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SV Atlas Delmenhorst SV Atlas und Stadt Delmenhorst auf Konfrontationskurs

Hohe Wellen schlägt die Entscheidung der Stadt Delmenhorst, den Gästebereich bei der Partie zwischen Atlas und dem VfB Lübeck zu sperren. Die Atlas-Verantwortlichen üben scharfe Kritik, die Stadt kontert.
29.03.2023, 10:44 Uhr
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SV Atlas und Stadt Delmenhorst auf Konfrontationskurs
Von Michael Kerzel

Dieser Text wurde um 16.30 Uhr und wird laufend aktualisiert.

Auf bis zu 40.000 Euro beziffert Stefan Keller die Einnahmeverluste, die der Fußball-Regionalligist SV Atlas an diesem Sonnabend hinnehmen muss. Die Stadt Delmenhorst hat den Gästebereich im Stadion für die Partie gegen den VfB Lübeck gesperrt. "Der finanzielle Schaden ist gewaltig. Wir haben solche Spiele wie gegen Lübeck natürlich in unseren Budgetplan drin", sagt Keller. Er ist als Vorstandsmitglied für die Bereiche Marketing und Vertrieb zuständig. Keller rechnet vor: Bis zu 800 Gästefans wären gekommen und hätten Eintrittskarten gekauft und im Stadion Geld für Essen und Getränke ausgegeben. Hinzu erwartete man ein Plus von bis zu 500 heimischen Zuschauern, die in der Erwartung an die Düsternortstraße pilgern, eine Partie mit viel Stimmung zu erleben. Man rechnete mit bis zu 2000 Zuschauern. Auch diese sorgen wiederum im Stadion für Umsatz und bleiben nun eventuell zu Hause. "Das Schlimme ist: Manfred Engelbart (Vorsitzender des SV Atlas, Anm. d. Red.) hat das der Stadt gegenüber alles mitgeteilt, aber das interessiert da niemanden", schildert Keller. Ausdrücklich spricht er damit Oberbürgermeisterin Petra Gerlach (CDU) und den Ersten Stadtrat Markus Pragal an. Derzeit ist jedoch nichtmal klar, ob am Sonnabend überhaupt gespielt werden kann und wenn ja: wo.

Der VfB Lübeck hat nämlich mitgeteilt, dass er den Ausschluss der Gästefans nicht akzeptiert und den Gang vor Gericht empfiehlt. "Es werden dabei elementare Grundsätze des Regionalliga-Spielbetriebs verletzt, und das ohne Verschulden des VfB Lübeck auf Kosten unseres Vereins und insbesondere unserer Fans. Sollte sich der SV Atlas Delmenhorst gegen eine kurzfristige gerichtliche Klärung des Problems entscheiden oder eine solche nicht zum Erfolg führen, fordern wir den SV Atlas Delmenhorst und den Norddeutschen Fußball-Verband auf, ein taugliches Ausweichstadion zu benennen, in dem die Partie am kommenden Samstag unter den vom Verband vorgeschriebenen Richtlinien durchgeführt werden kann", teilt der Verein auf seiner Homepage mit. Engelbart versucht, den GAU abzuwenden. "Es laufen Gespräche. Es ist alles offen", teilt er mit. Man habe auch mit Verwaltungsrecht-Anwälten gesprochen, prüfe die Möglichkeit einer einstweiligen Verfügung. "Aber das ist alles sehr kurzfristig", sagt der Atlas-Vorsitzende.

Wird das Spiel verlegt?

Die Stadtverwaltung begründete ihre Entscheidung mit "der besonderen Gefährdungslage" und mit "bestimmten Auflagen, die dem SV Atlas bekannt, aber bis heute nicht erfüllt sind". Daher sehe man sich leider gezwungen, den Gästebereich für die Begegnung am Sonnabend zu sperren. Angeführt werden statische Mängel im Hinblick auf den Zaun des Gästebereichs. "Notwendige Ertüchtigungsmaßnahmen sind in Vorbereitung", teilt die Stadt mit. Keller sieht darin eigentlich kein Problem und wenn doch, die Stadt als Inhaberin gefordert, eine Lösung zu finden. "Es gibt ein Protokoll über die Bauabnahme und dort steht, dass es keine Beanstandungen gibt. Der Vizepräsident des Norddeutschen Fußballverbandes war persönlich da und hat sich die Fluchtwege angeschaut, auch am Zaun gerüttelt und hat keinerlei Bedenken geäußert", berichtet der Atlas-Vorstand.

