Werders Frauen dürfen wieder im Weserstadion antreten, im Bundesliga-Heimspiel gegen den 1. FC Köln. Sie sind in Bremen geboren und aufgewachsen - was sind Ihre Kindheitserinnerungen an dieses Stadion?
Michelle Ulbrich: Als kleines Mädchen bin ich mit dem Werder-Schal und dem Papa an meiner Seite im Stadion gesessen. Es war immer eine überragende Stimmung, wenn ich dort war.
Was hat es Ihnen bedeutet, vergangene Saison gegen Freiburg schon einmal dort spielen zu dürfen, vor mehr als 20.000 Zuschauern?
Das war überragend. Für mich ging da wirklich ein Traum in Erfüllung – für mich als Fußballerin, aber auch für das kleine Mädchen, das hier aufgewachsen ist und früher mit Papa dorthin gegangen ist. Es kann kein schöneres Gefühl geben, als wenn man selbst dort aufs Feld läuft.
Am Sonnabend passiert das ein zweites Mal. Reicht Ihnen das, ein solches Spiel pro Saison – und reicht es, um den Frauenfußball in der Region nach vorne zu bringen?
Zunächst einmal ist es ein guter Schritt in die richtige Richtung. Man merkt schon, dass uns solche Highlight-Spiele voranbringen – auch, was die Zuschauerzahlen in den Heimspielen danach auf Platz 11 betrifft. Man bekommt mehr Zuschauer dazu, sich für unseren Fußball zu interessieren. Aber klar: Als Spielerin hätte ich schon Bock, jede Woche im Wohninvest-Weserstadion zu spielen.
Zwischen den beiden Stadien liegen Welten: Was macht es für einen Unterschied, ob man auf Platz 11 spielt oder im Weserstadion?
Der Fußballplatz bleibt ein Fußballplatz, aber die Menge der Fans macht den Unterschied. Die Lautstärke ist völlig anders, dadurch ist es im Wohninvest-Weserstadion ein anderes Spiel. Man kann sich auf dem Platz kaum verstehen, die Kommunikation funktioniert nicht mehr über Sprache, sondern mehr über Zeichen. Das ist auf Platz 11 völlig anders. Da hört man jedes Wort, das wir uns untereinander zurufen.
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Der Frauen-Fußball war weltweit in den Schlagzeilen, weil Spaniens Verbandspräsident Luis Rubiales die Weltmeisterin Jennifer Hermoso bei der Siegerehrung auf den Mund küsste. Was dachten Sie, als Sie das gesehen haben?
Mein erster Gedanke war: Was fällt dem ein, was nimmt der sich raus? Danach musste man abwarten, wie sich die Geschichte entwickelt, damit man niemanden vorverurteilt. Als relativ schnell klar war, dass es gegen den Willen der Spielerin passiert ist, war ich ein Stück weit fassungslos. Dafür kann man kaum die passenden Worte finden.
Hat dieser Skandal dem Ansehen des Frauenfußballs geschadet oder genützt?
Das kann man nur schwer sagen. Aus Sicht des Sports finde ich es traurig, dass nach der Weltmeisterschaft gar nicht mehr über den Fußball und die Leistung der Siegerinnen gesprochen wurde. Ich denke, grundsätzlich ist das, was da in Spanien passiert ist, kein Problem des Frauenfußballs. Die Thematik scheint mir in Spanien größer zu sein. Spiegelt aber auch ein gesamtgesellschaftliches Problem auf der Welt wider.
Sie spielen seit mehr als einem Jahrzehnt bei Werder und haben geholfen, den Verein in der Bundesliga zu etablieren. Das waren viele große Schritte – was fehlt dem Frauenfußball, auch in Bremen, jetzt noch?
Das Wichtigste wird sein, dass wir von der Ansehnlichkeit des Spiels einen weiteren Schritt nach vorne machen. Wir sollten einen Fußball spielen, der die Zuschauer begeistert. Wir sollten öfter Siege einfahren und in der Tabelle möglichst weit oben stehen: Wir selbst wollen immer gewinnen, aber auch die Zuschauer wollen Siege sehen und gehen dann mit einem noch besseren Gefühl nach Hause. Das ist das, was wir Spielerinnen zur Entwicklung beitragen können.
Schon in zwei Jahren, sagt die Liga, könnten alle Bundesligaspielerinnen Profis sein. Ist das realistisch – und möchte die Spielerinnen das auch?
