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Bezahlte Ausbildung Warten auf den Lohn in der Kita-Ausbildung

Erzieher fehlen überall, auch weil die Ausbildung immer noch unbezahlt ist. Das könnte 2019 Geld vom Bund ändern. Sicher sind zunächst aber nur 100 Euro pro Monat, die Delmenhorst seinen Azubis zahlen will.
28.12.2018, 20:15 Uhr
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Von Björn Struß

Erzieherinnen und Erzieher sind Mangelware – auch in Delmenhorst. Und der Personalbedarf wird in den kommenden Jahren weiter steigen, auch weil die Stadt jedes Jahr eine neue Kita eröffnen will. Alle Beteiligten setzen ihre Hoffnungen in die Bezahlung der Ausbildung, die schon 2019 beginnen soll. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey stellte kurz vor Weihnachten 300 Millionen Euro in Aussicht, die gezielt in die Vergütung fließen sollen. Aber auch die Stadt Delmenhorst will einen Beitrag leisten. In dem Haushalt für 2019 plant sie mit einem monatlichen Taschengeld von 100 Euro für Auszubildende.

„Das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein, eigentlich brauchen wir mehr“, sagt Harald Groth (SPD), Mitglied des Delmenhorster Stadtrates. Er hat im Sozialausschuss und Stadtrat für den Antrag seiner Fraktion geworben und setzte ihn auch gegen den Widerstand im Verwaltungsausschuss durch. Dieser hatte sich nämlich mehrheitlich gegen das Taschengeld aus Mitteln der Stadt ausgesprochen. Offenbar auch, weil Oberbürgermeister Axel Jahnz (SPD) gegen das Vorhaben ist. „Es war ihm zu wenig, aber er ist dann einen Gegenvorschlag schuldig geblieben“, sagt Parteigenosse Groth.

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„Mit dieser Entscheidung wollen wir daran appellieren, die Ausbildung endlich zu vergüten“, argumentiert er. In fast allen anderen vergleichbaren Ausbildungen erhielten die jungen Erwachsenen vom ersten Tag an eine Bezahlung. „Wenn das Geld dann von einer anderen Seite gegenfinanziert wird, wäre das natürlich gut“, sagt der langjährige Kommunalpolitiker.

Er weiß, dass der Antrag seiner Fraktion von der Bundespolitik gewissermaßen überflügelt wurde. Denn Familienministerin Giffey will den Ländern 300 Millionen Euro zur Verfügung stellen, um die Erzieherausbildung zu entlohnen. Doch die Details sind noch ein Politikum zwischen Bund, Ländern und Kommunen.

Geld vom Bund ersetzt Geld von der Stadt

Käme das Gehalt aus Bundesmitteln zum nächsten Ausbildungsjahr, gäbe es die 100 Euro von der Stadt nicht noch zusätzlich obendrauf. Das Taschengeld würde – wie auch immer – in die Planungen einfließen. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass sich Bund und Länder nicht einigen, gäbe es in Delmenhorst ab dem 1. August 2019 aber zumindest das kleine Taschengeld.

Mit diesen Planspielen beschäftigt sich natürlich auch die Stadtverwaltung. Gerd Galwas, Fachdienstleiter für die Kindertagesbetreuung, freut sich über die Entscheidungen der Politik. Die Umsetzung betrachtet er aber noch skeptisch. „Die Bezahlung einer Berufsschulklasse von 28 Personen würde pro Jahr etwa 450 000 Euro kosten“, rechnet er vor. Als Orientierung dient die Bezahlung von Pflegekräften, die im ersten Ausbildungsjahr 1140 Euro netto bekommen.

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Laut Galwas gibt es ein Modell, wonach der Bund nur im ersten Ausbildungsjahr 100 Prozent der Lohnkosten übernimmt. Im Zweiten wären es 70, im Dritten 30. Der Rest müsse das Bundesland leisten. „Für eine flächendeckende Bezahlung wird das Geld nicht reichen. Und dann ist die Frage, wo Niedersachsen die Schwerpunkte setzt“, erklärt Galwas. Fraglich sei auch, wie sich die Mittel des „Gute-Kita-Gesetzes“ konkret verteilen. Dort geht es um 5,5 Milliarden Euro des Bundeshaushaltes.