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Die Stadtbaurätin Bianca Urban sieht sehr wohl Probleme: "Die notwendige Standsicherheit des Zaunes konnte laut des aktuellen Prüfberichts eines Statikbüros nicht nachgewiesen werden. Es geht hier um die Frage von Anpralllasten. Die Nutzungsuntersagung des Gästebereichs dient somit dem Schutz der Gäste und aller Stadionbesucher." Engelbart versteht die Rigorosität nicht. "Zumindest eine bestimmte Anzahl an Fans müsste ja möglich sein. Wenn nicht 500, dann wenigstens 50. Wieso nicht Zahl X. Mit einer Reduzierung könnten wir ja leben", sagt er. Doch Gespräche, auch mit Bianca Urban, hätten zu keinem Ergebnis geführt. "Sie bleibt dabei, dass der Block komplett gesperrt wird", berichtet Engelbart.

Lübeck verweist auf Spielordnung

Die Lübecker ärgern sich über die kurzfristige Entscheidung. "Mit großer Verwunderung stellen wir fest, dass der SV Atlas Delmenhorst dem NFV keine Information über die seit der Abnahme durch den NFV offenbar eingetretene Veränderung rund um die bauliche Einordnung des Stadions zukommen ließ und es so versäumt wurde, bereits im Vorwege ein entsprechendes Ausweichstadion zu benennen", teilt der Verein mit und verweist auf die NFV-Spielordnung. In dieser heißt es in Bezug auf die Fanblöcke und deren Umzäunung: „Sofern Platzanlagen/Stadien über die Voraussetzungen der Ziffer 3.4.5 nicht verfügen, können Spiele mit erhöhtem Risiko auf der Platzanlage/Stadion nicht stattfinden, sondern es muss zwingend in ein Stadion ausgewichen werden, in dem die o. g. Anforderungen erfüllt werden.“ Unter 3.4.5 steht unter anderem: "Bei Spielen mit erhöhtem Risiko sind ausreichende Pufferzonen zu bilden und an den Grenzen der Blöcke sind fest verankerte Abtrennungen zu den übrigen Zuschauerbereichen – mindestens 2,20 Meter hoch, mit deutlich gekennzeichneten und nummerierten Fluchttoren – anzubringen, die besonders stabil ausgebildet sein müssen".

Keller verweist auf die örtlichen Gegebenheiten in anderen Stadien der Regionalliga. In Jeddeloh oder bei Phönix Lübeck beispielsweise seien die Gästebereiche nicht besser gesichert. In Norderstedt hätten die Lübeck-Fans sogar am Spielfeldrand gestanden. Hinzu komme, dass der eigene Gästebereich seit zweieinhalb Jahren ohne Probleme in Benutzung sei und dass auch Fans des VfL Osnabrück oder eben des VfB Lübeck bereits zu Gast waren. "Ein in allen Punkten tragfähiges Sicherheitskonzept für die zu erwartende hohe und offenbar teilweise gewaltbereite Gästezahl im Stadion konnte vom Verein bis zuletzt nicht vorgelegt werden", kommentierte Urban dazu. Die Nutzung des Gästebereichs sei bislang jeweils im Rahmen einer Einzelprüfung lediglich geduldet worden. Gegen Lübeck gebe es eine solche Duldung nun nicht.

Unterschiedliche Sicherheitseinschätzung

Falls statische Probleme vorhanden sind, liegen diese nicht der Aufgabenbereich des SV Atlas, meint Keller. "Die Stadt will Haftungsfragen für den Bau auf uns abwälzen? Das ist unverhältnismäßig. Wir sind Mieter, die Infrastruktur hat die Stadt zu stellen. Sie hat ein regionalligataugliches Stadion hinzustellen. Und das ist ja auch passiert und der Verband hat es abgenommen", fügt er hinzu. Auch hier hält Urban dagegen: "Zuständig für die Realisierung der erforderlichen Maßnahmen zur Regionalligatauglichkeit des städtischen Stadions ist der SV Atlas – aufgrund eines zwischen der Stadt und dem Verein abgeschlossenen Bauvertrages." Nach zahlreichen Gesprächen habe die Stadt Delmenhorst Anfang 2023 entschieden, die noch erforderlichen Ertüchtigungsmaßnahmen für eine dauerhafte Regionalliga-Tauglichkeit selbst in Auftrag zu geben, da sich der Verein nicht mehr in der Lage dazu gesehen habe.