Ich glaube schon. In meinem Fußballumfeld ist der Wunsch bei allen da, Profispielerin zu sein. Ob das schon in zwei Jahren so ist oder nicht – wir alle würden es uns wünschen. Aber letztendlich sind dabei auch die Vereine in der Pflicht, die Entwicklung in die richtige Richtung zu treiben und das umzusetzen.

Michelle Ulbrich schaffte den Sprung aus Werders U17 ins Profiteam.
In der Debatte um „Equal Pay“, also gleiche Bezahlung wie bei den Männern, hatte sich sogar der Bundeskanzler für die Frauen stark gemacht. Ihre Mitspielern Ricarda Walkling meinte: Viel wichtiger wäre „Equal Play“, also bessere Bedingungen für Training und Spiel. Wo stehen Sie: Team Kanzler oder Team Walkling?
Ganz klar Team Walkling. Und ich glaube, das sehen nicht nur alle bei uns im Team so, sondern generell alle im Frauenfußball. Weil genau das den größten Unterschied macht: Auf dem Fußballplatz ist nicht entscheidend, wer mehr Geld verdient. Viel wichtiger ist, wer die besseren Bedingungen hat, um sich auf so ein Bundesligaspiel vorzubereiten oder sich athletisch zu entwickeln und Verletzungen vorzubeugen. Darum geht es für uns in der Frauen-Bundesliga, um konkurrenzfähig zu sein. Es geht nicht um den Kontostand.
Zu einer modernen Infrastruktur würde auch ein kleines Frauenstadion mit überdachten Tribünen gehören. Sie kennen als Bremerin die Debatte um einen Bau in der Pauliner Marsch. Sie sind jetzt 26 Jahre – werden Sie noch in einem modernen Frauenstadion in Bremen spielen?
Ich glaube nicht, dass ich das noch erlebe, zumindest nicht als Spielerin. Natürlich sind die Bedingungen auf Platz 11 nicht die besten, aber man muss schon auch sagen, dass es sich dort gebessert hat. Ob unser Kraftraum nun zehn Quadratmeter hat oder 50 – es geht letztendlich um die Ausstattung und um die Frage, ob man die Zeit hat, dort etwas zu machen. Platz 11 hat sich in kleinen Schritten deutlich verbessert, aber natürlich ist das nicht zu vergleichen mit dem Campus von Bayern München. Wir Spielerinnen tun alles, um aus den Möglichkeiten das Beste zu machen.
Die Frauen-Bundesliga ist zunehmend ein Verdrängungswettbewerb. Jetzt ist RB Leipzig oben angekommen. Weitere große Fußballklubs wollen folgen. Spüren Sie den Druck, dass man mehr tun muss, um sich in dieser Liga zu halten?
Ein Stück weit schon. Man muss vorankommen, und man muss dabei auch mal größere Schritte machen statt der vielen kleinen. Mit RB Leipzig ist jetzt keiner aufgestiegen, der potenziell sofort wieder absteigt. Dadurch werden die Plätze in der Bundesliga immer weniger, auch in den kommenden Jahren. Aber: So eine Saison muss erst einmal gespielt werden. Es ist nicht automatisch klar, dass ein Team wie RB Leipzig direkt durch die Liga marschiert.
Auch im Frauenfußball geht es verstärkt um Geld und ums Geschäft. Wie verändert das Ihren Sport?
Im Moment wird der Frauenfußball dadurch professioneller. Weil wir deshalb nicht noch 40 Stunden in der Woche nebenher arbeiten müssen. Zumindest müssen das 90 Prozent der Bundesligaspielerinnen nicht mehr machen. Im Moment tut das Geld dem Frauenfußball also sehr gut - ob das in Zukunft auch mal eine Kehrseite hat, wie beim Männerfußball, wird man sehen. Man muss abwarten, ob sich der Frauenfußball überhaupt bis in solche Extreme entwickelt.
Kennen Sie Ihren Marktwert?
Nein, keine Ahnung.
30.000 Euro. Ist das im Frauenfußball ein ähnlich spannendes Thema wie bei den Männern?
Nein, überhaupt nicht. Ich würde mal behaupten, dass in unserer Mannschaft keiner seinen Marktwert kennt.
Wünschen Sie sich, dass genau das so bleibt? Dass nicht so überdreht wird wie bei den Männern?
Auf jeden Fall. Ich glaube, das ist die Chance, die der Fußball nun generell hat: Dass er mit dem Frauenfußball die Gelegenheit hat, bestimmte Fehler nicht noch mal zu machen.
Das Gespräch führte Jean-Julien Beer.