Es wirkte beinahe so, als hätten sich die Profis des SV Werder Bremen schnell noch alle abgesprochen. Nach dem 1:0-Heimsieg gegen Hertha BSC machte Amos Pieper den Anfang und bilanzierte: „Insgesamt war das ein sehr reifer Auftritt.“ Kurz darauf urteilte Abwehrkollege Niklas Stark: „Wir haben sehr professionell, sehr geduldig, sehr erwachsen gespielt.“ Und auch Niclas Füllkrug hatte eine „reife Weiterentwicklung“ gesehen. War da nun also wirklich Besonderes am Freitagabend im Weserstadion passiert, steckte tatsächlich mehr dahinter? Oder war es doch nur eine angenehme Momentaufnahme nach einem schönen Erfolgserlebnis? „Ich hoffe, dass es eine Entwicklung ist“, sagte Ole Werner, „aber das muss sich dann langfristig zeigen“.
Nun hat es Werders Cheftrainer ohnehin nicht ausnahmslos mit Jungspunden zu tun. „Eigentlich sind ja alle erwachsen, die da mitmachen“, sagte er und schob lachend hinterher: „Außer Fabio.“ Der lockere Spruch ging auf Kosten von Fabio Chiarodia, der mit seinen 17 Jahren noch bis zum nächsten Geburtstag im Juni 2023 warten muss, ehe auch er als volljährig gilt. Wenn die Bremer allerdings so weitermachen, wird nicht nur das junge Defensivtalent bis dahin einen gehörigen Reifeprozess vollzogen haben. Vorerst war es noch einer, der im kleinen Rahmen passierte. Genauer gesagt in knapp zwei Wochen. Denn Ole Werner freute sich ungemein darüber, „dass wir heute in einem engen Spiel nicht nervös geworden sind, wie es uns noch gegen Mainz passiert ist. Da haben wir Räume geöffnet und unsere Linie verloren.“
Gegen die Hertha blieb die Kompaktheit bestehen, der Hauptstadtclub sorgte kaum einmal für Gefahr vor dem Bremer Tor. „Es ist uns gelungen, über die gesamte Spieldauer hinweg, gut zu verteidigen“, lobte Werner. Und was fast noch wichtiger war: „Wir haben auch mit einer Haltung in der zweiten Halbzeit gespielt, die besagte: ,Okay, dann ist es dieses Mal eben nur der eine Punkt – aber vielleicht kommt noch eine Chance‘.“
Und sie kam tatsächlich. Es lief bereits die 85. Minute, als Niclas Füllkrug in Strafraumnähe ausgerechnet von Amos Pieper zu Fall gebracht wurde, sich aber schnell wieder aufrappelte und sah, dass Anthony Jung irgendetwas mit dem Ball vorhatte. „Wenn die Außenverteidiger flanken wollen, sehe ich das sofort an ihrer Körpersprache. Und bei Tony habe ich deshalb auch sofort erkannt, dass er gleich flanken und mich suchen wird“, sollte der Stürmer später sagen. Der Rest war ein Ablauf für Fußball-Genießer: Füllkrug schraubte sich in die Luft, höher als alle seine Bewacher und köpfte den Ball derart schön in die Maschen, wie es in Deutschland aktuell nicht viele Angreifer tun.
Werder hatte somit zum inzwischen zehnten Mal in dieser Saison in der Schlussphase. Ein absoluter Topwert, der auch in der Mannschaft Kräfte freisetzt. Und enorm beflügelnd für die Psyche ist. „Es lohnt sich zu bleiben bei uns, nicht zu früh nach Hause zu gehen“, meinte Ole Werner. „Wir haben diesen Glauben, immer noch am Ende treffen zu können.“ Und so gewinnt man dann eben auch ein Spiel, das eigentlich ein klassisches 0:0 bereithielt. „Aber auch wenn es so ausgegangen wäre, wäre es trotzdem eine gute Leistung von uns gewesen, auf der man Step-by-Step aufbauen kann“, erklärte Niklas Stark. „Das hat mir besonders gut gefallen.“ Die Werder-Fans genossen den Siegtreffer von Torjäger Füllkrug trotzdem in vollen Zügen. Das Weserstadion tobte nach dem 1:0 förmlich, ein paar Minuten später wurde dann richtig laut gefeiert, als der zweite Heimsieg der Saison unter Dach und Fach war.
All das passierte nach einer Woche, die eine Mannschaft – insbesondere die eines Aufsteigers – schon mal gehörig aus der Bahn werfen kann. „Es ist viel zusammengekommen“, erklärte Innenverteidiger Stark. „Verletzte, Schiedsrichterentscheidungen mit dem vierten Offiziellen, lauter solche Sachen. Da muss man einfach ruhig bleiben und das nicht so nah an sich rankommen lassen.“ Klang recht simpel, aber mit der Umsetzung ist das ja immer so eine Sache. Bei Werder hat es trotzdem geklappt. Weil die drei vorherigen Niederlagen offenkundig überhaupt keine Unruhe ins Team gebracht haben.
So jedenfalls hatte es Niclas Füllkrug wahrgenommen. „Wir waren total entspannt und sind nicht durchgedreht, als wir zwei, drei Spiele in Folge gewonnen haben. Und umgekehrt jetzt eben auch nicht.“ Noch schöner drückte es sein Coach aus. „Genauso, wie wir letzte Woche nach der Niederlage in Freiburg nicht den Teufel an die Wand gemalt haben“, sagte Ole Werner, „werden wir morgen auch nicht mit dem Partyhut in der Analyse sitzen.“ Obwohl, ein schönes Bild wäre das schon gewesen, wenn vielleicht auch etwas kindisch. Aber erwachsen will Werder ja vor allem auf dem Platz sein.