Kellers Ansicht nach unterschätze die Stadt die Bedeutung der Entscheidung und auch generell die Bedeutung des Vereins für die Stadt. Da gebe es immer eine Wechselwirkung. "Das ist ein Imageschaden für die Stadt. Mindestens norddeutschlandweit wird über Delmenhorst der Kopf geschüttelt. Es geht auch um die Frage, wie leistungsbereit die Stadt sein will. Und inwieweit sie Leistungen von Akteuren in der Stadt unterstützen will", sagt er. Man könne es drehen und wenden, wie man wolle, aber "Atlas ist aktuell das bekannteste Produkt der Stadt". In der Vergangenheit mag es anderes mit viel Strahlkraft gegeben haben, "aber aktuell ist das so, auch wenn man das im Rathaus nicht hören will".

Imageschaden für die Stadt?

Einfach habe sich die Stadt die Entscheidung keineswegs gemacht, teilt Sprecher Timo Frers mit. Es sei eine mit allen für die öffentliche Sicherheit maßgeblichen Entscheidungsträgern in der Stadt abgewogene verantwortungsvolle Entscheidung zugunsten der Gesundheit und Gefahrenabwehr getroffen worden. "Dies ist hier die vornehmliche Aufgabe, die zu erfüllen war. Auch im Sinne und zum Schutz des Vereins, der selbst erklärt hat, diese Verantwortung nicht übernehmen zu können. Wie diese Entscheidung subjektiv bewertet oder empfunden wird, ist bei Sicherheitsfragen nachrangig und darf solche Entscheidungen nicht beeinflussen", erklärt er.

Auch für den Nordverband und das Produkt Regionalliga, sagt Keller, isti die Entscheidung schlecht. "Aus dem Spiel könnte man so viel rausholen. Erster gegen Vorletzter, viele Fans. Es macht mich betroffen und besorgt, dass die Stadt das nicht sieht. Die Probleme wären ja zu lösen, aber ich weiß nicht, ob die Motivation und die Ambition von der Stadt da sind", fügt er hinzu. Es dürfe nicht der Fehler gemacht werden, nun Einzelphänomene zu diskutieren. "Das hat eine erheblich größere Tragweite. Ich denke da mittel- und langfristig", sagt er. Es gehe um die "Credibility" – sprich Glaubwürdigkeit – bei Sponsoren und anderen Beteiligten. "Ich und die anderen Verantwortlichen beim SV Atlas sind absolut überzeugte Delmenhorster und vertreten das auch überall. Wir hören aber Sachen von den Sponsoren wie: 'Macht ihr das Projekt mit eurer Intention und Passion in einer anderen Stadt, könntet ihr Spitzenfußball in der Regionalliga oder sogar 3. Liga spielen'. Das ist hier 12 Uhr. Nicht fünf oder eine Minute davor, sondern 12 Uhr", sagt Keller. Die Frage sei, "ob Petra Gerlach und Co." das verstünden.

Dabei gehe es um die sportliche Zukunft des Vereins. "Wir haben einen klaren Plan und die Ambition 2025 im oberen Tabellendrittel der Regionalliga zu spielen. Aber wie glaubhaft ist das in einer Stadt, die nicht in der Lage ist, normale Regionalligaspiele durchzuführen?", fragt er. Man dürfe nicht vergessen, dass gerade die Lizensierungsphase laufe. Hilfe vonseiten der Stadt gebe es wenig: "Es vergeht aktuell kein Monat ohne neue Forderungen von der Stadt." Zudem kritisiert er Petra Gerlach, dass diese wenig Interesse an Atlas zeige. "Warum war sie denn noch nie bei einem Spiel auf der Tribüne oder bei uns im Sechszehner? Nur vor der Wahl gab es mal ein Foto auf der leeren Tribüne", sagt er.