Nach Angaben des städtischen Fachdienstes für Kindertagesbetreuung sind in Delmenhorst derzeit drei bis vier Erzieherstellen unbesetzt. Das erscheint nicht viel, jedoch ist die Vertretung im Krankheitsfall schwierig. Gerade im Krippenalter von null bis drei Jahren ist für Babys und Kleinkinder eine persönliche Bindung wichtig.

Hoher Krankenstand führt zu Unterversorgung

Deshalb kann die Kita-Leitung das Personal nicht wie in einem industriellen Betrieb hin und her verschieben. In der AWO-Kinderkrippe im Wollepark sorgte ein hoher Krankenstand vor Weihnachten bereits dafür, dass 30 Kinder statt um 15 Uhr bereits um 12.30 Uhr abgeholt werden mussten. Diese Erfahrung droht Eltern in Zukunft häufiger. Es sei denn, es werden mehr Erzieher eingestellt.

„Wir bilden jeden Bewerber aus, der geeignet ist“, betont Ulrich Droste, Leiter der Berufsbildenden Schule II. Wer sich in Delmenhorst zum Erzieher oder zur Erzieherin ausbilden lassen möchte, geht an die BBS II. Nur hier gibt es eine sozialpädagogische Fachschule. Die BBS II hat in diesem Jahr eine weitere Berufsschulklasse für Erzieher eingerichtet.

Ab Sommer 2019 kann man sich dort auch in Teilzeit zum sozialpädagogischen Assistenten oder Erzieher ausbilden lassen (wir berichteten). „Die Kapazität an Ausbildungsplätzen war nie der Flaschenhals“, sagt Droste. Es ginge vielmehr darum, mehr Bewerber zu bekommen. Die Ausbildung in Teilzeit richte sich deshalb an eine neue Zielgruppe, etwa an Eltern. Diese blieben dann auch nach der Ausbildung in der Stadt, weil sie hier verwurzelt sind.

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Mit einer Entlohnung aus Bundesmitteln plant die BBS II derzeit noch nicht. „Bis die Gelder wirklich ankommen, kann noch Zeit vergehen“, sagt Droste. Er glaubt zwar, dass es zu einer Einigung kommen wird, mahnt aber zur Eile: „Die Bewerber brauchen schnell Klarheit, sonst verpufft der Effekt. Sie müssen das Geld schon beim Schreiben der Bewerbung sicher einplanen können.“ Hier könnte die Politik bereits den entscheidenden Zeitpunkt verschlafen haben. Nach Angaben von Fachdienstleiter Galwas sollen erst im Februar die Kommunen ihren Bedarf bei Bund und Ländern anmelden, damit die 300 Millionen verteilt werden können. Die meisten Bewerbungen dürften da schon verschickt sein.

Für Erwin Drefs geht es aber auch darum, die Arbeitsbedingungen in den Kitas zu verbessern. Er ist der Geschäftsführer der Lebenshilfe Delmenhorst, die drei Kindertagesstätten betreibt. Als Vorsitzender der Trägerarbeitsgemeinschaft hat er aber auch die Situation in der ganzen Stadt im Blick. „Das Geld hilft nicht, wenn die Arbeitsbelastung so hoch ist, dass man nach wenigen Jahren ausgebrannt ist“, mahnt Drefs.

Körperliche und psychische Belastung wird unterschätzt

Die körperliche und psychische Belastung werde von vielen unterschätzt. „Wir müssen die Größe der Gruppen reduzieren“, argumentiert er. Gute Arbeitsbedingungen seien aber auch eine Frage guter Verträge. „Ich habe es erlebt, dass eine Erzieherin Delmenhorst verlassen hat, weil sie woanders einen unbefristeten Vertrag erhalten hat“, berichtet Drefs. Die Befristung von Verträgen müsse deshalb vermieden werden.

„Das Taschengeld der Stadt ist für mich ein Schritt in die richtige Richtung“, lobt Drefs. Auch der Bau neuer Kitas sei gut, um dem steigenden Bedarf zu begegnen. Diese neuen Einrichtungen hätten weniger Probleme, Personal zu finden. „Da entwickelt sich ein Verschiebebahnhof, weil die Erzieher dann in den anderen Kitas fehlen“, sagt Drefs.

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