Thema mehr“, betont Sygo. „Ich bin mit meinem Beruf sehr zufrieden und habe diese Entscheidung für meine Zukunft getroffen." Seit Anfang des vergangenen Jahres ist er im Bereich Logistik- und Industrieimmobilienberatung für die Firma „Robert C. Spies Industrial Real Estate“ tätig und übernimmt dort immer mehr Verantwortung. Dass sich die beruflichen Verpflichtungen kaum noch mit dem Leistungsfußball vereinbaren lassen, merkt Rico Sygo schon seit einiger Zeit. „Einen Bereich muss ich zurückschrauben – den Beruf, die Familie und Freunde oder den Fußball. Dass die Wahl auf den Fußball fällt, war mir dann relativ schnell klar“, schildert Sygo. „Entweder ich mache etwas ganz oder gar nicht.“
Atlas bedauert die Entscheidung
Bei Atlas zu bleiben und künftig nur ein- oder zweimal statt vier- oder fünfmal pro Woche zu trainieren komme für ihn daher auch nicht infrage. „Wenn ich dann mal einen Fehler mache, wird doch gleich gefragt, ob das daran liegt, dass ich weniger trainiere“, sagt Sygo. Der SV Atlas musste somit erkennen, dass es keine Chance gibt, den auslaufenden Vertrag des Keepers zu verlängern. „Das ist unheimlich bitter für den Verein, die Mannschaft und auch für mich. Rico gehört zu den besten Torhütern der Regionalliga und macht kaum Fehler“, sagt der Sportliche Leiter Bastian Fuhrken. Im Januar 2021 wechselte der gebürtige Bremer aus Klagenfurt nach Delmenhorst und ist beim SVA im Rekordtempo zum Leistungsträger und Sympathieträger geworden. „Rico hält nicht nur gut und sieht gut aus. Der ist auch noch schlau“, schwärmt der Atlas-Vorsitzende Manfred Engelbart. Dass Sygo am Saisonende aufhört, sei bei der Personalplanung ein echter Rückschlag, sagt Fuhrken. „Aber ich kann ihn verstehen. Wir haben zuletzt auch schon gemerkt, dass er oft abgehetzt zum Training kam.“
Es spreche zudem für den Torwart, dass er seine Entscheidung frühzeitig kommuniziert habe. „Dadurch können wir uns in Ruhe nach einem Ersatz umsehen“, erklärt Fuhrken. Mit Florian Urbainski und Niklas Göretzlehner stehen zwei weitere Torhüter im Kader, doch dass nach Sygos Abgang noch ein neuer Schlussmann dazukommt, ist sicher. „Kurz nachdem wir Ricos Abschied verkündet hatten, haben sich schon drei Torhüter bei uns angeboten“, erzählt Fuhrken. Einen Schnellschuss macht der SV Atlas allerdings nicht. Torwarttrainer Tobias Duffner und Scout Benjamin Rabe sondieren derzeit in Ruhe den Markt und suchen einen Keeper, der das Zeug zur neuen Nummer eins hat.
Torwart ohne echte Schwächen
Klar ist: Sygos Nachfolger wird in große Fußstapfen treten. Der 25-Jährige hatte einen entscheidenden Anteil daran, dass der SV Atlas die Aufstiegsrunde der Regionalliga Nord erreicht hat. In 17 Einsätzen ließ er 20 Gegentore zu. Sygo ist ein Torwart ohne echte Schwächen. Seine fußballerischen Qualitäten und die Stärke in Eins-gegen-eins-Duellen stechen heraus, aber auch auf der Linie und in der Strafbeherrschung verfügt er über sehr gutes Regionalliga-Niveau.
Den SV Atlas verlässt Rico Sygo mit einem weinenden Auge. „Eine Vertragsverlängerung wäre für mich definitiv eine gute Option gewesen, wenn meine berufliche Situation nicht wäre. Ich fühle mich bei Atlas sehr wohl, und die Zeit war auch sehr erfolgreich“, betont er. „Solch ein Umfeld mit solchen Fans gibt es hier in der Umgebung sonst nur bei Werder.“ Maximal zehn Spiele wird er in der Aufstiegsrunde noch im blau-gelben Trikot bestreiten, und dafür hat sich der Torwart einiges vorgenommen. „Ich bin ein sehr ehrgeiziger Typ, der immer gewinnen will“, sagt er. „Wir wollen in der Aufstiegsrunde überraschen, vielleicht können wir sogar oben angreifen.“
Sygo sieht gute Chancen dafür, dass der SV Atlas irgendwann in der dritten Liga spielt. „Ich traue dem Verein zu, nach Werder Bremen, die echte Nummer zwei im Nordwesten werden zu können“, sagt er. Sollte es dazu kommen, wird Rico Sygo nur noch als Zuschauer dabei sein. Ein merkwürdiges Gefühl beschleicht ihn schon, wenn er daran denkt, dass ab Sommer Schluss ist mit dem Leistungsfußball. „Dieser Sport hat mich seit der Jugend immer begleitet. Die Entscheidung ist mir wirklich schwergefallen“, sagt er. Ob er nach seinem Atlas-Abschied in einer unteren Liga weiterspiele, wisse er noch nicht. „Darüber habe ich bisher überhaupt nicht nachgedacht“, sagt Sygo. Durch seinen Beruf und den SV Atlas hatte er in letzter Zeit schließlich auch genug andere Dinge um die Ohren.