Einschätzung der Polizei

Lübeck-Fans dürfen zwar nicht ins Stadion, aber kommen sie trotzdem nach Delmenhorst? "Es wird kein Stadtverbot geben. Menschen, die der Meinung sind, das schöne Delmenhorst besuchen zu wollen, können die das natürlich machen. Wir bereiten uns darauf vor, dass Fans kommen", sagt Albert Seegers, Sprecher der Polizeiinspektion Delmenhorst/Oldenburg-Land/Wesermarsch. Die Polizei sei zudem darauf vorbereitet, dass Gästefans, die nicht ins Stadion dürfen, sich eventuell dann auf den Weg in die Stadt machen. Entsprechende Polizeipräsenz werde gezeigt.

Generell gibt es bei der Einstufung von Fußballspielen zur Beurteilung der Sicherheitslage ein Ampelsystem von Grün über Gelb bis Rot. Seegers erklärt, dass unterschiedliche Institutionen beteiligt werden. Sowohl der gastgebende Verein, also der SV Atlas, als auch der VfB Lübeck als Gastverein, haben Mitspracherecht bei der Einordnung. "Die Polizei hat für jeden Verein szenekundige Beamte als Ansprechpartner. Hinzu kommen die Erfahrungswerte der Vereine", sagt Seegers. Dabei gehe es beispielsweise um die Einschätzung, wie viele Problemfans in den Reihen der Vereine vorhanden sind und voraussichtlich zum Spiel kommen. Aufgrund der Besprechungen, bei denen auch die Stadt Delmenhorst involviert war, kam es zu dem Ergebnis, die Partie Atlas gegen Lübeck als Risikospiel einzuordnen. Da Regionalligastandorte in der Regel eine auf weniger Zuschauer ausgelegte Infrastruktur haben, ist eine Partie eher ein Risikospiel als beispielsweise in der Bundesliga, wo die Gegebenheiten auf Zehntausende Fans ausgelegt sind.

Im speziellen Fall für diese Partie ist es laut Seegers nun so, dass für das Stadion generell gilt, dass die Sicherheit aus baulichen Gründen im Gästebereich bei Risikospielen nicht gewährleistet ist. "Das ist bekannt. Die Mängel sind nicht behoben. Die Stadt hat daraufhin beschlossen, dass bis zur Behebung der Mängel bei Risikospielen keine Gästefans erlaubt sind. Das ist unabhängig vom Gegner. Egal, ob der aus Lübeck, Oldenburg oder Bremen kommt", teilt Seegers mit.

Verband nimmt Stellung

Der Norddeutsche Fußballverband versuchte, bei der Stadt zu intervenieren, hatte aber auch keinen Erfolg. "Trotz sofortiger Kontaktaufnahme des Vorsitzenden der NFV-Sicherheitskommission August-Wilhelm Winsmann und des Präsidenten Ralph-Uwe Schaffert mit Vertretern der Stadtspitze, wird die Stadt Delmenhorst an dieser Anordnung festhalten. Als Grund wurde eine durch Gutachten belegte unzureichende Standsicherheit der Umzäunung des Gästeblocks genannt, die bei Belastung einzustürzen droht und damit eine Gefahr für Leib und Leben der Zuschauer darstellt", teilt Jana Miglitsch, Referentin Kommunikation und Spielbetrieb beim NFV, mit. Die Stadt habe darauf hingewiesen, dass eine Ertüchtigung der Zaunanlage dem SV Atlas im Herbst 2022 zur Auflage gemacht worden sei. "Der NFV hat bei dieser Sachlage keine Möglichkeit, eine Zulassung der Lübecker Fans für das Spiel am 1. April zu erreichen, zumal das Stadion im Eigentum der Stadt Delmenhorst steht", teilt der Verband weiter mit.

Er habe gegenüber der Stadt Delmenhorst allerdings klargestellt, dass er bei künftigen Vergleichsfällen eine frühere Einbindung in Entscheidungsprozesse wünscht. Das sei vonseiten der Stadt auch in Aussicht gestellt worden.

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