Auf einmal flogen massenweise volle Plastikbecher über den Zaun des Gästeblocks. "Wir dachten erst, die würden mit Bier werfen", sagte Manfred Engelbart, der Vorsitzende des SV Atlas Delmenhorst, und fügte hinzu: "In den Bechern war aber Urin." Die exakt 86 Fans, die die U 23 von Hannover 96 nach Delmenhorst begleiteten, sorgten somit für den unappetitlichen Teil des Sonnabendnachmittags. Dagegen war der sportliche Teil etwas für Feinschmecker: In einem hochklassigen, packenden Fußball-Regionalliga-Spiel gewann der SV Atlas glücklich mit 1:0 (0:0) gegen die zweite Mannschaft des Zweitligisten.
"Es war das beste Spiel in der Regionalliga, das ich bisher gesehen habe", hielt Bastian Fuhrken, der Sportliche Leiter des SV Atlas, fest. Die 650 Zuschauer im Delmenhorster Stadion dürften ähnlich empfunden haben, immer wieder gab es Szenenapplaus während dieses reizvollen Duells. Auf der einen Seite standen die perfekt ausgebildeten Nachwuchskicker aus Hannover, die kaum Fehler machten und technisch überzeugten. Ihnen stellte sich eine Atlas-Mannschaft in den Weg, die sich mit großer Leidenschaft in jeden Zweikampf warf und auch spielerisch einiges zu bieten hatte.
Atlas-Coach Key Riebau setzte auf die Startelf, die zuvor Oberneuland mit 4:0 besiegt hatte. "Das war die Belohnung für eine überragende erste Halbzeit", erklärte er. Dass sie es dieses Mal mit einem deutlich stärkeren Gegner zu tun hatten, merkten die Delmenhorster allerdings schnell. Schon in der ersten Minute hätte Monju Momuluh Hannover in Führung bringen müssen, doch er schob den Ball freistehend neben das Ziel. Fünf Minuten später grätschte Lawrence Ennali in eine gefährliche Hereingabe, und der Ball flog knapp am Tor vorbei. Dann war es Atlas-Torwart Rico Sygo, der mit einer Parade gegen Rene Rüther einen frühen Rückstand verhinderte (14.). "Am Anfang des Spiels hatten wir Glück", gab Riebau zu. "Aber danach haben wir uns freigeschwommen. Hochachtung vor den Jungs, wie sie füreinander gerackert haben."
Gleich mit ihrer ersten Chance setzten die Gastgeber ein Ausrufezeichen: Nach schöner Vorarbeit von Philipp Eggersglüß traf Marco Stefandl die Latte (15.). Nun war es ein Duell auf Augenhöhe mit hohem Unterhaltungswert. Es ging hin und her. Nach Vorarbeit von Mattia Trianni hatte Stefandl freie Bahn und schoss neben das Tor (34.). Auf der Gegenseite zischte Ennalis Schuss knapp am langen Eck vorbei (38.). "Es war ein sehr, sehr intensives Spiel", unterstrich Riebau. Als es in die Halbzeitpause ging, fehlten nur die Tore, ansonsten ließ die Partie wenig zu wünschen übrig.
96-Torwart Kokott lässt den Ball fallen
Nach Wiederanpfiff war es mit der Torlosigkeit schnell vorbei: Eine harmlose Freistoßflanke von Tobias Steffen ließ Hannovers 18-jähriger Torwart Pascal Kokott aus den Händen rutschen, Trianni war zur Stelle und schob zum 1:0 ein (55.). "Ich habe einfach spekuliert, und es hat gut geklappt", beschrieb der Atlas-Angreifer die Szene später. Der Treffer war allerdings nicht nur mit Glück zu begründen, sondern auch mit intensiver Vorbereitung auf das Spiel. "Wir wussten, dass Hannover einen jungen, unerfahrenen Torwart zwischen den Pfosten hat", sagte Trianni. "Da lohnt es sich eher mal nachzugehen." Riebau nannte den Treffer "sehr unglücklich für Hannover". Atlas habe er dagegen perfekt in die Karten gespielt.
Die Gäste mussten nun anrennen, während die Delmenhorster ihre Stärken im Umschaltspiel nutzen wollten. Erst einmal stand Atlas jedoch fast nur noch hinten drin. Bereits in der 57. Minute hätte Hannovers Toptorjäger Moussa Doumbouya den Ausgleich erzielen müssen, schoss aber freistehend weit über das Tor. 96-Trainer Christoph Dabrowski hatte sein Team in der Pause offenbar angewiesen, höher zu stehen und den Gegner früher zu stören. Nach dem Rückstand trieb der Ex-Profi seine Spieler noch weiter nach vorne. Atlas hatte zwar Platz zum Kontern, stand aber so sehr unter Druck, dass die Präzision im Spiel nach vorne oftmals fehlte. Sygo parierte einen Schuss von Mick Gudra im Nachfassen (62.), dann traf der eingewechselte Louis Oppie die Latte des Atlas-Tores (70.).

Es war ein sehr intensives Spiel, hier behauptet Atlas-Angreifer Marek Janssen den Ball.
Riebau wechselte mit Marek Janssen und Dimitrios Ferfelis zwei Stürmer ein, die Bälle behaupten können. Der Schachzug ging auf, und die Delmenhorster verlagerten das Geschehen wieder vermehrt ins Mittelfeld. Nur einen Kopfball von Kevin Kalinowski über das Gehäuse galt es noch zu überstehen (90.+1), dann war ein Sieg perfekt, der den Delmenhorstern aufgrund der Vorgeschichte dieses Duells besonders süß schmecken dürfte. Beim 1:1 im Hinspiel war es hitzig zugegangen, 96-Coach Dabrowski hatte nach einer Rudelbildung die Rote Karte gesehen. Im Rückspiel blieben derartige Zwischenfälle zwar aus, das Verhältnis zwischen den Teams war dennoch frostig. "Es gab keinerlei Kontakt", sagte Riebau über den Umgang mit seinem Trainerkollegen Dabrowski.
Engelbart blickte lieber auf die Tabelle und jubelte: "Das waren echte Big Points." Durch den zweiten Sieg in Folge behauptete der SV Atlas den vierten Platz hinter den drittplatzierten Hannoveranern, die nach vier Erfolgen in Serie erstmals wieder verloren. Die besten fünf Teams starten bekanntlich in der Meisterrunde und haben damit den Klassenerhalt vorzeitig sicher. "Die drei Punkte tun uns sehr gut", betonte Riebau, fügte aber sogleich hinzu: "Es liegt noch ein weiter Weg vor uns. Wir haben nur noch Endspiele." Die nächste Partie bestreitet Atlas am kommenden Sonntag bei Borussia Hildesheim.